Ich hasse kleine Weihnachtsbäume

(Hier erst mal meine kleine Weihnachtsgeschichte: Die reine Wahrheit !!!!)

1949 wohnte ich schon mit meinen Eltern in der Kielortallee, gleich neben der Schule.
Die anderen Familien , es waren noch zwei, hatten eine andere Wohnmöglichkeit gefunden und waren ausgezogen. Meine Mutter, sehr korpulent, fast blind, klein, kräftig und sehr resolut verlangte es nach eigenständiger Arbeit. Sie beantragte bei der britischen Verwaltung eine Zulassung für ihre Massagepraxis. Nach etlichen Hindernissen, die erzähle ich ein anderes mal, wurde Ihr Tatendrang belohnt.

So kam es, das ich als eine Art Blindenführer meine Mutter zu allen Patientenbesuchen geleiten musste. Die Wege waren weit, weil sie von der Alster bis nach Lokstedt und von der Methfesselstr. bis zum Dammtorbahnhof alle Krankenbesuche machte. Es war eine schlechte Zeit, auch wenn man heute immer von der guten alten Zeit spricht !
Ich fand diese Zeit entsetzlich, denn die Wohnungsnot war groß und es wohnten in großen Wohnungen wie in der Isestraße bis zu fünf Partien. Also musste ich meine Mutter zu Fuß begleiten, im Winter bei Nässe und Kälte und durfte wegen der beengten Wohnverhältnisse der Patienten immer im Treppenhaus warten. So erfuhr ich schon sehr früh in meinem Leben was Durchhaltevermögen bedeutet.
Der Fußmarsch endete erst mal nach der Erklimmung der 5 . Etage, naß und müde saß ich im dunklen Treppenhaus, das Licht war nach 30 Sek. wieder aus oder gar nicht an, und wartete dass die Wohnungstür auf ging, und meine Mutter erschien um mich zum nächsten Patienten zu treiben.
In der Weihnachtszeit geschah dann aber ein Wunder.
Meine Mutter wurde aufgefordert das Kind doch wenigstens mit in die Wohnung zu bringen. Was zur Folge hatte, dass ich einen Stuhl neben die Wohnungstür im Flur gestellt bekam und nun alleine auf dem Flur saß. Je nach Krankheitsfall länger oder kürzer. Da gab es immer was zu sehen, Türen die auf und zu gingen, Fahrräder und Kinderwagen auf dem Flur und manchmal auch leere Kohlen- oder Aschekästen. Das ließ schon einige Rückschlüsse auf die Bewohner dieser unfreiwilligen Wohngemeinschaft zu. Dann kamen die Geräusche, denen ich mit großer Spannung lauschte. Im hinteren Teil des Flures wurde über Geld gestritten das nicht vorhanden war. Irgendwo im Vorderen Wohnbereich hörte ich Kindergeschrei, dort wo meine Mutter war ab und an einen Schmerzensstöhner, und dazwischen das Geschimpfe einer Mutter, die sich beschwerte dass schon wieder keine Briketts da waren. Also, das war das Gute an dem Flurstuhl für meine Wartezeit.
Nun aber kommt das Schlechte:
Meine , bis heute noch , sehr empfindliche Nase , hatte einen Gang nach Kanossa gehen müssen. Aus jeder Wohneinheit roch es anders, Windelpup und Fischbratdunst, Tosca und Kohlgeruch, Klogestank und alter Leute Mief, Schwefelgestank vom Ofen und Mottenkugelngeruch aus der feuchten Garderobe an der Wand . Na wegen der Geld- Kohlen- und Hilfskräfte Knappheit, wurde eben nicht gelüftet, dann kam man mit den Kohlen länger aus, sparte das knappe Geld und brauchte auch nicht die Schlepperei mit den Briketts und der Asche in die 5. Etage oder nach unten , so oft machen.
Wenn nun endlich die Zimmertür auf ging und meine Mutter erschien trieb ich sie zum sofortigen Aufbruch und erlitt eine schmähliche Niederlage.
Ich wurde aufgefordert doch schnell bei dem gequälten Menschen guten Tag zu sagen und einen Knicks zu machen was mich oft böse und bockig machte, denn nun mußte ich in das stinkige Zimmer eintreten, es roch vorne herum nach Piesch und Franzbranntwein und hintenherum nach Muckefuck und gerösteten Haferflocken." Ach, du bist aber ein braves Mädchen, das die Mutti so nett begleitet, " war der Satz den ich ebenso haßte wie das Knicksen ! Dann aber kam der Gipfel meiner Abscheu: Ich wurde zum Kuchenessen aufgefordert und durfte den Weihnachtsbaum in Miniaturausgabe auf dem Nachttisch bewundern, er war übermäßig geschmückt, mit Lametta behängt und mit Gatermann Schokokringeln, die mit rosa und weißen Zuckerperlen bestreut waren, behängt. Zur Krönung wurde mir erlaubt einen Kringel aus dem Baum zu nehmen. Ich lehnte dankend ab und erfuhr mein persönliches Waterloo. " Ach Kind sei nicht so schüchtern, bitte nimm, hier nimm!"Ich wich einen Schritt zurück und wurde von einer Hand zurück an den Baum gezerrt. Hier schob man mir die Kringel in die Hand und forderte mich auf nun endlich hineinzubeißen. Meine Mutter sah dem Treiben zu, sagte nichts und wusste ganz genau, dass ich keine Bitterschokolade aß , die Kringel noch nie mochte und es furchtbar fand die hässlichen kleinen Tannenbäume auch noch zu loben, weil sie so hübsch wären. Darum war ich auch oft böse auf die Mama und wollte nicht mehr mitgehen.
So bin ich wohl bis zu meinem 13. -.Lebensjahr in unzähligen Wohnungen mit schlechten Gerüchen und winzig kleinen Tannenbäumen gewesen. Die einzige Verbesserung war, das es inzwischen manchmal Fahrstühle gab, manchmal eine Straßenbahn benutzt wurde und ich auf grund meines Alters pfiffiger wurde und mich besser wehrte und außerdem hatte ich oft Ausreden, weswegen ich nicht den Begleiter für meine Mutter machen konnte.
Geblieben ist bei mir ein Schaden seelischer Art : Ich esse keine Gatermannkringel !!!! Ich hasse kleine Tannenbäume !!!!!! Ich hasse es zu lügen und drum rum zu reden !!!!! Überhaupt mag ich keine Bitterschokolade und die Geruchsempfindlichkeit ist noch immer vorhanden.
Aber jedes Jahr wenn das Thema Weihnachtsbaum kaufen erörtert wurde kam von mir der Satz laut und mit Nachdruck:
"ABER KEINEN KLEINEN TANNENBAUM "!!!!!

copyright Traute Buck (27.11.04)
(Frohe Weihnachten, Traute Buck geb. Klenk, Hamburg, geb. 19.02.1944)