"Anikas Weihnachtsgeschichte"
von  Mareike (14) 


Es ist der letzte Abend vor dem 24.12. im Jahre 2000. Viele, bunte Geschenke liegen unter dem Weihnachtsbaum. Das Wohnzimmer ist dunkel.
Plötzlich geht die Tür auf. Ein Lichtschein fällt herein. Dann, langsam und vorsichtig schiebt sich eine kleine Gestalt durch die Türspalte.
Es ist die kleine, 7-jährige Anika in ihrem blauen Nachthemd, eingehüllt in ihre dicke Strickjacke und ihre Füße in rosa Plüschhausschuhen versteckt. In der einen Hand hält sie ihren Teddybär, ihm fehlt ein Auge. Sie tappt auf den Weihnachtsbaum und die Geschenke zu. Ihre Augen strahlen. Ihr Blick fällt über die rot, blau und grün verpackten Geschenke, mit Bändern und Schleifen verziert.
Vor den Geschenken auf dem Boden steht ein Engel aus Holz. Die Eltern hatten Anika und ihren beiden älteren Schwestern jedes Jahr erzählt, dass dieser Engel die Geschenke bewacht.
Vorsichtig hebt Anika den Engel auf. 
Plötzlich bewegt dieser die Augen und schaut sie an. Anika erschrickt und lässt den Engel fallen. Er fällt auf den Teppich. Dort bleibt er liegen. Doch dann bewegt er wieder seine Augen und steht auf.
"Ich bin Elor, der Engel, der die Geschenke bewacht," stellt er sich vor. Anikas erster Schrecken ist überwunden und ihre Neugier siegt.
Sie lässt sich auf die Knie nieder und spricht: "Hallo Elor. Ich bin Anika."
"Ich weiß," antwortet ihr Elor. "Was machst du denn so spät noch hier? Morgen ist doch Heilig Abend," sagt er.
"Ich ..., " beginnt Anika. Doch dann bricht sie ab. Sie sammelt sich und beginnt erneut. "Ich .. ich ... wollte nur schon mal nach den Geschenken gucken," erklärt sie.
"So, was wünscht du dir denn?", fragt Elor. "Ich wünsche mir ein Fahrrad." antwortet Anika sofort.
"Nun, vielleicht bekommst du morgen ein Fahrrad," spricht Elor. "das weiß ich nicht. Aber ich kann dir einen anderen Wunsch erfüllen." "Was denn," fragt Anika ganz begeistert.
"Ich habe 3 Wünsche zur Auswahl. Aber nur einen kann ich dir erfüllen. Welchen, das kannst du entscheiden."
"Ok," sagt Anika. "Was sind das denn für 3 Wünsche?"
"Also," beginnt Elor. "der 1. Wunsch ist ein neues Auge für deinen Teddybär ..."
"Auja," unterbricht Anika ihn, "dann kann er endlich wieder richtig sehen!"
"Warte doch erst was der 2. Wunsch ist, vielleicht möchtest du das ja noch lieber haben," beschwichtigt Elor. "Denn der 2. Wunsch ist eine Baby-Born-Puppe."
"O ja! O ja! Die nehme ich! Ich habe mir schon immer eine Baby-Born-Puppe gewünscht," ruft Anika vollends begeistert.
"Ganz ruhig. Lass mich erst noch den 3. Wunsch erzählen," fährt Elor ungerührt fort. "Der 3. Wunsch gibt dir  die Möglichkeit zu dem größten Lebkuchenhaus der Welt zukommen und davon zu probieren."
Anikas Mund steht offen. "Ich liebe Lebkuchen!", bringt sie dann hervor.
"Nun," spricht Elor, "jetzt musst du dich entscheiden, welchen Wunsch du nimmst."
"Hm," macht Anika. Am liebsten würde sie alle 3 Wünsche nehmen. Doch dann entscheidet sie sich. "Das Auge für meinen Teddybär und die Baby-Born-Puppe kann ich ja immer noch bekommen. Also nehme ich die Fahrt zum Lebkuchenhaus."
"Also gut, du hast dich entschieden," erwidert Elor, "dann nimm meine Hand und ich werde dich hinführen."
"Daraufhin ergreift Anika mit der freien Hand (in der anderen hat sie noch immer fest ihren Teddybär) Elors Hand und plötzlich erscheinen überall Sternchen und alles dreht sich. Dann wird es dunkel.

***

Weihnachtsmusik. Ein Luftzug. Menschenlärm.
Anika öffnet die Augen. Sie kniet auf Marmorfußboden. Sie blickt auf.
Anika befindet sich in einem großen, hellen Gang. Oben an der Decke hängen riesige Kronleuchter. Links und rechts reiht sich ein buntes Geschäft an das nächste. Die Schaufenster sind mit Sternen, blinkenden Lämpchen und feinem, künstlichen Schneepulver dekoriert.
Vor den Geschäften, auf dem Boden, verläuft ein Rollband. Auf diesem Rollband stehen, dichtgedrängt, Menschen, Familien. Sie sehen alle gleich aus. Das heisst fast alle. Es gibt eine Sorte Frauen, eine Sorte Männer und eine Sorte Jungen und Mädchen. Die Männer sind muskulös und gutaussehend. Die Frauen sind eine schöner als die andere und die Kinder sind kleine Abbilder von ihnen. Die Frauen in teuren Kostümen, Schälen und Schuhen. Es gibt natürlich auch ein paar ältere Menschen. Doch diese sehen auch genauso wie die jüngeren aus, nur dass sie Falten im Gesicht haben und ihre Körper alt sind. Zu manchen von ihren Füßen gehen stockend an einer Metallleine Hunde aus Eisen und Stahl. Sie bewegen wie Maschinen ihre Beine. Alle 10 Sekunden stößen sie ein metallenes rasselndes Geräusch aus, was wohl ein Bällen sein soll. Sie sehen alle gleich aus. Nahe zu perfekt in ihrem Aussehen, wären sie nicht elektrische Maschinen.  In den Händen halten die Menschen sich ausbeulende Taschen mit Geschenken.
Jedes einzelne Gesicht ist angespannt. Die Stirn ist voller Schweißtropfen.
Aus den Ausgängen der Geschäfte strömen weitere Menschen auf die Rollbänder.
Plötzlich stocken diese.

Anika, verwirrt und zitternd in ihrem dünnen Nachthemd, geht auf eine alte, dicke Frau zu. Vorsichtig zupft sie sie an ihrem Mantelsaum. Doch die Frau schüttelt Anikas Hand, wie eine lästige Fliege, einfach ab und ignoriert sie.
"Wo bin ich?", fragt Anika verzweifelt. Doch auch die anderen Menschen ringsherum (die Rollbänder setzen sich wieder in Bewegung) nehmen keine Notiz von ihr. In der Mitte des Ganges stehen im Abstand von 10 Metern elektrische Weihnachtsmänner. Auf ihrer Brust sind mehrere Tasten mit Bildern von Lebkuchen, Eis, Zuckerwatte und Bonbons. Wenn man auf einen dieser Knöpfe drückt, kommt das Gewünschte aus dem Mund des Weihnachtsmannes heraus.
Um diese elektrischen Weihnachtsmänner herum stehen jeweils drei Bänke. Zwischen diesen Bänken fahren kleine Roboter hin und her und fragen, ob man etwas zu trinken möchte. Auf einer dieser Bänke sitzt eine alte, ein wenig mollige, aber sympathisch scheinende Frau, eine Zeitung auf den Knien und liest darin.
Anika geht auf sie zu. Die alte Frau blickt auf und lächelt, als sie die kleine Anika sieht.
Es ist das erste Lächeln, das Anika sieht, seit sie in diesen Gang gekommen ist.
"Na, mein Kind. Was stehst du hier alleine in deinem dünnen Nachthemd herum?", fragt die Frau Anika.
Anika setzt sich neben die alte Frau auf die Bank und fragt: "Wo bin ich?".
Die alte Frau blickt sie an und antwortet: "Du bist in 'Worldice', dem größten Einkaufszentrum in Frankfurt."
"Oh," erwidert Anika. "Und was machst du hier?" "Ich lese die Zeitung. Soll ich dir etwas vorlesen?", fragt die alte Frau. "Ja, bitte," antwortet Anika.
"Also," beginnt die Frau. "Es ist der 22. Dezember im Jahre 3000. Eines Abends geht Frau Mause hinaus in ihren Garten ..."
Anika lauscht der alten Frau bedächtig. Dann, nachdem diese fertig mit vorlesen ist, fällt Anikas Blick auf die Menschen auf den Rollbändern. "Wieso schauen die denn alle so traurig? Morgen ist doch Weihnachten.", fragt Anika die alte Frau. "Tja, weisst du, Weihnachten ist nicht mehr so, wie es einmal vor 1000 Jahren war. Die Menschen wurden geklont. Es wurden aber nur wenige, nämlich die allerschönsten, allerschlausten und allerstärksten geklont. Es gibt einen Wettkampf, in dem es darum geht, wer die meisten, größten und teuersten Geschenke bekommt oder verschenkt. Der Gewinner ist am angesehensten und zeigt das auch allen. Es geht nicht mehr um das Schenken von Herzen. Und das ist traurig."
Anika und die alte Frau reden noch ein wenig, bis Anika plötzlich einfällt, wieso sie eigentlich hier ist. "Weisst du, wo es hier ein großes Lebkuchenhaus gibt?", fragt sie die alte Frau. "Natürlich," antwortet diese. "Du musst nur diesem Gang folgen, dann kommst du in einen großen Saal in dem das größte Lebkuchenhaus der Welt steht."
"Danke," spricht Anika, verabschiedet sich von der alten Frau und macht sich auf den Weg.

***

Anika geht den Gang entlang, wie die alte Frau es ihr gesagt hatte. Dann nach ein paar Minuten erreicht sie einen riesigen Saal, mit einer durchsichtigen Kuppel aus Glas (durch diese Kuppel sieht man den Sternenhimmel). In diesem Saal steht das größte Lebkuchenhaus der Welt. Und das ist es wirklich. Es ist aus großen Lebkuchen gebaut, das Dach reicht fast bis an die Kuppel heran. Anika muss den Kopf in den Nacken legen, damit sie es überhaupt sieht. Die Lebkuchen sind mit Tonnen von Zuckerguss überzogen und allerhand Leckereien schmücken die Wände des Lebkuchenhauses.
An den Wänden des kreisrunden Saales sind noch mehr Geschäfte und auch vor ihnen führen Rollbänder vorbei.
Die Menschen interessiert das Lebkuchenhaus aber gar nicht sonderlich. Geradeso als ob nichts mehr für sie neu oder interessant sein könnte. Anika jedoch ist begeistert. Sie geht in kleinen Schritten immer näher auf das Lebkuchenhaus hinzu. Da niemand von ihr Notiz nimmt steht sie schließlich vor dem Lebkuchenhaus. Die saftigen Lebkuchen sehen aus der Nähe noch leckerer aus, als von weitem. Anika blickt sich rasch nach allen Seiten um, dann bricht sie sich ein Stück von einem Lebkuchen ab. "Das ist der beste Lebkuchen, den ich je gegessen habe.", denkt sie und bricht sich noch weitere Happen ab bis sie satt ist. Dann steckt sie sich noch mehrere Stücke in die Taschen ihrer Strickjacke. Plötzlich hört sie eine leise Stimme rufen. "Anika! Komm, kleine Anika!", ruft die Stimme. Sie scheint direkt aus dem Lebkuchenhaus zu kommen. Anika ist verwirrt. Doch überwindet sie ihre Angst, geht an dem Lebkuchenhaus herum und sucht nach einem Eingang. Dann findet sie eine Tür mit einem Türgriff. "Ja, das machst du gut, komm kleine Anika!", ruft die Stimme, die jetzt direkt hinter der Tür zu sein scheint. Das gibt Anika einen Ruck und sie öffnet die Tür. Drinnen herrscht gleißendes Licht. Plötzlich erscheinen überall Sternchen und die Stimme nimmt Gestalt an. Sie nimmt die Gestalt von ... Elor an!
Dieser spricht: "Hast du denn noch nicht begriffen, was Weihnachten wirklich bedeutet? Man darf sich nicht immer alles nehmen, man muss auch geben können, Anika." "Oh," erwidert Anika ganz traurig, "das wusste ich wirklich nicht."
"Nun, ich gebe dir noch eine Gelegenheit.", spricht Elor. "Ich möchte aber zu meiner Familie. Ich möchte nach Hause!", ruft Anika. "Du wirst noch früh genug zu Hause sein, keine Sorge", verspricht Elor.
Auf einmal fangen die Sterne an, sich wie wild zu drehen und auch alles um Anika herum dreht sich und wird dann dunkel.

***

Kälte. Dunkelheit.
Anika wacht auf. Sie erschrickt. "Wo bin ich denn jetzt hingekommen?", fragt sie sich. Sie blickt auf. Ihre Füße stehen auf Schnee. Der Schnee dringt durch ihre Hausschuhe und durchnässt diese. Vor sich erkennt sie eine Wand, die wohl zu einer Hütte gehört, denn sie hört leise ein Kind dahinter wimmern. Rechts von der Hütte erkennt sie einen dunklen Schatten. Schwach hört sie mehrere Ziegen blöken. Etwas anderes kann sie in der Dunkelheit nicht erkennen. Ein Geruch weht aus der Hütte nach draußen. Es riecht nach heisser Milch. Durch ein Fenster, welches mit einem Fell (einem Fell?) verhangen ist, dringt warmer Lichtschein nach draußen. Wie gerne wäre Anika jetzt dort drinnen, bei diesen Menschen, würde etwas essen und sich wie zu Hause fühlen. Zu Hause! Anika sehnt sich sehr nach zu Hause. Da entschließt sie sich, an die Tür zu klopfen. Sie hebt ihre Hand und schlägt einmal gegen die Tür. Plötzlich herrscht drinnen Ruhe. "Wer da?", ruft eine rauhe Stimme und Scharren ertönt. Kurze Stille und dann wieder die rauhe Stimme. "Wer treibt sich zu dieser Stunde um die Häuser? Wir haben nichts was sich zu rauben lohnt. Lasst uns in Ruhe."  Anika, ganz verstört, nimmt sich jedoch dennoch zusammen und ruft: "Ich bin es. Bitte lasst mich herein. Hier draußen ist es so kalt." Daraufhin  erklingen Schritte in der Hütte und kurz darauf wird die Tür geöffnet. Ein Mann schiebt seinen Kopf heraus und musterst Anika von oben bis unten. Dann fragt er:" Was machst du hier, Kleine? Warum bist du nicht zu Hause?". Da Anika das ja auch nicht weiß, antwortet sie darauf nicht sondern schaut bittend zu dem Mann empor. "Bitte, es ist kalt hier draußen. Darf ich reinkommen?" Nach einem misstrauischen Blick auf Anikas blaues Nachthemd, ihre rosa Plüschhausschuhe und ihren Teddybär in der einen Hand, öffnet der Mann die Tür so weit, dass Anika eintreten kann. Hinter ihr schließt der Mann die Tür und verriegelt sie. Anika blickt sich in dem kleinen Raum um. Er liegt im Dämmerlicht. Das Licht dringt aus einem Raum, der auf der gegenüberliegenden Seite der Tür liegt. Die Tür zu diesem Raum ist mit einem dünnen Fell verhangen. Langsam wundert sich Anika wirklich sehr über diese ganzen Felle, die Fenster und Türen verhängen in dieser Hütte. Hinter dieser Tür hört Anika das Kinderwimmern nun deutlicher als zuvor.
Ihre Augen gewöhnen sich langsam an das Dämmerlicht und sie sieht, dass sich der Mann auf einen Stuhl, der vor einem Tisch an der rechten Wand steht, gesetzt hat. Im ganzen Raum verteilt liegen Reisigbündel und angefangene und fertiggestellte Körbe aus Reisig. Links, an der gegenüberliegenden Wand von der Tür gelegenen Ecke befindet sich eine Feuerstelle mit einem Kessel darüber. Das Feuer flackert hin und her und verbreitet angenehme Wärme. Anika geht auf den Kessel zu und sieht darin die, mittlerweile kochende, Milch. An den Wänden um die Feuerstelle hängen Bretter an den Wänden mit Tongefäßen, in denen Nahrungsmittel gelagert werden. "Warum haben diese Menschen eine Feuerstelle?", fragt sich Anika. "Kein normaler Mensch hat eine Feuerstelle, sondern einen Herd zum Kochen. Und was der Mann anhat ...", wundert sich Anika und blickt vorsichtig zu dem Mann herüber. Dieser ist in ... Felle gewickelt, die zu einer Hose, Schuhen und einer Jacke geschneidert wurden! Anika gibt es auf, sich über ihre neue Umgebung zu wundern.
Plötzlich wird das Fell, welches die Tür zum Nebenraum verdeckt, beiseite gezogen und eine Frau, mit einem Baby auf dem Arm, tritt heraus. "Wer war das Friedhelm?", fragt diese den Mann am Tisch. Dieser deutet mit seinem Arm auf Anika, die vor der Feuerstelle kniet und sich aufwärmt.
"Oh, ein kleines Kind!", ruft die Frau und geht auf Anika zu. "Wieso hast du das nicht gleich gesagt, Friedhelm?", fragt sie vorwurfsvoll. Dann fällt ihr Blick auf die Kleidung von Anika. Auch sie verzieht misstrauisch das Gesicht, lässt sich aber sonst nichts anmerken.
Da sieht sie, dass Anika noch immer zittert. "Du armes, kleines Mädchen. Du zitterst ja. Und Hunger wirst du wohl auch haben.", spricht sie. Sie holt eine Decke aus einer Truhe und hängt sie um Anikas Schultern. Dann nimmt sie ein Trinkgefäß aus Ton aus einem Regal, füllt mit einer Schöpfkelle Milch hinein und gibt es Anika. Dann führt sie sie in den Nebenraum, das Baby an ihre Brust gedrückt.
In der Mitte auf dem Boden liegen mehrere glühende Kohlen auf einer Steinfläche. Sie wärmen den Raum. Der Raum ist noch kleiner als der Hauptraum. In der linken Hälfte liegen auf 3 Strohlagern 3 schlafende Kinder im Alter von 2 bis 5 Jahren. In der anderen Hälfte sind zwei weitere Strohlager aufgeschüttet. Die Frau führt Anika zu dem Lager des ältesten Kindes. Ein Mädchen. Sie weist auf das Lager und geht dann leise, um die Kinder nicht zu wecken zu einem der Strohlager auf der anderen Seite und legt das mittlerweile schlafende Baby neben sich. Anika legt sich vorsichtig neben das schlafende Kind. Dieses wacht plötzlich auf. Sein Magen knurrt. Es blickt Anika an. Da fallen Anika plötzlich die Lebkuchenstücke ein, die sie in ihre Strickjacke gesteckt hatte. Sie holt sie heraus und gibt sie dem kleinen Mädchen. Dieses nimmt sie dankbar und kaut glücklich vor sich hin.
Da kommt der Vater in das Zimmer. Er geht auf seine Frau zu und spricht in gedämpften Tonfall zu ihr. "Du weisst doch, dass die letzte Ernte eine  Missernte war. Wir haben sowieso schon fast nichts zu Essen und der Winter wird härter als je zuvor. Wir können dieses merkwürdige Kind nicht auch noch durchfüttern, wo unsere eigenen Kinder wahrscheinlich nicht satt werden.", spricht der Vater. Anika ist bestürzt und zutiefst erschüttert. Sie fängt an zu weinen.
Der Vater und die Mutter schrecken auf. "Da siehst du was du angerichtet hast, Friedhelm! Jetzt weint sie!", sagt die Mutter und geht auf Anika zu. "Schhh ...", beruhigt sie Anika. "Es ist alles gut. Du darfst bei uns bleiben.", verspricht die Mutter. "Sie sind so lieb zu mir. Und dabei habe ich das gar nicht verdient." sagt Anika und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. "Ich weine aber nicht deshalb, sondern weil doch morgen Weihnachten ist. und ihr euch wegen mir streitet." "Wegen was? Wegen Weihnachten? Was soll das sein?", fragt die Mutter verwirrt. "Wie ... ? Du weisst nicht das morgen Weihnachten ist?", fragt Anika, "also auch nicht, dass da der Jesus Christus geboren wurde?", fragt Anika ganz bestürzt. "Wer soll das sein? Kind, du hast wohl ein bisschen zu wenig geschlafen. Vielleicht hast du dich ja auch unterkühlt. Armes Kindchen." spricht die Mutter.
"Aber, ... ", will Anika widersprechen. Doch die Mutter legt die Decke ordentlich über sie und stopft sie fest. Sie streicht über ihre Wange und wünscht ihr eine gute Nacht. Dann geht sie zum Lager auf der anderen Seite und legt sich auch schlafen.

***

Anika erwacht. Sie fühlt sich mollig warm. Es wird langsam hell.
Neben ihr schläft noch immer das kleine Mädchen, in den Armen Anikas Teddybären. Die Mutter ist aufgestanden und kommt herüber zu den Kindern. Sanft rüttelt sie jedes einzelne und weckt es. Auch Anika.
Die Kinder stehen auf und tapsen mit Decken über den Schultern in den Hauptraum. Die Mutter, die schnell das Stroh aufgeschüttelt hat, eilt hinter ihnen her. "Auf, geht nach draußen und wascht euch mit Schnee!", fordert die Mutter sie auf und fängt an das Baby (welches sie in den Armen trägt) zu stillen. Anika stürmt mit den anderen Kindern nach draußen. Sie erblickt ein idyllisches, kleines verschneites Dorf (wenn man überhaupt von einem Dorf reden kann, eine Ansammlung von Hütten mit Ställen würde besser zutreffen). Auf einer Hügelkuppe sieht Anika zugeschneite Felder liegen. Die Kinder tapsen durch den eisigen Schnee und bewerfen sich damit. Dann waschen sie sich so gut es gut mit dem Schnee das Gesicht.
Die Mutter tritt mit zwei Körben in den Händen (das Baby in einem Tuch auf dem Rücken) aus der Hütte. "Nun beeilt euch und melkt die Ziegen im Stall, Kinder", ruft sie ihnen zu und beginnt Schnee in die Körbe zu schaufeln. Die Kinder rennen zum Stall. Dort drinnen ist es wohlig warm von der Wärme der Tiere. Eine kleine Herde von Schafen und Ziegen trollt sich darin herum. "Oh, wir haben die Krüge vergessen.", fällt da dem ältesten Mädchen ein (sie heisst Betti) und sie läuft schnell zurück in die Hütte und holt zwei Krüge aus Ton. Dann beginnen sie die Ziegen zu melken. Da Anika nicht weiß wie das geht, zeigen es ihr die anderen Kinder nach kurzem Stirnrunzeln. Als sie fast fertig sind (eines der beiden jüngsten Kinder war schon drei mal wieder zur Hütte gelaufen um die Krüge auszuleeren), kommt der Vater herein. "Guten Morgen, Kinder.", ruft er und zieht einen Karren voller Heu in den Stall. Die Tiere blöken laut und drängen auf die Futterkrippen zu, in die der Vater das Heu schaufelt.
Die Kinder gehen mit den letzten Krügen Milch wieder in die Hütte. Mittlerweile hat die Mutter den ganzen Schnee geschmolzen und wieder in die Eimer gefüllt. Diese müssen die Kinder nun auch noch zum Stall schleppen und sie den Tieren in die Tränke füllen.
Danach gehen sie wieder in die Hütte. Die Mutter hat in der Zwischenzeit die Milch zum Kochen gebracht und einen Haferbrei daraus gemacht. Nun bekommt jeder etwas davon in einen Tonnapf gefüllt und die ganze Familie (der Vater ist mittlerweile auch wieder in der Hütte) löffelt friedlich den Brei. Nach dem Essen geht der Vater wieder in den Stall und mistet aus. Die Mutter und die Kinder flechten Körbe (das Körbeflechten mussten sie Anika auch erst beibringen). Anika sitzt neben Betti. Diese holt Anikas Teddybär aus dem Nebenzimmer und setzt ihn zwischen sich und Anika. Anika fühlt sich wohl bei der Familie, doch sie sehnt sich auch nach ihrer wirklichen Familie. Wie gerne wäre sie jetzt bei ihnen. "Jetzt stehen grade bestimmt alle auf und frühstücken gleich.", denkt sie traurig.
Neben ihr betrachtet Betti den Teddybär. "Ein Bär zum spielen. So etwas habe ich noch nie gesehen, aber ich mag ihn.", sagt sie zu Anika. "Ja, er ist etwas besonderes. Ich habe ihn zum Geburtstag bekommen, als ich noch klein war.", erklärt Anika. Da sieht sie ein Schimmern in Bettis Augen, während diese den Teddybär betrachtet. "Ich schenke ihn dir," sagt Anika dann entschlossen. "Was?", fragt Betti ungläubig. "Du schenkst ihn mir?" "Ja, ich habe ihn lange genug gehabt und du freust dich darüber.", sagt Anika. Betti hat Tränen in den Augen und spricht. "Ich danke dir, Anika. Du hast mich wirklich glücklich gemacht. Daraufhin umarmen sich die beiden Mädchen.
Plötzlich erscheinen überall Sternchen und Betti und die Hütte verschwinden nach einem Augenblick völlig. Da taucht Elor vor ihr auf. Er schaut stolz auf Anika und spricht dann zu ihr: "Nun, kleine Anika. Du warst im Jahre 3000 vor Christus. Jetzt weisst du wie schön es ist, einem anderen eine Freude zu machen. Und du hast begriffen, was an Weihnachten wirklich wichtig ist. Dann wird es um Anika herum dunkel.

***

"Anika! Aufwachen!", ruft eine Anika vertraute Stimme. Dann noch einmal. "Anika!". Diesmal nahe bei ihr. Da wacht Anika auf.
Sie liegt auf etwas weichem. Über ihr eine vertraute Holzdecke. Und neben ihr das Gesicht ihrer Mutter. "Oh, Mami", bringt Anika hervor. "Ich hab dich so vermisst.", fährt sie fort. Die Mutter, kurz etwas verwirrt, lächelt und sagt "Ich habe dich auch vermisst. Aber was machst du hier unten im Wohnzimmer auf dem Teppich? Wieso hast du nicht in deinem Bett geschlafen?", fragt die Mutter besorgt. "Da war so eine nette Familie. Und draußen war es so schrecklich kalt. Da haben sie mich reingelassen und mir etwas zu essen gegeben. Dann hab ich da auch geschlafen. Und am nächsten Tag, ...", will Anika weiter erzählen, doch ihre Mutter unterbricht sie. "Achso. Na dann ist ja alles gut. Wolltest du nach den Geschenken gucken und bist dann hier eingeschlafen." "Nein, also schon, aber," will Anika erklären aber ihre Mutter trägt sie hoch in ihr Zimmer und legt sie ins Bett. "Wärm dich ein bisschen auf und schlaf noch ein wenig, meine Kleine", spricht die Mutter.

***

Es ist Heilig Abend. Das Christkind hat bei Anikas Familie die Geschenke gebracht und nun sitzen alle im Wohnzimmer und packen ihre Geschenke aus. Anika bekommt ein Knopfauge für ihren Teddybär und eine Baby-Born-Puppe mit Zubehör. Sie ist glücklich. Aber nicht wirklich, denn was sie sich am allermeisten gewünscht hat, hat sie nicht bekommen.
Da klingelt es an der Tür. Anika springt auf. Doch es sind nur die Nachbarn, die ein schönes Fest wünschen. Die Mutter die die Tür geöffnet hatte, kommt wieder ins Wohnzimmer. "Anika, eben hab ich den Weihnachtsmann hinter der Hausecke verschwinden sehen. Ich glaube er hat etwas vergessen. Sieh mal da auf dem Hof, da ist noch ein Geschenk für dich.", sagt sie.
Anika stürmt nach draußen. Sie rennt auf den dunklen Schemen zu, schlittert über eine vereiste Pfütze und bleibt vor einem grünen Kinderfahrrad mit Stützrädern stehen. "Danke Weihnachtsmann, dass du mir noch ein Fahrrad vorbeigebracht hast.", murmelt Anika überglücklich vor sich hin.
Die Familie singt nach dem Essen noch fröhliche Lieder unter dem Weihnachtsbaum. Danach fragt Anikas eine große Schwester Marieke leicht spöttisch: "Anika wo hast du denn eigentlich deinen Teddybär, den schleppst du doch sonst auch überall hin mit?!". Anika streckt ihr die Zunge heraus und schaut sich um. Doch ihr Teddybär ist nirgends zu sehen. Auch nachdem die Familie im ganzen Haus gesucht hat, findet sie ihn nicht. Nachts, als Anika in ihrem Bett liegt, flüstert sie leise: "Ich weiß wo mein Teddybär ist. Aber ich bin nicht traurig, denn ich weiß ja, dass Betti überglücklich mit ihm ist."