Mystique Teil 8b
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Da öffnete sich das Eingangstor zum Turm und eine kleine schwarzweiße Kuh trat heraus und bat sie mit einem Wink ihrer rotbehandschuhten Hufe höflich herein.

„Sie werden bereits erwartet, bitte folgen Sie mir“, sprach sie und schickte sich an, voran zu gehen.

Als Robyn bemerkte, dass die drei Kapuzenmänner zurückblieben, drehte sie sich um und fragte den Anführer: „Kommen Sie nicht mit?“

Er behielt den Kopf gesenkt und schüttelte ihn. „Nein, hier ist für uns nichts mehr zu tun. Nun liegt es an Euch.“

Für einen kurzen Moment blickte er auf, und nun sah sie außer seinen strahlend blauen Augen auch das gegerbte braune Gesicht und weiße lange Haarsträhnen, die ihm in die Stirn fielen. „Bitte lehne nicht ab!“ sprach er kurz und intensiv, ein Hauch von Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. Sie hob an zu antworten, aber da wandte er sich bereits wieder ab und die drei entfernten sich mit schnellen Schritten.

Was soll ich nicht ablehnen? Hinter dieser sprechenden Kuh herzulaufen? Zu akzeptieren, dass ich nicht begleitet werde? Robyn konnte sich keinen Reim darauf machen und ließ es schließlich bleiben, da die Kuh bereits mit ihren roten Hufen scharrte. Mork beschnüffelte sie neugierig, worauf ihre Schwanzspitze leicht nervös zu zucken begann. Ansonsten verzog sie keinen Augenblick ihre höflich-geduldige Miene.

Das Innere des Turmes war blendend weiß und leer, bis auf eine goldene Wendeltreppe, die zentral in der Mitte nach unten führte. Dort hinunter führte sie die Kuh. 

***

Hier war es umgekehrt: ein gänzlich in Gold gehaltener Raum, in der Mitte ein schneeweißer Paravant aus Samt. Robyn hatte das Gefühl, Stunden um Stunden durch einen Irrgarten gelaufen zu sein. Vor ihren Augen flimmerte es, der ständige Wechsel der hellen glänzenden Farben tat seine Wirkung. Irgendwann hatte sie den Versuch aufgegeben, sich den Weg zu merken. Vielleicht war Mork in der Lage, mit seinen Hundesinnen wieder zum Ausgang zu finden, sofern dies nötig werden sollte.

Die Kuh bat sie zu warten, trat an den Paravant heran und sagte: "Sie sind da, meine Herrin."

Ein kurzes tiefes Schnauben war zu hören. Stille. Dann eine müde Stimme: "So, sind sie das. Nun denn. Danke, Bluna, du kannst nun gehen. Ich werde dich später rufen."

Bluna?? Robyn glotzte die Kuh nun selbst mit beinahe Kuh-Augen an. Welch ein Name! Sie biss die Zähne zusammen, um sich das Lachen zu verkneifen. Milky auf ihrer Schulter stieß ihr erbost den winzigen Ellenbogen in den Hals. 

"Schluss!" herrschte die Stimme hinter dem Paravant. "Tretet näher, ich will euch sehen".

Als Robyn direkt vor dem Paravant stand, gebot die Stimme "Stop". Da die Wand nicht fortgenommen wurde, nahm sie an, dass man zwar von außen nicht, von innen aber durchaus hindurchschauen konnte. 

"So ist es", meldete sich die weibliche Stimme erneut. "Das gibt es doch auch in deiner Welt oder nicht?" Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: "Nun, lasst uns beginnen." Sie seufzte kaum vernehmlich, so als habe sie die Worte, die sie nun formulierte, bereits tausend Mal gesagt.

"Ich bin Binaera, die Königin von Digital. Dieser Turm in Siliconia ist meine Residenz. Ich will gleich auf den Punkt kommen: mein Reich ist in akuter Gefahr. Vor langer Zeit gebar ich einen Sohn, Prinz Rikkor und noch im Wochenbett erschien Tfosorcim, ein Feerich von der dunklen Seite, und prophezeite mir, dass Rikkor eines Tages von seinem Herrn Setagllib entführt und einer grausamen Gehirnwäsche unterzogen würde, um ihm danach für immer zu dienen und behilflich zu sein, Digital zu zerstören. Ihr müsst wissen, dass Rikkor über besondere Kräfte verfügt, die Setagllib zu nutzen beabsichtigt. Wenn ich mich widersetzen sollte, würde man mir auch das Zweitliebste nehmen: meinen Gatten, König Coder. In meiner Angst beschwor ich die Elfen - und eine von ihnen, Sucharda - übrigens deine Großmutter, Milka - hörte meinen Hilferuf endlich und erschien sofort. Doch sie kam zu spät. Der Bann war ausgelegt. Für Coder konnte sie gar nichts mehr tun. Ein winziger Zeitriss ermöglichte jedoch die Abschwächung des Bannspruches für Rikkor: mein Sohn würde nicht direkt von Setagllib entführt werden, sondern von einem seiner Drachenbestien. Diese sind dafür bekannt, dass sie nicht gerne hergeben, was sie einmal besitzen, so sollten wir Zeit gewinnen. Desweiteren konnte sie ein Hindernis einbauen: würde Rikkor VOR Setagllib von einer anderen Person aus den Klauen des Drachen befreit, so sei Digital gerettet." 

Binaera machte eine kurze Pause.

"Und?" fragten Robyn und Milka fast wie aus einem Munde.

"Es gibt einen Haken. Sucharda war gezwungen sich festzulegen. Und so bestimmte sie, dass es eine rothaarige Fremde sein müsse, die Rikkor zu befreien habe. Und sie muss ihn anschließend heiraten und mit ihm meine und Coders Nachfolge als König und Königin von Digital antreten."

"Aber das ist doch nicht so schlimm", sagte Robyn ermutigend. "Sie brauchen nur diese Fremde zu finden!"

Die anschließende Stille senkte sich in den Raum wie Schnee auf ein Feld in der Nacht.

Robyn schaute Milky an. "Habe ich etwas Falsches gesagt?"

Milky schaute ihr in die Augen und wies dann mit einer Kopfbewegung auf ihre Haare. Robyn dämmerte etwas.

"Oh nein. Nein. NEIN!"

"Ich fürchte doch," flüsterte Milky mit kleiner Stimme.

"So ist es", mischte sich nun Binaera wieder ein. "Aber ich kann dich nicht zwingen. Wenn dein Nein ein Nein ist, dann werde ich dies akzeptieren."

"Aber Rikkor ist doch noch gar nicht enführt!" wandte Robyn hoffnungsvoll ein.

Wieder seufzte Binaera. "Tut mir leid. Vor drei Tagen wurde er zusammen mit seinen Freunden Opfer eines Drachenüberfalls. Seine Freunde ließen sie laufen. Ihn nicht."

"Und König Coder?"

"Ist untergetaucht. Ich hoffe, er schafft es, bis Rikkor gerettet ist."

Robyn begann, erregt auf und ab zu laufen. "Verflucht noch mal, ich bin eine FRAU! Kein Drachentöter!"

"Du bist nicht allein", bemerkte Bineara ruhig.

"Ach nein? Was habe ich denn? Einen bärengroßen Hund, der bei jeder unheimlichen Kleinigkeit den Schwanz einzieht und eine fingergroße Elfe, die den ganzen Tag verschläft!"

Milky flatterte daraufhin sofort verschnupft zu Mork und vergrub sich beleidigt in seinem Nackenfell. Robyn sah ihr betreten hinterher: "Tschuldigung, war nicht so gemeint..."

"Ich verleihe ihr die Zauberkräfte ihrer Großmutter ein paar Jahre früher, als sie es sich nach ihrer Erfahrung verdient hätte," sagte Binaera. "Und gegen die Ängstlichkeit deines vierbeinigen Freundes kann ich vielleicht auch etwas tun."

"Wartet, wartet," rief sie dann, als die beiden Benannten sich anschickten, vor Freude den Paravant zu stürmen. "Es wird nicht reibungslos funktionieren, ich kann nämlich nicht sagen, wie lange die Kraft anhält. Nur, dass es von Mal zu Mal und einem bisschen Übung besser werden wird."

Nun bestürmten die beiden Robyn. Die fragte sich immer noch, ob es wirklich sein konnte, dass Mork die Worte der Königin verstanden hatte, aber es war deutlich zu spüren.

"Bevor du dich entscheidest", übertönte Binaera den Krach. "Musst du eines wissen: sie werden dir helfen können, doch letztendlich musst du die Entscheidungen treffen. UND du musst einwilligen, meinen Sohn zu heiraten, sonst kann Digital nicht gerettet werden."

"Und was habe ich davon?" fragte Robyn. Und bekam gleich ein schlechtes Gewissen. Digital würde untergehen, wenn sie nicht half. Und sie wäre Königin eines Reiches. Mit einem König an ihrer Seite.

"Ist er wenigstens hübsch, dein Sohn?" fragte sie. "Und wie alt ist er eigentlich?"

"So alt wie du", erwiderte Binaera und hörte sich an, als würde sie lächeln. "Also, wie ist deine Antwort?"

Robyn holte tief Luft und erwiderte:
 
 

"Ich brauche noch Zeit, mich zu entscheiden. Kann ich irgendwo darüber nachdenken?"
"Tut mir leid, aber ich bleibe bei meinem Nein."
"Okay, ich tue es."
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