„Mamaaa, waaach auuuf.... wie
lange dauert es noch???“ Das kleine Mädchen kletterte auf mein Bett
und hopste wie wild herum. „Wie lange dauert was noch, meine Süße?“
Ich schlug die Decke zurück und lud Noa
zu unserer morgendlichen Kuschelminute ein.
“Na, bis der Weihnachtsmann kommt??“ Sie sah
mich ganz entrüstet an. Ich musste lächeln. Es gab heutzutage
kaum noch 4-jährige Kinder, die wirklich noch an den Weihnachtsmann
glaubten. Seit meiner Kindheit hatte sich viel geändert. „Einmal musst
Du noch schlafen.“
“Okay“, sagte sie. Sie kniff die Augen ganz feste
zusammen. Ich strich ihr sanft eine ihrer wilden braunen Haarlocken aus
dem Gesicht.
“So.. fertig geschlafen! Kommt er jetzt??“
„Nein, Kleines. Wir müssen diesen Tag noch
herumbringen und dann, wenn Du heute abend einschläfst und morgen
früh wieder aufwachst, dann ist Heilig Abend. Und am späten Nachmittag
ist es dann soweit.“
„Sooooo lang noch??“ Sie schob ihre Schmolllippe
nach vorne und sah mich traurig an.
„Och Süße, das schaffen wir schon.
Auf was hast Du heute Lust. Was möchtest Du machen?“ Noa überlegte.
Es dauerte nicht lang und sie hatte eine Idee: „Wir backen die Kekse für
den Weihnachtsmann und dann gehen wir rodeln.“
Ich sah zum Fenster. Es hatte wohl die ganze
Nacht durchgeschneit. Das Fenster war mit Schneeblumen geschmückt
und auf dem Fensterbrett lag eine dicke Schneeschicht. Ein Hauch von Glückseligkeit
durchströmte mich und ich freute mich auf den Tag. Ich hatte alle
Zeit der Welt.
„Gut, dann ab unter die Dusche. Ich mach uns
erst mal ein schönes Frühstück!“
„Au fein!“ Noa raste aus dem Schlafzimmer.
Ich lehnte mich in die Kissen zurück und
döste wieder ein. Plötzlich wurde ich durch den intensiven Kaffeeduft
vor meiner Nase hellwach.
„Morgen, Spatz! Wenn Du Dein Flugzeug nicht verpassen
willst, solltest Du langsam aufstehen“ Ich sah auf die Uhr. Halb 7. Ich
sah zum Fenster. Kein Schnee. Es regnete und es war stockduster.
Ich sah Andre hinterher, wie er im Bad verschwand
und erinnerte mich an den Traum. Es war so realistisch. Noa.......
Noa gab es gar nicht. Das einzige, was es gab,
waren ein Kalender voller Termine: Teambesprechungen, Meetings mit Kunden,
Flugtickets, Staus, Geschäftsessen, Parties und keine Zeit. Ich seufzte.
Auf die letzte Minute nahm ich im Flugzeug Platz
und atmete einmal tief durch. Meine Gedanken an diesem hektischen Morgen
drifteten immer wieder zu dem Traum. Ich schlug die Zeitung auf und ließ
mir von der Stewardess noch einen Kaffee bringen. Eine Stunde Flug, Mietwagen
abholen und zum nächsten Meeting. Der Tag war genau verplant.
„Warst Du denn auch schön brav im letzten
Jahr??“ Ich schluckte, zupfte nervös an meinem neuen Cordkleid und
sah den großen alten Mann schräg von der Seite an, bevor ich,
nach einem schnellen Blick zu meiner Mutter, schüchtern nickte.
„Stimmt das denn auch?“ Der Mann schaute meine
Mutter an. Auch sie nickte, zu meiner großen Erleichterung. „ Na
dann! Wenn deine Mama das bestätigt, dann will ich das mal glauben.
Hast Du denn auch etwas feines für mich?? Ein Gedicht oder ein Lied??“
Der Kloß in meinem Hals wurde immer dicker.
Ich nickte wieder schüchtern und sah wieder zu meiner Mutter. Sie
lächelte mir ermutigend zu, nahm meine Hand und drückte sie kurz.
Ich sah auf den Fußboden, schluckte und
sagte dann mein Gedicht auf, welches ich seit Wochen geübt hatte.
Als ich es beendet hatte, ließ auch die brennende Röte in meinem
Gesicht nach.
“Hmmm“, brummte der Mann. „Das gefällt mir.
Dann will ich doch mal schauen, ob hier, in meinem großen Sack, etwas
für dich dabei ist.“ Er wühlte in dem riesigen Jutesack, zog
ein großes Päckchen heraus und sah auf das Namensschild. „Hmm“,
brummte er wieder.. „Nein, das ist es nicht!“ Er kratze sich am Kopf, nahm
einen Keks und kaute diesen mit Genuß und viieeel Zeit. Ich tapste
ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und hinter meinem Rücken
knetete ich nervös an meiner Kleidschleife. Der Weihnachtsmann spülte
mit dem letzten Schluck Milch den großen Keks hinunter und wühlte
noch mal im Sack. „Hmm.. ich kann nichts finden, Michelle. Sollten die
Elfen es vergessen haben??“
Ich war den Tränen nahe. Das konnte doch
nicht sein. „Nun gut. Dann sollte es wohl so sein. Ich muss nun weiter,
Kleines. Machst Du mir bitte die Tür auf??“
Der Weihnachtsmann reichte mir die Hand zum Abschied
und ich merkte, wie mir die Tränen über die Wangen kullerten.
Schnell wischte ich sie mit dem Handrücken weg und zog die Stubentür
weit auf.
Da. Da stand es. Das gelbe Fahrrad, das ich mir
gewünscht hatte. Ungläubig sah ich den großen roten Mann
an. Er lächelte mich an. „ Ich wusste doch, dass sie es nicht vergessen
haben“, brummelte er und meine Mutter brachte ihn noch zur Haustür,
während ich mich auf das Fahrrad setzte und den langen Flur herunterfuhr.
Jetzt hatte ich alle Zeit der Welt.
„Frau Bender, wir landen in einer Viertelstunde.
Darf ich Ihnen noch einen Kaffee bringen, der hier ist ja ganz kalt geworden?“
Ich murmelte ein leises Ja und dachte über den Traum nach. Ja, es
war wirklich so. Das war unser Weihnachten, als ich 5 Jahre alt war. Ich
lächelte. Das gelbe Fahrrad. Was hatte ich mich gefreut.
Das Meeting mit der Softwarefirma lief gut. Mein
Schulungskonzept kam gut an und die Vermarktungsstrategie wurde auch einstimmig
beschlossen. Nach dem großen Abendessen, bei dem ich weiteren Kunden
vorgestellt wurde, kam ich müde im Hotel an und ließ mir die
Badewanne ein. Mit den Nachrichten der Telefonanrufe, die während
meiner Abwesenheit an der Rezeption eingegangen waren, in der Hand, glitt
ich langsam in das wohlig heiße Wasser und spürte, wie sich
meine Muskeln langsam entspannten. Ich schloss die Augen.
„Macht, dass ihr wegkommt“ Meine Stimme krächzte,
als ich die spielenden Kinder vor meinem Fenster mit hoch erhobener Faust
zu verscheuchen versuchte. Mein Dackel hopste kläffend um meine Beine
herum.
„Frohe Weihnachten, Frau Bender!“ Die Kinder
riefen durcheinander und winkten mir lachend zu.
„Haut ab! Spielt woanders! Kann man denn nirgends
seine Ruhe haben??“ Ich regte mich so über die Frechheit auf, dass
ich wieder die Stiche an meinem Herzen bekam. Ein alte Frau in meinem Alter
noch so zu ärgern! Die Kinder verschwanden lachend. Ich zog die Gardine
wieder zu, drehte mich um und stolperte über Waldi, der ein hohes
Quieken von sich gab. Ich verlor das Gleichgewicht, drehte mich um die
eigene Achse, stieß mir den Kopf an der Tischkante, spürte einen
stechenden Schmerz im Kreuz und mir wurde schwindelig. Mein benebelter
Blick fiel auf den kleinen Weihnachtsbaum mit echten Kerzen, der neben
dem Fenster stand. Ein Lied drang an meine Ohren. „ Stille Nacht, Heilige
Nacht!“.. Ja meine Nächte waren still gewesen, allesamt.. sollte das
jetzt wirklich alles gewesen sein??
„..einsam wacht...“ Einsam. Die Nacht umhüllte
mich und ich fiel ins Nichts.
Ich war allein...und hatte alle Zeit der Welt.
Das Telefon klingelte. Meine Hand hangelte nach
dem Handy, welches neben der Wanne auf dem Tischchen lag. Benommen drückte
ich auf die Taste. „Michelle?? Es ist nach 12. Ich wünsch Dir Frohe
Weihnachten, Liebes!“ Andres Stimme ließ mich wieder vollends in
die Realität zurückkommen. „ Ich weiß, dass es nicht unbedingt
Dein größter Wusch ist, aber schau bitte mal in deinen Kosmetikkoffer,
in der rechten Seitentasche!“
Ich fingerte im Koffer herum und zog ein kleines
quadratisches Kästchen aus der Seitentasche. In blauem Glitzerpapier
kunstvoll verpackt, so, dass es schon fast zu schade war, es zu öffnen.
Ich tat es trotzdem. Zum Vorschein kam ein kleines nachtblaues, samtiges
Schmuckkästchen. „..und???“ raunte Andre erwartungsvoll in den Hörer.
„Moment“
Ich legte den Hörer beiseite und öffnete
das Kästchen vorsichtig. Ich wagte nicht hinzuschauen. Ein Ring. Ein
wunderschöner Ring aus Platin, mit einem fest eingefasstem Diamantsplitter.
„Ja“, hauchte ich, den Tränen nah, in den
Hörer. “ Ja, ich will“
„Spatz?? Frohe Weihnachten!“
Klick.
„Frohe Weihnachten“ .... meine Stimme krächzte
ins Leere.
Jetzt hatte ich alle Zeit der Welt. Ich musste
sie nur richtig einteilen.
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