Der Schlangenknopf gab dem Druck willig
nach, doch erst einmal geschah nichts und kein Laut war zu hören,
weder Klingeln, Schellen, noch Glockengeläute.
Dann aber klappte urplötzlich inmitten des Tores
ein bis dahin unsichbares Fenster auf. Heraus schaute mit grimmigen Gesichtsausdruck
eine Art grünhäutiger Schrumpfkopf mit triefender Knollennase
und wetterte: "WAS IST EUER BEGEHR?"
"Äh...äh...wir...", stotterte Robyn.
"WAS WOLLT IHR?" brüllte der Schrumpfkopf nicht gerade
ermutigend. "ICH HABE NICHT DEN GANZEN TAG ZEIT!"
Robyn schluckte schwer und nahm all ihren Mut zusammen.
"Wir möchten bitte gerne hinein. Wenn's recht ist."
"WARUM SAGT IHR DAS NICHT GLEICH?"
Der Schrumpfkopf verschwand und das Fenster wurde zugeschmettert.
Gleich darauf stöhnten und kreischten Hunderte von Scharnieren und
Zahnrädern und das große Tor neigte sich mit einem solchen qualvollen
Ächzen langsam nach hinten, dass Robyn überzeugt davon war, dass
die Ketten bersten und das Tor auf dem Boden zerschellen lassen würden.
Doch nichts dergleichen geschah. Als das Tor - das gleichzeitig
als Zugbrücke fungierte, sich über den Burggraben zu Boden gelegt
hatte, hörten die fürchterlichen Geräusche auf der Stelle
auf.
Niemand bat sie herein, kein Schwach- äh Schrumpfkopf
begrüßte sie, der Weg in die Stadt war offen.
"Dann mal los", sagte Robyn laut, sich selbst ermutigend,
und setzte vorsichtig einen Schritt nach dem anderen über die Brücke.
Dabei warf sie hin und wieder einen vorsichtigen Blick auf auf die silbrige
Füllung des Burggartens, die träge im Graben schwappte, als handelte
es sich dabei um Öl, das eine ferne Küste verunreinigte. Ein
undefinierbarer Geruch drang in ihre Nase, leicht muffig, aber auch wieder
frisch wie das Duftbäumchen im Auto ihrer Freundin Hannah, das nach
Kiefernnadeln roch. Leicht beißend gleichfalls und das bekam Mork
zu spüren, dessen empfindliche Nase sich vor Abscheu kräuselte.
Endlich erreichten sie das Mauerwerk der Stadt und traten von der Tor-Brücke
nach Siliconia hinein. Sofort begann das Tor hinter ihnen, sich zu erheben
und gab dabei die gleichen quälenden Geräusche von sich wie zuvor.
Eine Handbreit von ihnen entfernt donnerte darauf hin ein großes
Gitter zu Boden und trennte sie vom nun offen liegenden Burggraben ab.
Robyn schaute nach Milky, die die ganze Zeit über
kein Wort mehr gesagt hatte und stellte fest, dass die kleine Elfe rittlings
auf ihrer Schulter saß, den Kopf auf eine rote Locke gebettet hatte,
sich mit den Händen in ihren Haaren festklammerte und tief schlief.
Als sie ihren Blick, noch schmunzelnd, wieder nach vorne
richtete, sah sie sich drei Figuren in weißen, die Gesichter verdeckenden
Kapuzengewändern gegenüber.
Unerklärlicher Weise schoss ihr genau in diesem Moment
die Frage durch den Kopf, was eigentlich anders gewesen wäre, wenn
sie den anderen Schlangenkopf gedrückt hätte. Der Anflug einer
heftigen Migräne klopfte an ihre Schläfen, doch zum Glück
verflüchtigte sich dieses Gefühl gleich wieder.
Der mittlere der drei Weißgewandeten trat nun einen
Schritt vor und sprach sie mit sanfter Stimme an: „Bitte folge uns, dass
wir dich leiten können“. Ohne ihre Antwort abzuwarten, nahmen die
anderen beiden sie in ihre Mitte, der Sprecher ging voraus und ehe Robyn
es sich versah, waren sie auf dem Weg.
Zu häufig inzwischen mit seltsamen Vorgängen
konfrontiert, wehrte sie sich nicht dagegen und genoss die Sightseeing-Tour
durch die Straßen von Siliconia. Bis sie am Ende einer wenig belebten
Nebenstraße vor einem niedrigen dicken Turm aus grau schimmernden
Glasbausteinen stehen blieben. Der Führer der Weißgewandeten
griff in die Tiefen seiner Taschen und beförderte einen kleinen weißen
Gegenstand ans Licht, den er Robyn mit den Worten "bitte nimm und werfe
ihn" entgegenstreckte.
Es war ein Würfel. Beim seinem Anblick kehrte eine
undeutliche Erinnerung zurück, die fest mit einer goldenen Kugel verknüpft
war. Robyn nahm ihn, ging in die Hocke, um ihn am Boden zu würfeln
und fragte: "Was wird passieren, wenn ich den Würfel werfe?"
Aus ihrer Stellung heraus konnte sie erstmalig einen Blick
in das Gesicht des Weißgewandeten werfen, wo sie nur eine Sekunde
lang den gütigen Ausdruck strahlend hellblauer Augen erhaschte, bevor
er sich schnell abwandte. "Es wird entscheiden, was uns innen erwartet",
sagte er leise und deutete auf den Turm.
"Aha", zweifelte Robyn und ließ den Würfel
mit leichtem Schwung aus ihrer Handfläche rollen. Er überschlug
sich ein Mal, zwei Mal, dann blieb er liegen und zeigte:
A
A
A |