Zeit 
Zeit. Was ist das? Ein abgenutztes Wort. Abgenutzt durch zu vielen gedankenlosen Gebrauch.
Kommt Zeit, kommt Rat.
Ich habe keine Zeit.
Zeit ist Geld.
Zeit hat für mich keine Bedeutung.
Zeitalter
Lass Dir Zeit.
Die Zeit wird knapp.
Die Zeit heilt alle Wunden.
Das gibt sich mit der Zeit.
In der heutigen Zeit.....
Wie die Zeit verrinnt.....
Zeit stehlen.
Zeitlos....

Zu Weihnachten spielt die Zeit eine noch größere Rolle in unserem ohnehin schon hektischen Dasein. 

Stufe 1:
In den Kaufhäusern wird Gedrängelt und Geschubst. Krampfhafte Überlegungen zu den diesjährigen Geschenken werden angestellt, Kinder zerren fordernd an den Jackenärmeln ihrer gestressten Mütter, Menschen hetzten durch ellenlange Regale auf der Suche nach einer Erleuchtung, denn die Zeit wird knapp. 
Das Geschäft läuft auf Hochtouren, Verkäufer hetzen von einem Kunden zum nächsten, die Hände der Kassiererin fliegen über die Tasten, Bedienungen laufen sich die Füße wund. Ungeduldige Kunden halten sie alle in Atem, denn die Zeit wird knapp.
Der Kirchenchor sortiert die verstaubten Notenblätter. Lautstarkes Diskutieren über die geeignete Zusammenstellung der Lieder für den diesjährigen Weihnachtsgottesdienst. Und der Pfarrer grübelt über die richtige Wortwahl seiner Ansprache, die Messdiener proben und proben, der Ablauf muss reibungslos klappen, denn die Zeit wird knapp.
Zuhause wird geschäftig dekoriert. Die Sachen vom letzten Jahr werden aus dem verstaubten Regal im Keller gezogen, mit zitternden Fingern werden goldene Sterne an Fenstern befestigt. Fluchend wird die Weihnachtspyramide zusammengebaut, die einfach nicht so will wie sie soll und der Vater fährt seine Kinder an, dass sie endlich ihre verdammten Finger von den verdammt Krippenfiguren lassen sollen. Die Mutter fuchtelt hektisch mit den Porzellanengeln, denn die Zeit wird knapp.

Stufe 2: 
Die Kaufhäuser drohen aus den Nähten zu platzen. Es wird gerempelt und geschimpft. Jeder will die besten Schnäppchen ergattern, böse Blicke schrecken nicht ab, am Wühltisch herrscht ein wahrer Krieg, denn die Zeit steht kurz bevor.
Rabatte auf alle Weihnachtsartikel, das Geschäft auf dem Höhepunkt. Verkäufer müssen sich einiges gefallen lassen, Kassiererinnen mit gehetztem Blick lassen die Finger über die Tasten  rattern, Bedienungen scheinen um ihr Leben zu rennen. Aggressive Kunden scheinen zur Bedrohung zu werden, denn die Zeit steht kurz bevor.
Der Kirchenchor probt die Lieder immer wieder, bis zur Heiserkeit. Der Pfarrer sinniert über geeignete Betonungen und sagt seine Rede wieder und wieder auf, Messdiener widmen sich den Utensilien, stellen alles bereit, denn die Zeit steh kurz bevor.
Zuhause stürzt die Hausfrau zwischen Küche, Esszimmer, Badezimmer und Schlafzimmer und Kinderzimmer hin und her. Der Vater zwängt sich in den Anzug, fummelt nervös an der Krawatte, wirft den Kindern Bemerkungen zu, sie sollten sich endlich anziehen. Ein letzter Blick in den Backofen und auf die Frisur, denn die Zeit steht kurz bevor.  
 

Stufe 3:
Die Kaufhäuser liegen still und leer. Die Menschenmassen schon vor Stunden nach draußen geströmt. Leere Regale, verlassen. Einzig und allein die Putzfrau, die leise mit dem Schrubber durch die Gänge wandert, denn die Zeit ist da.
Die Verkäufer lockern sich die Krawatten auf dem Heimweg im Auto, die Kassiererinnen strecken sich und kneten ihre Nacken, die Bedienungen strecken alle Viere von sich und entspannen sich bei einem heißen Fußbad, die Zeit ist da.
Erwartungsvolles Rascheln in der Kirche, Räuspern, die Gemeinde schweigt. Der Pfarrer beginnt mit seiner Ansprache, seine so sorgfältig gelernten Worte kommen aus dem Herzen.
Der Chor stimmt sein Lied an, von Heiserkeit keine Spur. Warme Klänge erfüllen den Raum.
Die Messdiener sitzen still, reichen den Kelch an der richtigen Stelle, läuten die Glocken so, wie sie es gelernt haben, die Zeit ist da.
Daheim kommen die Verwandten an. Küsse folgen auf herzliche Umarmungen, die Dekorationen werden bewundert, unbefangen plaudernd setzt man sich zu Tisch. Warmes Kerzenlicht übergießt die Szene. Leuchtende Kinderaugen beim Auspacken der Geschenke, fröhliches Gelächter beim anschließenden Liedersingen, übergehend in eine ausgelassene Stimmung, die Zeit ist da. 
 

Stufe 4: 
Einige der geschäftigsten Bäcker reiben sich müde die Augen, der abgestandene Nachfeiertags-Geschmack im Mund. Die Sänger vom Kirchenchor laufen zuhause mit dem dickem Schal herum, trinken Tee und lutschen Halsbonbons. Beim Anblick des kalten, verrauchten und unaufgeräumten Esszimmers würde die Hausfrau am liebsten noch mal in ihr Bett kriechen, Kinder liegen mit trübem Blick vor der Glotze und ziehen sich Zeichentrickfilme rein. Der Vater wird aus dem Bett gescheucht zum Brötchenholen. 
Keine Spur mehr von Feiertagsstimmung, denn die Zeit ist vorbei.

Allgemeine trübe Stimmung nach einem überfeierten Fest.
Und wo ist da die Zeit geblieben?