Wer von Euch hat nicht in letzter
Zeit an seinen Wunschzettel für die große Bescherung am Heiligen
Abend gedacht? Hat ihn mit der schönstmöglichen Schrift zu Papier
gebracht und den Eltern übergeben, denn die wissen bekanntlich, wo
er hingehört?
Und wie jedes Jahr ist es eine ganz schön
lange Liste geworden - angefangen von den zwei neuen Spielen für den
Gameboy über die Rollerskaters bis hin zur Schiausrüstung oder
der nagelneuen Sportdreß des Lieblings-vereines. Nun, das Christkind
kennt die Geldsorgen unseres Finanzministers hoffentlich nicht ...
Auch meine Geschichte handelt von Weihnachtswünschen
und der „Held“ der Geschichte ist ein Bub namens Mario, gerade mal 10 Jahre
alt geworden. Er hat so ungefähr die gleichen Hobbys wie Ihr, schwimmt,
läuft gerne, liest ab und zu ein Buch, betrachtet die Schule als notwendiges
Übel und jagt gern dem runden Leder hinterher. Mario könnte einer
von Euch und mitten unter uns sein, wenn, ja wenn er nicht rund 500 Kilometer
südlich von uns wohnen würde. Ja, und wenn Ihr im Geographieunterricht
gut aufgepaßt habt, dann kommt Ihr auch drauf, wo Mario wohnt - nämlich
da, wo früher einmal Jugoslawien war, ganz genau in Kroatien.
Wie Ihr wohl wißt, gibt’s in Kroatien einige
unvernünftige Erwachsene, die dafür gesorgt haben, daß
Menschen, die Nachbarn oder gar Freunde waren, plötzlich mit Gewehren
aufeinander schiessen - mit ebensolchen Gewehren, wie sie vielleicht bei
dem einen oder anderen von Euch als (nachgemachtes) Spielzeug unterm Christbaum
liegen werden. Ja, leider werden manchmal auch nicht so kluge Weihnachtswünsche
erfüllt - denn der Wunsch nach einem Kriegsspielzeug scheint mir wirklich
völlig sinnlos!
Nun, zurück zu Mario, der wie gesagt im Kriegsgebiet
lebt. Aus dem schönen, großen Haus mit Garten und Swimming-Pool
mußte die Familie flüchten. Seither drängen sich Mario,
seine zwei Schwestern und die Mutter bei Marios Großeltern in deren
Wohnung im Zentrum der Großstadt. Bis auf zwei Scheiben gingen alle
bei den Bombenangriffen im Lauf der Zeit kaputt. Der Balkon ist nicht mehr
da, die Balkontür fest verriegelt, damit nicht jemand unbedacht einen
Schritt hinaus macht und die drei Stockwerke in die Tiefe stürzt.
Es gibt zwar Strom, aber Stromausfälle sind an der Tagesordnung und
auch mit Heizmaterial ist es ein echtes Problem, weil sie nur sehr selten
zu bekommen sind. Aber alle helfen zusammen, auch die Nachbarn, und die
Familie schlägt sich gerade so durch, lebt vom Notwendigsten und hofft
noch immer, daß den Politikern und Generälen endlich klar wird,
daß das Volk in Kroatien und den anderen Teilen Jugoslawiens diesen
sinnlosen Krieg gar nicht will.
Im letzten Winter war trotz der Kriegswirren alles
ein bißchen leichter gewesen, denn Marios Vater war noch da und hatte
nach besten Kräften für die Familie gesorgt. Doch im Sommer hatte
die Armee auch Marios Vater „zu den Waffen“ gerufen - und seither waren
nur selten kurze Briefe gekommen, wie man eben schreibt, wenn einem Gewehrkugeln
oder Granaten um die Ohren pfeifen. Seit fast einem Monat kam nun aber
gar keine Nachricht mehr, nicht einmal die Militärfunkstation hatte
etwas herausfinden können.
Und so saß Mario am ersten Adventsonntag
beim flackernden Licht einer kleinen Kerze und schrieb seinen Wunschzettel
an das Christkind. Immer wieder blies ein Windstoß die Flamme aus,
denn die notdürftige Karton- oder Pappabdeckung in den scheibenlosen
Fenstern hielt nur wenig ab. Mit vor Kälte steifen Fingern setzte
Mario Wort um Wort auf das Papier. Mußte immer wieder die Kerze neu
anzünden, ehe da endlich in zittrigen Buchstaben stand: „Liebes Christkind!
Bitte bring mir nur meinen Papa wieder. Und mach, daß keine Bomben
mehr fallen. Mehr wünsche ich mir nicht von Dir!“
Manche der Buchstaben waren verwischt, denn immer
wieder waren Tränen aus Marios Augen geronnen, wenn er beim Schreiben
des Briefes an seinen Vater gedacht hatte. Marios Mutter übernahm
die Weiterleitung des Briefes, wie das Eltern eben so tun. Heimlich las
sie den Brief (aber nicht weitersagen!), worauf noch einige Buchstaben
mehr verwischt waren.
Es nahte der Heilige Abend. Trotz der immer wieder
aufflackernden Kämpfe war es den Großeltern und der Mutter gelungen,
so etwas wie Weihnachtsstimmung in die frostige, kaum geheizte Wohnung
zu bringen. Ein dürres, kümmerliches Nadelbäumchen stand
da in einer Ecke, verziert mit ein paar bunten Fäden, an der Spitze
steckte ein Papierstern, von Marios älterer Schwester mit viel Liebe
gezeichnet und ausgeschnitten. Noch am Vortag hatte die Familie - wieder
einmal - wegen Fliegeralarm in den Keller flüchten müssen. Nun
hofften alle, daß ihnen wenigstens am Heiligen Abend etwas Ruhe vergönnt
sein würde. Zur Feier des Weihnachtsfestes gab es sogar ein mageres
Hühnchen - für alle sechs Personen, wohlgemerkt - und dieses
winzige Federvieh war schwer genug aufzutreiben gewesen ...
Ja, und mit Geschenken sah es sowieso traurig
aus: Für Mario lag da, notdürftig, aber liebevoll verpackt, ein
Pullover, damit er weniger frieren sollte. Auch die kleine Schwester hatte
eine warme Jacke am Gabentisch liegen und für die große gab’s
eine Blockflöte. Dank der Hilfslieferungen - unter anderem aus Österreich
- war es möglich gewesen, diese kleinen Geschenke für die Kinder
zu bekommen.
Was Ihr jetzt denkt, ist mir klar: Erstens, daß
das wohl eine ziemlich traurige Weihnachtsgeschichte ist. Und zweitens,
was denn wohl aus Marios Wunsch wurde. Nun, erstens gibt es - und das nicht
nur zu Weihnachten - sehr viele solcher trauriger Geschichten, denn vielen
Kindern und Menschen geht es nicht so gut wie uns. Und zweitens endet diese
Weihnachtsgeschichte doch ein wenig weihnachtlich und fröhlich, denn
...
... am Heiligen Abend, so gegen neun Uhr abends,
hält vor dem Haus ein Militärlastwagen mit ziemlichem Getöse.
Durch den Lärm aufgeschreckt laufen Mario und seine Familie zum Fenster.
In der Dunkelheit erkennen sie einen großen, hageren Mann, der sich
von der Ladefläche schwingt und den dort verbleibenden Soldaten zuwinkt.
Der Blick des Mannes schweift hinauf zum dritten Stock, er ruft: „Ich bin’s!“
- und die Familie weiß: Der Vater ist wieder da! Die Treppen der
drei Stockwerke nimmt der Vater im Blitztempo - und dann liegen sie sich
in den Armen: Die Großeltern, die Eltern, die zwei Schwestern und
Mario. Und diesmal sind es Freudentränen, die fließen ... |