"Die verschwundenen Spenden"
von Svenja (13)



Es war am Heiligabend. Draußen schneite es schon seit Stunden. In der Kirche war der  Weihnachtsgottesdienst im vollen Gange. Gerade wurde das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen, während der Klingelbeutel durch die Reihen ging. 

„Mist, ich habe nur noch einen Zwanzigmarkschein. Miriam, hast du nicht noch ein bisschen Kleingeld?“ flüsterte Johanna ihrer Freundin zu. 

„Nein, Jo“, flüsterte diese zurück. „Aber vieleicht hat Chris ja noch was.“ 

Doch da hörten sie schon Chris´ Stimme: „ Ich hab´ auch kein Geld für dich. Aber warum spendest du nicht den Zwanzigmarkschein. Es ist doch für Kinder in Afrika.“ 

„Du hast recht, Chris“, meinte seine Schwester. Da kam auch schon der Klingelbeutel. Johanna warf ihren Zwanzigmarkschein in den Beutel und gab den Klingelbeutel an den Kirchendiener weiter, der das Geld in die Sakristei brachte, wo es gleich gezählt wurde. 

Jetzt war die Zeit für Roland Ludwig gekommen. Das Abendmahl sollte beginnen. Er ging, wie die meisten in der Kirche, nach vorne. Doch kurz vor dem Altar verschwand er hinter einer Säule. Mit schweißnassen Händen beobachtete er die Tür zur Sakristei. Jetzt kam der Kirchendiener mit einem Tablett voller Oblaten und Altarwein wieder hinaus. Roland blickte sich noch einmal um, doch niemand schien bemerkt zu haben, dass er hinter der Säule verschwunden war. Leise schlich er zur Tür; immer im Schatten der großen Säulen. Dort angekommen öffnete er so leise wie es ging die Tür. Sie knarrte ein bisschen, doch keiner schien das zu bemerken. Auf Zehenspitzen schlich Roland durch die Türöffnung. Und dort lag das Geld! Er brauchte es nur nehmen und in seine großen Manteltaschen stecken. Dann öffnete er die Hintertür. Es schneite immer noch. Roland Ludwig zog seinen Mantel noch etwas fester zu und ging hinaus.

„Gut“, dachte er, „in einer Minute sind meine Fußspuren wieder zugeschneit. Keiner wird merken, in welche Richtung ich gegangen bin.“ 

Leise schloss er die Tür hinter sich und begann dann Richtung Bushaltestelle zu gehen. Aus der Kirche hörte er den Chor „O du fröhliche“ singen. 
Bald war er an der Bushaltestelle angekommen. Als Roland auf den Busfahrplan guckte, sah er zu seiner großen Entäuschung, dass der nächste Bus erst in einer halben Stunde fuhr. Er setzte sich auf eine Bank und wartete. 

„Huch!“ Roland schreckte hoch. „Ich bin wohl eingenickt. Wie spät es jetzt wohl ist? Ob sie schon bemerkt haben,dass das Geld...“ Er drehte sich um. Drei Kinder, die aufgeregt redeten, kamen auf die Bushaltestelle zu. 

„Sind die nicht auch beim Gottesdienst gewesen? Wahrscheinlich  hat der Kirchendiener schon entdeckt, dass die Spenden verschwunden sind“, überlegte Roland und zog seinen Hut etwas tiefer in die Stirn, denn die Kinder waren jetzt neben ihm angekommen.

„Hast du das gehört, Chris? Über zweitausend Mark, hat der Pastor gesagt! Und alles wurde gestohlen. Dass es überhaupt Menschen gibt, die so etwas machen. Und gerade heute, wo doch Weihnachten ist!“

„Das versteh´ ich auch nicht, Jo. Ich mein´, es ist doch für Kinder in Afrika. Für die Kinder, die schwer krank sind, und für die Kinder, die keine Eltern mehr haben.“

„Chris, Johanna, ich hab´ mir eins von den Heften genommen, die im Vorraum der Kirche lagen. Hier steht, dass viele Kinder schon ganz krank sind, weil sie zu wenig zu essen haben. Mit den zweitausend Mark hätten wir bestimmt vielen Kindern geholfen... Oh, da ist  schon unser Bus! Schnell, nach diesem hier fährt der nächste erst um zehn Uhr!“ 

Die drei Kinder rannten so schnell wie sie konnten zum Bus. Roland atmete erleichtert auf, und war gleichzeitig wie vom Schlag getroffen. Daran hatte er gar nicht gedacht. Wegen ihm würden vielleicht hunderte von Kindern vor Hunger sterben müssen. Wie konnte er nur so hartherzig sein?  Betroffen sah er dem Bus nach. Plötzlich sprang er auf. Er hatte einen Entschluss gefasst. 

„ Ja, diese Tür ist auch verschlossen.“ Pastor Schütz überprüfte noch einmal, ob auch alle Türen abgeschlossen waren. Zuletzt ging er durch die Kirche zur Sakristei. Er wollte noch einmal nach dem Geld suchen. Er wusste, dass es unmöglich noch da sein konnte. Die Polizei hatte ja auch schon alles durchsucht. Trotzdem wollte er noch einmal suchen. Er öffnete die knarrende Tür und... Er konnte seinen Augen kaum glauben. ... da lag das Geld! Mit zitternden Knien ging  der Pastor zum Tisch. Dort zählte er das Geld. 500,1000...Genau 2271 Mark. 

„Was?! Das kann doch nicht sein? Oder? Vorhin beim Zählen waren es doch 2171 Mark gewesen.“ Pastor Schütz blickte zur Vergewisserung noch einmal auf den Zettel, auf dem der Spendenbetrag aufgeschrieben war. Er zählte noch einmal - doch, er hatte richtig gezählt. Wieso waren es auf einmal 100 Mark mehr als vorher? Er starrte auf die Tischplatte und grübelte. Da bemerkte er, dass ein Zettel auf dem Tisch lag. Er beugte sich vor, um besser lesen zu können. Auf dem Zettel stand:
 

Lieber Herr Pastor...

Ich habe das Geld genommen. Doch dann habe ich eingesehen, dass es falsch von mir war, die Spenden zu klauen. Um es wieder gutzumachen, habe ich noch 100 Mark von mir dazugelegt. 

Frohe Weihnachten!