08.12.98
Eine ganz alltägliche Weihnachtsgeschichte
*zwinker*
Gerade  als  die  Sonne  hinter  dem  Dächerhorizont  der Großstadt verschwunden war, kehrte eine  Frau  von  ihrem  Spaziergang  nach  Hause zurück.  Es  war  der  späte  Nachmittag des 24. Dezember. Die Luft schmeckte nach Winter und man hatte das Gefühl, es würde jeden Moment wieder anfangen zu schneien. Von den Balkonen hörte man ein leises Klimpern, wenn die bunten Birnchen der Lichterketten an den Weihnachtsbäumen im Wind aneinanderschlugen.

An allen Fenstern strahlten Schwibbögen oder blinkten Sternschnuppen, in den Stuben sah man große rote Adventssterne leuchten. Der Frau schienen alle Häuser voll mit lodernden Weihnachtsfeuern zu sein. Überall hatten es die Menschen warm und hell. Sie aber fühlte sich einsam und leer.

Als die Frau das Licht in der Wohnstube anschaltete, blitzte die Glühlampe nur kurz auf, dann blieb es dunkel. Sie tastete sich zu den Streichhölzern und entzündete eine Kerze. Stumm starrte sie in die Flamme. Im letzten Jahr hatte sie wohl gerade zu dieser Stunde herrlich duftende, goldgelbe Bratäpfel aus der Backröhre gezaubert. Ihre Kinder und Enkel hatten Weihnachtslieder gesungen.  Das Tannenbäumchen hatte so gut nach Wald und Zimtkringeln geduftet. Und sie hatte sich unendlich glücklich gefühlt.

Diese Jahr war alles anders. Die Kinder waren in den Süden geflogen. - Ein bißchen Sonne tanken, Mutti! - Sie gönnte es ihnen von Herzen. Alle arbeiteten schwer, waren fleißige, liebe Menschen. Sollten sie sich einmal richtig erholen! Die Frau legte sich fröstelnd eine Decke über ihre Knie und sah zu, wie das Wachs langsam an der Kerze herunterlief. Oh, wie vermißte sie ihre Familie. Niemand war da, den sie beschenken, bekochen, umsorgen konnte. Noch nie im Leben hatte sie sich so allein gefühlt. Ganz versunken in ihre Traurigkeit saß sie regungslos da.

Nach einiger Zeit war die Kerze heruntergebrannt und die Frau stand mühsam auf, um eine neue zu holen. Diese schien eine ganz besondere Kerze zu sein. Dick, ein bißchen bucklig, aus bläulichem Wachs mit goldenen Schriftzeichen und einem dunkelrotem Docht. Ein alter Mann mit weißen Haaren hatte sie ihr auf dem Weihnachtsmarkt verkauft und sie dabei so sonderbar angesehen... Das erste Streichholz brach ab, das zweite auch. Ein unheimliches Gefühl beschlich die Frau. Endlich brachte sie die Kerze zum Brennen. Sie umfaßte sie, sah in
die Flamme und wünschte sich aus tiefstem Herzen, jetzt bei ihrer Familie zu sein. In diesem Augenblick begann die Kerze in ihren Händen zu funkeln. Die Flamme loderte hell auf. Im Feuerschein sah die Frau ihre Kinder und Enkel. 

Im nächsten Moment klingelte es an der Tür. Sie öffnete verwirrt. Draußen stand der alte Mann vom Weihnachtsmarkt. Er trug diesmal einen roten Mantel, schwarze Stiefel und eine Rute. Unter weißen lockigen Haaren funkelten seine dunklen Augen. Ein langer Bart reichte bis über den Gürtel. 

"Frohe Weihnacht!" brummte der Alte im Weihnachtsmannkostüm mit tiefer Stimme, zwinkerte ihr zu und drückte ihr einen Korb voller Äpfel in die Hand, auf dem ein Tannenzweiglein mit einem Zimtkringel lag. Ehe die Frau sich versah, war der Mann auch schon wieder verschwunden. Fassungslos kehrte sie in die Stube zurück. Da stand sie nun, mit den Äpfeln, dem Zweiglein und dem Kringel in der Hand.

Die Flamme der buckligen Kerze flackerte jetzt noch heftiger. Es klingelte ein zweites Mal. Als sie die Tür öffnete, glaubte sie zu träumen. 

"Hallo, Mutti! Frohe Weihnacht!" 

Da standen ihre Kinder und Enkel, mit Schneeflocken in den Haaren und strahlten sie an. Sie stürzte ans Stubenfenster und sah gerade noch, wie der alte Mann im Weihnachtsmannkostüm mit einem Rentier-Schlitten von der Straße abhob, ihr zuwinkte und über das Dach des gegenüberliegenden Hauses in den Winterhimmel flog. Lange stand sie da, umringt von ihrer Familie und als das Bimmeln der Glöckchen nicht mehr zu hören war, duftete es in der Stube schon nach goldgelben Bratäpfeln.

 
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