Es war einer dieser Wintertage,
kalt und windig. Mein Mantel wehte wie eine Schleppe hinter mir her, als
ich die Straße zu meiner kleinen Wohnung hinunterging. Ich hatte
es eilig - warum, wußte ich selbst nicht, aber es sah auf jeden Fall
sehr seriös aus, wenn man schnellen Schrittes auf dem Fußgängerweg
entlangstapfte.
Doch wie jedes Jahr würde ich Weihnachten
allein feiern, warum sollte ich mich mit diesen albernen Menschen aus meinem
Viertel abgeben? Diese Leute, die nie Bücher lasen und nicht zu wissen
schienen, was Musik ist. Jedenfalls hörten sie nie welche, nur dieses
dumpfe Hämmern irgendwelcher noch dümmeren Discorythmen. Nein,
die waren mir entschieden zu öde.
Aber andererseits war es nicht besonders schön,
an Weihnachten auf seinen mikrigen Baum zu starren, immer nur an die Freunde
denkend, die nicht dabei sein konnten - immer mit tränenverschleierten
Augen in die Weihnachtskerze zu starren und dabei nichts als Traurigkeit
zu empfinden, über diese grenzenlose Einsamkeit. Sicher klinge ich
jetzt egoistisch, es gibt viele einsame Menschen auf der Welt... aber ich
möchte nicht zu ihnen gehören, das weiß ich ganz sicher.
Naja, wie gesagt ging ich an diesem 22. Dezember
die Straße hinunter, fest entschlossen, fröhlich zu wirken und
so zu tun, als hätte ich Tausende von Freunden, die nur darauf warteten,
mit mir den heiligen Abend zu verbringen. Ich schloss meine Wohnungstür
auf und atmete den Duft von Zimt und Orangen ein, den ich jedes Jahr sorgsam
in den Zimmern verteilte, wenn auch mit einer Weihnachtsparfumflasche.
Aber das störte mich wenig, es roch außerdem überhaupt
nicht künstlich.
Ich knipste das Licht an und betrachtete den kleinen
Tannenbaum, den ich mit einer bunten Lichterkette und ein paar bunten Papierschnipseln
geschmückt hatte.
Er sah irgendwie schön aus und ich war zufrieden
mit meinem Talent, den Baum jedes Mal unverändert zu dekorieren. Dann,
nachdem ich mich meines Mantels entledigt hatte, setzte ich mich an Fenster
und sah hinaus. Wie jeden Abend im Dezember. Und ich wartete auf Schnee,
aber es fiel keiner. Unten auf der Straße sah ich Kinder mit ihren
Schals und ihren Mützen, die meistens ziemlich geschmacklos aussahen.
Aber die Kinder dort feierten wenigstens nicht allein, das wußte
ich und bei dem Gedanken daran bemerkte ich wieder dieses Gefühl,
das ich immer hatte, wenn ich so traurig war. Die Häuser auf der gegenüberliegenden
Seite verschwammen vor meinen Augen und ihre hell erleuchteten Fenster
bildeten ein schönes, gelbes Muster.
Plötzlich schien die ganze Welt hell erleuchtet
und ich hörte etwas seltsames. Es war nichts Überirdisches, sicher
auch keine Engelsglocken, nein. Jemand rief meinen Namen, von der Straße
aus zu mir hoch. Ich wischte mir schnell die Tränen aus den Augen,
nicht um meine Gefühle zu verstecken, sondern um die Herkunft der
Stimme erkennen zu können. Dort unten stand ein kleines Mädchen,
sie wohnte nebenan. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, saß sie
immer auf der Treppe zur Wohnanlage und sah mich mit ihren großen
Augen an. Vor einer Woche hatte sie mich gefragt, was ich für einen
Beruf hätte. Als ich es ihr sagte, leuchteten ihre Augen auf und sie
sagte : "Mein Daddy hat mir ganz viel von dem Beruf erzählt. Ihr sitzt
an einem Tisch und lügt Leute an, die euch nerven." - Ganz so hätte
ich selber meinen Job zwar nicht umschrieben, aber schließlich hatte
sie auch irgendwo Recht. Ich arbeitete bei der Beschwerdestelle für
ein Elektrounternehmen und die Leute, die nicht zufrieden waren, konnten
einen wirklich zur Weißglut treiben.
Ich rief zurück : "Maireen! - Bist du das?
Komm doch rauf!"
Ich sah, wie sie aufsprang und kurze Zeit später
klopfte es an der Tür. Ich machte auf und begrüßte die
Kleine.
"Hallo Maireen. Was machst du so ganz allein
da draußen? Es ist doch schon dunkel!"
Sie grinste und zeigte dabei ihre gesamten Zahnlücken,
ich hätte sie auf acht Jahre geschätzt und da war der Zahnwechsel
besonders tückisch.
"Ich wollte dich einladen zu Weihnachten, zu
meiner Familie. Meine Eltern haben gesagt, du könntest vorbeikommen."
Ich hatte ihre Eltern nie gesehen, sie lebten immer sehr zurückgezogen
und oft schien Maireen ihr einziger Kontakt zu Außenwelt zu sein.
"Das ist sehr lieb von deinen Eltern, ich werde
mir überlegen ob ich kommen kann."
Was schwafelte ich da? Seit fünf Jahren
hatte ich nie etwas zu tun an Weihnachten, hatte immer allein rumgehockt
in meiner Wohnung. Natürlich würde ich kommen können.
"Ja, du mußt unbedingt kommen! Bitte bitte
bitte!!!" Und wieder leuchteten Maireen´s Augen so niedlich, wie
sie das immer taten, wenn sie sich freute. Dann sagte sie auf Wiedersehen,
weil ihre Mutter von irgendwo nach ihr rief, und rannte die Treppe hinunter.
Ich schloss die Tür und setzte mich wieder ans Fenster. Endlich hätte
ich die Chance, ein gemeinsames Weihnachten zu feiern. Das sollte ich auch
tun.
Am Morgen des 24. Dezembers stand ich spät
auf, weil ich mich immer an Weihnachten so richtig ausschlafen wollte.
Dann stellte ich mich vor den Spiegel und begann mit der alljährlichen
Feinmach- Prozedur : schönes Kleid, schöne Frisur, dezentes Make-
up. Alles sollte perfekt sein. Wie immer. Am Nachmittag stellte ich mich
an meinen kleinen Herd und kochte einen Weihnachtspudding nach dem Rezept
meiner Mutter.
Plötzlich hörte ich einen dumpfen Knall
und stürmte zum Fenster um zu sehen, was passiert war. Auf der Straße
lag ein Mädchen, zusammengekrümmt. Es war Maireen. Das Auto hatte
sofort gehalten und der Fahrer stieg aus und beugte sich über sie.
Ich stand da, am Fenster und sah hinaus. Kurze Zeit später hörte
ich die Sirenen und ein Krankenwagen hielt vor dem Haus. Ich konnte Maireen´s
Eltern sehen, es waren sicher ihre Eltern. Sie liefen mit dem Mädchen
auf dem Arm dem Krankenwagen entgegen und alle stiegen ein. Dann ging wieder
die Sirene und alles war so plötzlich vorbei, wie es wohl auch gekommen
war.
Ich sah auf die Straße, die so unberührt
war, wie vorher. Alles war sauber und schön.
Ein dummer Gedanke. Aber mir fiel nichts Besseres
ein.
Am Abend war noch immer niemand zu sehen, Maireen
war nicht wiedergekommen.
Es war schon dunkel und ich saß am Fenster
und beobachtete die Sterne am klaren Himmel. Sie strahlten hell und warm.
Ich beugte mich vor, um den kalten Wind besser
im Gesicht zu fühlen. Dann schloss ich die Augen und lächelte
der Kälte entgegen, die meine Wangen sicher schon rot gefärbt
hatte. Dann fühlte ich etwas kaltes und weiches auf meiner Stirn.
Ich öffnete die Augen wieder und sah, wie ein parr kleine, weiße
Flocken herabfielen, direkt auf mich zu. Ein Schauer durchfuhr mich. Es
sah so wunderschön aus. Dann musste ich wieder an Maireen denken und
wie sehr ich mir dieses Weihnachten mit ihr gewünscht hatte. Ich blickte
auf die gegenüberliegenden Häuser mit ihren hell erleuchteten
Fenstern und fühlte mich klein und hilflos gegen diese große
Welt voller Gefahren.
- doch war sie so schön... |