Glückssträhne

Die Großeltern waren in der Stadt, die Enkel für die Sommerferien abzuholen. Auch die Schwester fuhr mit, dort nächtigten die Eltern bis zur Abreise. Sie lebten in den Bergen.

Heute waren sie bei ihr, der Vater hielt sein Nickerchen im Liegestuhl, Mutter und Tochter beschäftigten sich derweil mit Gartenarbeit, die Sonne brannte, die Mutter hatte Ableger mitgebracht, versuchte im verwilderten Garten dem harschen Boden ein fruchtbares Plätzchen für diverse Schößlinge abzuringen, deren Namen die Tochter schon wieder vergessen hatte.

Diese selbst fuhr nicht mit in die Berge, sie freute sich auf das Alleinsein mit Hund und Katzen, auf das Rauchen in allen Zimmern, auf das Computerspielen nach Lust und Laune, den Fernseher zu jeglicher Tag- oder Nachtzeit, die Nahrungsaufnahme in schönster Unregelmäßigkeit, das Lesen und Bräunen in der Sonne, die Spaziergänge in der Sommerluft des Kopfes.

Sie liebte ihren Sohn und war gern mit ihm zusammen, für ihn wäre sie mitgekommen, ein Wort hätte gereicht, aber es waren seine Ferien und auch er machte Urlaub, in den Bergen und von ihr, und so war es angenehmer für sie, zuhause zu bleiben.

Die Mutter harkte in der Erde, etwas hüpfte vor ihr, die Tochter fing es, entzückt kreischend: „Ein kleiner Frosch!“

Das winzige Ding war quirlig, ließ sich kaum halten. Als sie es dem dösenden Vater zeigte, sprang es hinunter, doch sie fing es wieder ein. Ganz reizend in seiner Miniaturheit, grasgrün mit großen Äuglein, lebendig, kaum einmal innehaltend.

Der Hund umtänzelte sie neugierig, schnüffelte an ihren Händen, aber sie wagte nicht den Winzling zu zeigen, ein Haps und weg wäre er.

„Was meinst du“, fragte sie die Mutter, „vielleicht auf den Kompost?“

„Ja“, stimmte diese zu, „da hat er Nahrung und kann sich verstecken.“

Sie barg ihn in der hohlen Hand, trug ihn hinüber und ließ ihn auf den Hügel springen, wo er kurz verharrte, in typischer Froschhaltung sitzend.

Dann ging sie davon, um ihn nicht länger zu verstören, er würde schon wissen was zu tun war.

Die Eltern lachten ob ihrer Aufgeregtheit über den Kleinen und sie selbst wusste nicht, warum er sie so verzückt hatte. Wohl weil es ein seltenes Ereignis gewesen war, ähnlich der Geschichte mit dem Igel, der sich eines Herbstes in ihren Garten verirrt hatte.

Der Sohn kam vom Fahrradfahren, gleich wurde ihm das Abenteuer berichtet, er zeigte sich freundlich interessiert, wie es seine Art war. Sein Großvater verhandelte die Abfahrtszeit für den nächsten Morgen mit ihm, dann verabschiedeten sie sich, nicht ohne Anweisungen der Mutter, was die Tochter zu tun hätte, damit die Sprößlinge auch ordentlich angingen.

***

Später am Abend saßen Mutter und Sohn jeweils am eigenen Computer mit Surfen beschäftigt, als sie plötzlich auffuhr: „Ich habe vergessen, den Frosch zu küssen!“
Der Sohn, irritiert, mit den Gedanken ganz woanders: „Was?“
„Ich habe vergessen, den Frosch zu küssen!“
Er dreht sich um, grinst sie an. „Ja.“
Sie: „Wer weiß?“ und für einen Augenblick gedankenverloren in das Zimmer und zurück in ihre Kindheit starrend.

Das Fröschlein aber, das sich entnervt den stinkenden Komposthaufen hinunter und bereits durch drei weitere Gärten gearbeitet hatte, dachte bloß „Pech gehabt, Süße“.

© Susann Ulshöfer (15.7.2008)

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