Komm zu mir

Dass er in den ersten Nächten nach einer langen Schlachtphase noch von blutigen, wilden Träumen verfolgt wurde, war nicht ungewöhnlich, der ganze Körper befand sich in einem Zustand ständiger Wachsamkeit, es dauerte immer ein paar Tage bis sein Organismus das Adrenalin abgebaut hatte und zu Gelassenheit und innerer Ruhe zurückgekehrt war. Er hatte sich angewöhnt, für diese Zeit an einem friedlichen Ort unterzutauchen, der den Regenerationsprozess beschleunigte – er pflegte die Küste in Tanaris aufzusuchen, wo er sich im kleinen Fischerdorf Steamwheedle einquartierte und am malerischeren Strand erholte – er fischte im türkisblauen Meer oder ging im goldfarbenen Sand spazieren, in Tanaris war immer Sommer – selbst jetzt zur Winterzeit.

Auch die Wölfin Ash, seine treue Gefährtin, blühte sichtlich auf, wenn sie hier waren, wozu die frisch gebackenen Milchbrötchen ihrer Gastwirtin, die sie ihr (heimlich, wie sie glaubte) zu jeder Gelegenheit zusteckte, nicht unerheblich beitrugen.

Diesmal jedoch war es anders. Die dunklen Augen der Kriegerin verfolgten ihn auf Schritt und Tritt, beim Einschlafen, im Traum, beim Aufwachen. Und jetzt hier am Pier, so dass er zu spät reagierte, als die Angelschnur sich plötzlich heftig regte, kurz darauf riss, und der riesige Steinschuppenaal fröhlich in die Freiheit entschwamm. Er konnte sich kaum mehr erinnern, wann das letzte Mal eine Frau in ihm auch nur den Hauch von Interesse geweckt hatte, aber es war vor so langer Zeit geschehen, dass es ihm vorkam,  als habe es in einem anderen Leben stattgefunden.

Ash, die neben ihm langgestreckt in der Sonne döste, hob den nebelgrauen Kopf von den Pfoten und beobachtete sein Bemühen, die Angelschnur wieder zu reparieren, mit einem gewissen zweifelhaften Ausdruck in den Augen.

„Weiber“, grummelte er und gab es schließlich auf, ließ sich auf den Rücken sinken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte in den dunkelblauen Himmel.

Sie war jeden Tag auf dem Schlachtfeld gewesen, auf der Seite der Feinde, eine Kriegerin von der Rasse der Untoten, lange schwarze Haare, schneeweiße Knochen, ungeheuer gewandt im Umgang mit ihrem zweihändigen Schwert, er erinnerte sich, dass sie einigen seiner Gefährten übel mitgespielt hatte.

Zu Anfang war sie ihm nicht sonderlich aufgefallen, eine von vielen der verhassten Horde eben, die es hier im Alteracgebirge zu besiegen galt, was immer auch dazu nötig war – schließlich hielten sie es genauso mit seinen Leuten von der Allianz. Aber dann – dieser eine Tag – Ash hatte sie gestellt, weitab vom Herd der Schlacht, so dass er der Wölfin zu Hilfe eilte, allein hatte sie keine Chance gegen das mörderische Schwert der Kriegerin. Doch als er nahe war, erkannte er zu seinem Erstaunen, dass die Untote ihr Schwert nicht benutzte, mit beiden Händen hielt sie ein breites Schild vor sich und wehrte Ashs Angriffe nur ab. So unglaublich es war – sie schien die Wölfin nicht töten zu wollen.

Er näherte sich mit schussbereiter Armbrust, sie blickte auf, ließ das Schild kurz sinken und Ash nutzte den Moment ihrer Unaufmerksamkeit und verbiss sich in ihrem Bein. Ein Schmerzenslaut entfuhr der Kriegerin, sie strauchelte und die geschulte Wölfin würde sich jeden Moment auf ihre Kehle stürzen. Trotzdem wehrte sie sich nicht und sah ihn nur weiter an.

„Ash, zurück!“ Sofort ließ die Wölfin ab und begab sich an seine Seite. Er wusste nicht, was in ihn gefahren war, aber nun ließ er auch noch die Armbrust sinken. Sie standen einfach da und blickten einander in die Augen. Schwarz waren ihre. So dunkel und tief. Die Zeit schien stillzustehen.

Bis schließlich der Hilfeschrei zu ihm durchdrang: „Kyrin! Hilfe!!“ Theodon rannte mit letzter Kraft und in Angstblase gehüllt auf ihn zu, verfolgt von zwei wütenden Tauren, und sofort hetzte er Ash auf den einen und nahm den anderen unter Pfeilbeschuss. Als die beiden erledigt waren, schaute er sich nach der Kriegerin um, aber sie war nicht mehr da. Theodon schien die seltsame Situation gar nicht bemerkt zu haben, der Paladin saß erschöpft am Boden und versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. Anschließend hatten sie sich erneut in das Kampfgetümmel gestürzt und er sah die Kriegerin nicht wieder. Zumindest nicht an diesem Tag. Bis die Schlacht zu Ende war – diesmal siegreich für seine Leute – war sie ihm hier und da noch einmal über den Weg gelaufen, aber in unausgesprochenem Einvernehmen vermieden sie es, miteinander zu kämpfen, selbst Ash stürzte sich in einem Pulk von Untoten mordlustig auf jedes Skelett – nur nicht mehr auf dieses eine.

Er befand sich im Anflug auf Stormwind, vor sich sah er die vielen weißen Türme der königlichen Stadt immer näher kommen. Die Türme waren festlich geschmückt, jede Menge Leute tummelten sich vor den Toren, sie winkten ihm fröhlich zu, doch plötzlich bäumte sich der Greif unter ihm auf, schrie und kreischte, dann war er verschwunden und er selbst fiel in die Tiefe, fiel und fiel, griff verzweifelt um sich, doch da war nichts, um sich festzuhalten, und unter ihm näherten sich die Mauern von Stormwind in rasendem Tempo. Mit einem Mal – Stillstand – für einen kurzen Moment fühlte er sich erleichtert, er hatte es überstanden, nichts war passiert… Aber dann ging es weiter und von nun an in Zeitlupe – aber aus irgendeinem Grund stürzte er nicht selbst, er stand oben auf der Stadtmauer, er schaute nur zu und hörte Ash heulen…

Ruckartig fuhr er auf, schweißgebadet. Er war immer noch am Pier, musste eingeschlafen sein, geträumt haben. Wieder heulte Ash. Wo war sie? Er schaute sich um, dann sah er die Wölfin ein Stück entfernt am Strand, halb im Wasser, irgendetwas beschnuppernd und zwischendurch die Schnauze in die Luft hebend und heulend. Auf diese Weise rief sie ihn. Er lief zu ihr und sah schon beim Näherkommen, dass dort ein Körper lag, in Rüstung, ein Krieger. Eine Kriegerin. Sie.

Er zog sie aus dem Wasser, ihr schönes weißes Gesicht noch weißer, die dunklen Augen leer, tot? Er wusste nicht, wie er das bei einer Untoten feststellen sollte, doch das leichte Heben und Senken ihrer silbernen Brustrüstung deutete darauf, dass Leben in ihr war. Sie war übel zugerichtet, so weit er das am Zustand ihrer Rüstung und diverser tiefer, wenn auch blutleerer Wunden feststellen konnte. Entweder kam sie direkt vom Schlachtfeld oder war der Allianz in die Hände gefallen.

Er nahm den Wasserbeutel von der Hüfte und ließ vorsichtig Tropfen in ihren Mund laufen, zwei Schluckbewegungen, dann begann sie heftig zu husten und kam zu sich. Als sie ihn gewahrte, weiteten sich ihre Augen vor Schreck, sie versuchte sich aufzurichten, fluchtartig, sank dann stöhnend wieder zu Boden. Er streckte die Hände von sich, beschwichtigend, redete beruhigend auf sie ein, dann schlich sich Erkennen in ihren Blick, sie flüsterte etwas, das sich wie „rimusmok“ anhörte, und sank zurück in diesen Zustand der halbtoten Bewusstlosigkeit.

Er starrte sie hilflos an, schaute sich gehetzt um – er musste sie wegbringen von hier, schließlich war er nicht der einzige, der die Küste besuchte, wie sollte er sie beschützen, wenn Allianzler kamen, wie überhaupt erklären, warum er sie beschützte?? Zalashji fiel ihm ein, der Einsiedler, der ein kurzes Stück die Küste hinunter in einer Höhle lebte, sie waren keine engen Freunde, aber zu einem freundlichen Fachgespräch über die hiesigen Fischarten hatten sie sich schon hin und wieder zusammengesetzt.

Ash hatte begonnen, der Kriegerin das Gesicht abzulecken, er registrierte es ohne die geringste Verwunderung, schob die Wölfin sanft zur Seite und hob die Untote auf seine Arme. Wie leicht sie war. Die liderlosen Augen irritierten ihn, aber inzwischen kannte er trotzdem den Unterschied zwischen offen und geschlossen. Kräftigen Schrittes marschierte er die Küste entlang, machte einen großen Bogen um vereinzelt herumstreunende hungrige Hyänen, ging giftigen Skorpionen aus dem Weg und achtete auf leiseste Bewegungen am Horizont, um Begegnungen mit anderen Humanoiden – gleich ob Allianz oder Horde – ausweichen zu können.

Das letzte Stück zu Zalashjis Höhle war das schwierigste, er musste ein kurzes Stück schwimmen, dazu schob er sich die Kriegerin auf den Rücken, verkreuzte ihre Arme vor seinem Hals, hielt sie an den Handgelenken und benutzte nur seine Beine, um im Wasser vorwärts zu kommen.

Zalashji hatte ihn bereits kommen sehen, erfasste die Situation mit einem Blick und winkte ihn in seine Höhle. Sofort gab er dem schwach glimmenden Lagerfeuer Holz hinzu und bedeutete ihm, die Kriegerin nahe der Wärme niederzulegen. Der Einsiedler untersuchte sie kurz, hüllte sie in eine wollene Decke, setzte sich und forderte seinen unerwarteten Besucher mit einer Handbewegung zum Erzählen auf.

Kyrin beobachtete, wie Ash sich neben der Kriegerin ausstreckte, den Kopf auf die Pfoten legte und ihn mit ihrem sanften Blick fixierte, dann berichtete er Zalashji, was sich zugetragen hatte und endete mit der Bitte um einen Rat, was er nun tun solle. Der Einsiedler blickte eine Weile gedankenverloren in die knisternden Flammen, dann sprach er.
„Sie ist dir gefolgt.“ Eine Feststellung, keine Frage.
Kyrin runzelte die Stirn. „Aber warum? Und wie. Ich meine, woher wusste sie…“ Er brach ab.
Zalashji zuckte die Schultern. „Wenn du es nicht weißt.“ Dann: „Ich kann ihr nicht helfen. Sie muss zurück zu ihresgleichen.“
„Steht es schlecht um sie?“
Der Einsiedler nickte. „Sie werden wissen, was zu tun ist.“
Gadgetzan, dachte Kyrin. Er musste sie zur Hauptstadt von Tanaris bringen, wo sich Horde und Allianz gleichermaßen aufhielten. Vor den Augen seiner Leute… Er stellte fest, dass es ihm egal war.
„Gehe zu Bulkrek dort, Bulkrek Zornfaust, ihrem Windreitermeister“, sagte Zalashji, der seine Gedanken zu lesen schien. „Ein Ork. Sage emok dirf zu ihm.“
„Das heißt?“
„Dass du in Frieden kommst. Übergib ihm die Kriegerin und ziehe dich sofort zurück.“
„Du sprichst ihre Sprache?“
Der Einsiedler sah ihn forschend an. „Ein wenig.“
„Als sie aufwachte…“ Kyrin dachte nach. „Sie sagte etwas, das wie rimmussmog klang. Weißt du vielleicht, was es bedeutet?“
„War es rim uz mok?“
„Ja, das war es! Was bedeutet es?“
Zalashjis Miene schien ihm kurz beunruhigt, dann war sie auch schon wieder ausdruckslos.
„Sie ist dein Feind.“
Kyrin nickte. „Ja, ja, natürlich. Aber was hat sie gesagt?“
Ist sie dein Feind?“
Er erwiderte den Blick des Einsiedlers lange. Schließlich wandte er die Augen ab.
„Komm zu mir“, sagte Zalashji langsam.
Kyrin schaute ihn verwundert an, machte aber Anstalten, der Aufforderung nachzukommen.
Zalashji wehrte ab. „Das sind die Worte, die sie zu dir gesagt hat: Komm zu mir.“

Es dauerte fast eine Stunde bis er Gadgetzan erreichte. Er hatte Elban, seinen Reittiger, dort im Stall untergebracht, bevor er nach Steamwheedle aufgebrochen war, so dass ihm nun nichts anderes übrig blieb als zu laufen. Die Kriegerin, in Zalashjis Decke gehüllt, war nicht mehr zu sich gekommen. Sie lag immer noch leicht in seinen Armen, trotz des langen Marsches. Der Gedanke, dass er sie wieder hergeben musste, zerriss ihm fast das Herz.

Festen Schrittes und hocherhobenen Hauptes näherte er sich dem kleinen Lager vor den Toren Gadgetzans, neben dem zwei übernervöse Windreiter flügel- und schweifschlagend auf ihren nächsten Flug warteten. Sie hoben die fledermausartigen Köpfe und begannen angriffslustig zu fauchen, als er sich weiter vor wagte.

Der grünhäutige Ork in der Mitte des Lagers blickte ihm misstrauisch entgegen, Kyrin ging davon aus, dass er der Windreitermeister war. Er hob ihm die Kriegerin in seinen Armen entgegen, so dass er sie deutlich sehen konnte und sprach die Worte, die er unterwegs immer wieder vor sich hin gesagt hatte, um sie nicht zu vergessen: „Emok dirf!“

Bulkrek Zornfaust schien ihn zu verstehen, zumindest warf er den Windreitern ein paar Worte zu, woraufhin sie das Fauchen einstellten und etwas ruhiger wurden. In diesem Moment ritten zwei Hordler herbei, offensichtlich in der Absicht, ein Flugtier zu mieten, sahen einen Nachtelfen,  der vermeintlich im Begriff stand ihren Windreitermeister anzugreifen und sprangen waffenzückend von ihren Reittieren. Doch Bulkrek rief den beiden, einem Untoten und einem weiteren Ork, lautstark etwas entgegen, und sie blieben abwartend stehen.

Kyrin versicherte auch ihnen laut und deutlich „emok dirf“, trat weitere Schritte auf den Windreitermeister zu, bis dieser ihm zu verstehen gab, dass er nahe genug war, dann kniete er vorsichtig nieder und ließ die Kriegerin sanft zu Boden gleiten. Fürsorglich zog er die Decke um sie zurecht, strich ihr ein paar Haarsträhnen aus der Stirn, konnte nicht loslassen. Als er ein letztes Mal in ihre leeren Augen schauen wollte, blickten sie ihn an, wach, schwarz, tief. Sehnsüchtig. Er spürte, wie ihre Hand nach seiner griff und sie festhielt. Verzweifelt erwiderte er den Druck ihrer Finger, wollte, dass sie verstand, ihr sagen, dass er sie nur gehen ließ, damit sie überlebte, damit er wenigstens wusste, dass sie in dieser Welt irgendwo existierte, selbst wenn er sie nie wiedersehen würde, sie musste doch wissen, dass es für sie keine gemeinsame Zukunft gab – komm zu mir – er würde ja, wenn er wüsste wie.

Und da lächelte sie zum ersten Mal und es traf ihn mitten ins Innerste – erst da bemerkte er, dass er weinte, wie lange denn schon? Ohne zu überlegen zog er sie zurück in seine Arme, drückte sie an sich und musste sich schließlich von den beiden Hordlern wegziehen lassen, leicht betreten wirkten sie, aber nicht unfreundlich. Sie schoben ihn Richtung Gadgetzan, er stolperte durch das Tor, drehte sich tränenblind noch eimmal um, nur um zu beobachten, wie sie die Kriegerin mit vereinten Kräften auf einen Windreiter hoben. Der Untote nahm sie vor sich auf den Sattel, dann flogen sie davon.

***

So lange her, als habe er in einem anderen Leben stattgefunden, war auch der schreckliche Unfall, bei dem ein Greif beim Anflug auf die Stadt Stormwind eines Tages in ungezielter, aber niederträchtiger Absicht von feindlichen Jägern mit Pfeilen vom Himmel geschossen wurde und dabei eine junge Nachtelfin vor den Augen vieler Gäste mit in den Tod riss. Die Gäste waren anlässlich der Hochzeit eines jungen Paares in der Stadt – die Braut war die Nachtelfin auf dem Rücken des unglücklichen Greifen gewesen – ihr zukünftiger Ehegatte hatte das grausame Geschehen von der Stadtmauer aus mit ansehen müssen.

Die hordlerischen Jäger entkamen unerkannt und wurden nie zur Rechenschaft gezogen – man wusste nicht, wer sie waren, woher sie stammten, man sprach ihre Sprache nicht, man verstand ihr Wesen nicht, man konnte es nicht herausfinden. Man konnte sich nur aufmachen und die Begegnung mit der Horde im Kampf suchen – in den Wäldern, auf den Straßen, in der Schlacht. Und hoffen, dass sich die Täter von damals irgendwann unter den gefallenen Feinden befanden.

***

Man wusste nicht wer sie waren, woher sie stammten, man sprach ihre Sprache nicht, man verstand ihr Wesen nicht…

Leona erreichte das verschneite Alteracgebirge und ritt direkt zum Treffpunkt. Ihre Freunde warteten bereits und Makebe, der Taure, winkte ihr mit breitem Grinsen zu. Sie ahnte, was das bedeutete und fühlte, wie ihr untotes Herz heftiger schlug.
„Er ist wieder da?“ fragte sie.
Die anderen nickten.
„Endlich…“, flüsterte die Kriegerin.
„Zu Fuß und in Begleitung wie früher“, berichtete Makebe. „Aber so schlimm wie nie zuvor, keiner traut sich mehr allein an die beiden ran.“
„Ich bin ja der festen Meinung, er sucht nur jemanden, den er unbedingt wiedersehen möchte“, grinste Jakohra, die untote Magierin.
Leona lächelte nervös. „Ich hoffe es. Lasst es uns einfach versuchen – Plan ist allen noch klar?“
„Wir bleiben in Gruppe, bis er dich gesehen hat und dir hoffentlich folgt, dann lassen wir dich davonziehen und halten euch den Rücken frei“, rezitierte Nummer Vier im Bunde, Sartin, der Troll.
„Aber bleibt in Blickkontakt“, mahnte Leona, „Jakohra muss uns – wenn alles vorbei ist – so schnell wie möglich rausporten. Keiner seiner Leute darf Hand an ihn legen, vor allem nicht die Paladine.“

Er war nicht schwer, ihn zu finden – man musste nur den hordlerischen Leichenbergen folgen. Wie unabsichtlich sprengten sie auf ihren Reittieren direkt vor seiner Nase vorbei und es benötigte auch nur diesen ersten Versuch – er sah sie sofort. Wie erhofft nahm er die Verfolgung auf, die Wölfin an seiner Seite. An einer unübersichtlichen Stelle im Gebirge trennten sie sich und nahmen Leonas Pferd mit, sie zog ihr Kurzschwert und lief zu Fuß weiter, suchte eine Stelle, die frei von Kämpfern war, und blieb dann stehen. Er ließ nicht lange auf sich warten.

Blutüberströmt von den Kämpfen und atemlos von seinem Lauf blieb er keuchend in einigem Abstand stehen, starrte sie an, als könne er nicht glauben, dass sie es wirklich war. Dann ging er ein paar Schritte auf sie zu, unsicher, beinahe strauchelnd, und sie kam ihm entgegen. Als sie ihn erreichte, erschütterte sie die tiefe Traurigkeit in seinen Augen bis ins Mark. Wäre es ihr noch möglich Tränen zu vergießen, so hätte sie es jetzt getan. Aber sie hob nur die Hand und strich ihm zärtlich über das geliebte Gesicht. Er schloss die Augen.

Ash leckte ihr über die Hand, die das Schwert hielt, in einem Fetzen von Erinnerung huschte das Bild eines kleinen aschefarbenen Welpen vorbei, der zu ihren Füßen spielte, und die Welt hielt kurz den Atem an – dann folgte eine schnelle geübte Bewegung aus dem Handgelenk und sie stach der Wölfin das Schwert bis zum Schaft ins Herz. Ash brach auf der Stelle tot zusammen und beinahe zeitgleich riss sie ein kräftiger Arm um ihre eigene Achse und Leona befand sich in Kyrins festem Griff, mit seinem Dolch an ihrer Kehle.

Er schrie Worte in ihr Ohr, die sie nicht mehr verstehen konnte und sie spürte, wie er am ganzen Leib zitterte. Sie drückte sich an ihn und rührte sich nicht, betete, dass er verstand, spürte, irgendetwas wenigstens, das ihn abhalten würde. Schließlich ließ er den Dolch sinken. Sofort drehte sie sich um und schloss ihn fest in die Arme. In dieser Art, wie SIE es getan hätte. Sie, die er vergessen hatte, weil er sie vergessen musste, um weiterzuleben. Weil sie ums Leben gekommen war, an dem Tag, als er sie zur Frau nehmen wollte.

Wie hätte er auch wissen können, was aus ihnen wurde, wenn sie starben…

Er stand wie erstarrt in ihrer Umarmung, dann hörte sie ein dumpfes Geräusch – der Dolch war zu Boden gefallen. Seine Hände an ihren Schultern, er schob sie von sich, bis er sie ansehen konnte. Der Ausdruck in seinen Augen war undefinierbar, sie schweiften ab, hinunter zur Stelle, an der die tote Wölfin lag. Er ging in die Knie und vergrub seine Hände in ihrem dichten grauen Fell, nahm Abschied.

Leona schaute sich um und erblickte ihre drei Freunde nicht weit entfernt, wartend. Sonst war niemand zu sehen, aber das konnte sich schnell ändern. Sie mussten sich beeilen. Als sie wieder zu Kyrin schaute, kehrte sein Blick gerade von den drei Hordlern zu ihr zurück. Ahnte er, warum sie da waren?

Ihre Augen fest im Blick richtete er sich auf, hob langsam die Hände und umfasste so vorsichtig ihr Gesicht, als habe er Angst, es könnte zerbrechen oder einfach nicht mehr da sein, sobald er es berührte. Dann sagt er etwas, das in ihrem ersten Leben vielleicht „Leona“ bedeutet hatte und küsste sie auf die Lippen, auf eine verzweifelte und doch so zarte Art. Schließlich ließ er sie los, trat einen Schritt zurück, legte seine Rüstung ab, deutete auf das Schwert in ihrer Hand und wiederholte ihre Worte: „Rim uz mok.“

Bevor ihn ihr tödlicher Hieb traf, sah er sie zum zweiten Mal lächeln. Er starb in dem beglückenden Wissen, dass es nicht das letzte Mal gewesen war.

© Susann Ulshöfer

Infos:
Diese Geschichte entstand am 31.3.2007 anlässlich des ersten Schreibwettbewerbs bei Thralls Ahnen, meiner damaligen WoW-Gilde :-)

Themenvorgaben waren:
1. Die Geschichte spielt in der Jahreszeit Winter
2. Es müssen folgende drei „Dinge“ darin vorkommen: eine untote Kriegerin /ein oder mehrere Milchbrötchen / der Begriff „Angstblase“

Bei den beschriebenen Figuren handelt es sich um „Wesen“ wie sie in dem Online Rollenspiel ->„World of Warcraft“, kurz „WoW“ vorkommen – ebenso existieren dort auch die genannten Orte. Mein Copyright bezieht sich rein auf die um diese Figuren und Orte erfundene Geschichte – der Rest bleibt natürlich Blizzard vorbehalten :-)

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