An einem kalten, grauen Heilig
Abend-Nachmittag tapste das Norn Viviena durch den Schnee des Garten Albia,
als sie in dem Geräteschuppen etwas leuchten sah. Sie näherte
sich dem Schimmer, bis sie schließlich vor der alten morschen Holztür
stand. Mit ihren kleinen Pfötchen drückte sie die kalte Klinke
herunter.
"Festgefroren, so ein Mist" fluchte die kleine
Nornin. Unter leisem Gegrummel und Gefluche stapfte sie zum Fenster auf
der anderen Seite. Die Scheiben waren von kleinen Froststernchen besetzt
und ließen keinen freien Blick nach Innen zu. "Man kann aber
auch überhaupt garnix erkennen. Bloß dieses komische Geleuchte.
Was ist das?!"
"Hilfe" ertönte eine dünne, zittrige
Stimme aus dem inneren des Schuppens. "Hilfe!"
Viviena erwachte ruckartig aus ihren Gedanken.
"Wer ist da?" fragte sie.
"Ich bin die Weihnachtsfee und ich bin hier hergeschickt
worden, weil der Weihnachtsstern 'runtergefallen ist. Ich soll ihn wiederholen."
Die Nornin meinte etwas verdutzt :"Warum ist der
Weihnachtsstern denn 'runtergefallen? Versteh' ich
nich'..."
Ein großer Seufzer klang aus dem Schuppen.
"Ich habe keine Zeit für große Erklärungen. Wenn es dunkel
wird, muss er wieder oben sein, sonst fliege ich!"
"Wohin?" Schon etwas genervt erwiderte die Fee:
"Ich meine, sonst werde ich 'rausgschmissen und darf mir 'nen neuen Job
suchen. Ich habe keine Lust als Zahnfee zu enden! Außerdem ist es
kalt. Also hol mich hier 'raus!"
Viviena nahm ihren kleinen Schal ab und beendete
die Herrschaft der Eissterne am Fenster mit einem kleinen Wisch. An der
anderen Seite des Fensters tauchte ein kleiner Lichtstrahl auf, mit dem
eine kleine Gestalt mit einem paar Flügeln, blonden Haaren, einem
weißen Kleid, das doppelt so lang war wie sie und einem blassen Gesicht
mit roten Bäckchen unruhig hin und her schwebte.
"Na, endlich! Mach das Fenster auf!"
"Wie denn?"
"Lass dir was einfallen, aber bitte schnell, ich
habe keine Zeit mehr!" Viviena dachte kurz nach und schließlich formte
sie einen Schneeball.
"Geh ein bisschen zur Seite!" rief sie der Fee
zu. "Wir haben keine Zeit für eine Schneeballschlacht!"
"Soll ich dich jetzt rausholen oder nicht?"
"Ist ja gut!" etwas piekiert schwebte das kleine
Wesen vom Fenster weg. Eine kurze Schlange aus Sternchen folgte ihr. Krach!
Die Scheibe war zerbrochen.
"So, das hätten wir. Kannst 'rauskommen!"
Die kleine Fee flog strahlend zwischen den Scheibenresten
im Fensterrahmen hindurch.
"Dankeschön! Du hast mir so gut wie das Leben
gerettet! Wäre schön wenn du mir noch helfen könntest, den
Stern wiederzufinden..."
"Okay, und wo fangen wir an zu suchen?"
Die Fee verlor an Höhe. Sie schluchzte:"Ich
habe keine Ahnung, er kann überall sein!"
Viviena nahm die kleine Fee sacht auf die Hand.
"Wir werden ihn schon finden! Wie bist du eigentlich in den Schuppen gekommen??"
"Ich schwebte ahnungslos durch den Garten und
hielt nach dem Stern Ausschau, als so ein altes Norn kam und den Schuppen
aufgeschlossen hat. Er hat wohl im gleichen Augenblick Licht angemacht,
naja, auf jeden Fall dachte ich, der Stern wäre in diesem verdammten
Holzding drin. Als ich 'reingeflogen bin, hat das Norn die Tür wieder
zu gemacht- und schon saß ich in der Klemme..."
"Das Norn war wahrscheinlich Opa... Naja, ich
hab' dich ja noch rechtzeitig gerettet." "Hoffentlich rechtzeitig....."
Eine Weile gingen, beziehungsweise schwebten sie
wortlos durch das Schneemeer bis zu dem kleinen Wald der am Rand vom Garten
lag.
"Da oben!!" rief die Fee plötzlich. "Da,
da ist er! Wir haben ihn gefunden!"
Die Fee flog übermütig ein paar Schleifen
und Achten, sodass ihre Sternchen garnicht mehr hinterherkamen.
"Und wie kriegst du den jetzt da runter?" fragte
Viviena vorsichtig. Sie rechnete damit, dass die kleine Fee ihren Tanz
jetzt mit Sicherheit abbrechen würde, aber das Zauberwesen hatte anscheinend
alles genaustens eingeplant.
"Das Ding is' ganz leicht, wird kein Problem sein,
das zurückzubringen. War ganz doll lieb von dir, dass du mir suchen
geholfen hast! Du kriegst noch was dafür, keine Angst. So, jetzt muss
ich aber los. Wir haben noch Chorprobe, außerdem muss ich meinem
Patenengel noch die Flügel putzen. Bis irgendwann dann!"
Die Weihnachtsfee schwebte über den Wald
und befreite den Weihnachtsstern aus einer Baumkrone. Sie winkte Viviena
noch einmal zu und dann flog sie zu den Wolken hinauf. Die kleine Nornin
sah ihrer neuen Freundin noch lange nach, bis das Licht verschwunden war.
Schon seltsam, diese Fee, dachte sie sich.
Am Abend als sie mit ihrem Opa Nornus Weihnachten
feierte, wurde es draußen plötzlich kurz ganz hell.
"Was war das denn?" fragte Opa.
Viviena hörte garnicht zu. Die Fee! Sie hatte
ihr Versprechen gehalten! Sie würde ihr etwas zu Weihnachten schenken!
Das kleine Nornmädchen zog sich schnell ihre Stiefel an und setzte
ihre Weihnachtsnornmütze auf und lief hinaus. Draußen im Garten
lag im Schnee ein kleiner Stern. Ein kleines Zettelchen war darangeheftet
auf dem stand: Für Vivian von der Weihnachtsfee. Liebe Grüße
von mir und meinem Patenengel! Frohes Fest an dich und deinen Opa! Und
bis nächstes Jahr, ich brauch erstmal Urlaub."
Viviena drückte den Stern fest an sich und
sah zum Himmel. "Bis nächstes Jahr Weihnachten, kleine Fee!" |