Die X-mas Inc. 
So, Sie wollen hier also anfangen. Haben Sie sich das auch wirklich gut überlegt? Immerhin, es ist ein sehr beanspruchender und extrem stressiger Job, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Ihre Referenzen sind allerdings sehr gut, Sie kommen aus dem Speditionsgeschäft, das ist immer von Vorteil. Da wissen Sie ja mit Termingeschäften und Just-in-time-Lieferung Bescheid, und haben sich bestimmt schon manche Nacht um die Ohren geschlagen, um einen Container durch den Zoll von Lateinamerika zu bekommen, oder wo auch immer. Sollte nur ein Beispiel sein. 
Vorab noch ein paar Fragen: Glauben Sie an den Weihnachtsmann? Lachen Sie nicht, die Frage meine ich ernst. Wenn Sie wüßten, wer hier schon alles aufgekreuzt ist, der nur mal Santa Claus sehen wollte...  Also nicht? Das ist gut, Sie wären sonst schnell enttäuscht. Haben Sie Kinder? Auch das ist vorteilhaft, glauben die denn noch an den Weihnachtsmann? Dann nehmen Sie ihnen den Glauben nicht, das tun andere noch früh genug. 
So, nun will ich Ihnen erzählen, wer unser Unternehmen eigentlich ist und wie wir arbeiten. Da wir nun wirklich nicht gerade an der Börse zu finden sind, ist das nötig. Ach ja, wie sind Sie eigentlich auf uns gekommen? Durch das Zeitungsinserat also. Nun ja, ich habe das nie für eine gute Idee gehalten, aber wir leiden im Moment etwas an Personalmangel, und die Unternehmensleitung meinte, da müsse etwas passieren. 
Wie gesagt, wir sind die X-mas Inc., und kümmern uns um Weihnachten, mal ganz global gesagt. Unser Firmensitz ist leider geheim, nur ganz wenige wissen tatsächlich, wo er sich befindet, sorry. Ich glaube, man kann uns am besten als großes Logistik- und Speditionsunternehmen beschreiben. Wir arbeiten jedes Jahr von Anfang September bis Heiligabend. Nein, lassen Sie mich bitte weitererzählen, die Fragen führen jetzt zu nichts. Ich kann Ihnen nur soviel vorab sagen, ein einziger Weihnachtsmann wäre mit dieser Aufgabe vollkommen überfordert, immerhin haben wir mittlerweile sechs Milliarden Menschen auf der Erde und wir kalkulieren grob mit knapp achthundert Millionen Kindern, die an den Weihnachtsmann glauben, und über den ganzen Globus verstreut sind. Wie soll das einer alleine denn schaffen?
 Wir beschäftigen etwa zwölftausend Mitarbeiter im Zustelldienst, die als Weihnachtsmann auftreten. Der Einkauf, die Lagerverwaltung, der Vertrieb und die Buchhaltung umfassen dreitausendzweihundert Leute, und wir in der Koordination sind nocheinmal knapp fünfhundert. Das hört sich zwar viel an, ist aber im Endeffekt jedes Jahr wieder zu wenig. Trotzdem glaube ich sagen zu können, das wir eines der modernsten und technisch am besten ausgestatteten Unternehmen dieser Branche sind. Sie werden nirgendwo ein ähnliches Unternehmen finden, wo modernste Technik, effektivstes Management und... nun ja, Magie so perfekt zusammenarbeiten.

Ab Mitte September beginnen wir mit den vorbereitenden Tätigkeiten. Die Schlitten müssen gesichtet, instandgesetzt und einsatzbereit gemacht werden. Die Zusteller müssen informiert werden und erste personelle Engpässe aufgefangen werden. Zusteller ist einer der härtesten Jobs bei uns, und entsprechend sind die Ausfallquoten, das kann ich Ihnen sagen. Die fliegenden Rentiere kommen aus ihrem Sommerquartier und müssen hier in den Ställen untergebracht werden, auch da gibt es immer mehr Schwierigkeiten, denn es werden jedes Jahr weniger Leute, die daran überhaupt glauben. Und ohne Glauben wird ein Rentier nie fliegen lernen. Die Kostüme werden ausgebessert oder erneuert, immerhin müssen unsere Zusteller angemessen bekleidet sein. Besonders die, die in die nördlichen Regionen ausliefern. Ab Ende September beginnt dann der Einkauf zu arbeiten, Artikel werden gelistet, Bestände geprüft, Kataloge aktualisiert, Preise angefordert und so weiter. Die eigentlichen Bestellungen können wir ja erst machen, wenn die Wunschzettel da sind, das beginnt so langsam Ende November, Anfang Dezember. Die Wunschzettel für den Nikolaus leiten wir sofort an unser Partnerunternehmen Santa Ltd. weiter, das könnten wir nicht auch noch bearbeiten. Zwei Wochen später beginnt dann die heiße Phase bei uns. Die Postämter schicken uns containerweise Wunschlisten, die in unserer Poststelle nach Ländern sortiert werden und an den Einkauf gehen. Schauen Sie nicht so, Sie würden sich wundern, wieviele Kinder noch einen Wunschzettel schreiben und ihn dann verschicken. Mittlerweile haben wir ehrenamtliche Mitarbeiter in den meisten großen Postämtern, die uns die Briefe zukommen lassen. Vor zehn Jahren haben wir sie noch aus dem Altpapier sortiert, kaum vorstellbar. Die Post ist aber nur der Grundstock, die meisten Wünsche werden ja nicht zu Papier gebracht. Sie werden meistens nur gedacht, seltener mal ausgesprochen. An diese Wünsche zu kommen, ist Aufgabe einer ganz anderen Abteilung. Wir bekommen nur die Listen, mit den Namen und den Ergebnissen. So um den fünfzehnten Dezember herrscht im Einkauf dann Hochbetrieb, da geht das Licht bis Heiligabend nicht mehr aus. Jetzt wird die Hauptmasse der Einkäufe getätigt, und der Vertrieb bekommt erste Lieferungen zugeteilt. Wir in der Koordination haben seit September einen Zeitplan ausgearbeitet, der jetzt laufend aktualisiert wird. Überlegen Sie mal: Weihnachten, beziehungsweise Heiligabend ist nur ein einziger Tag, und die Bescherung findet nur an ein paar Stunden dieses Tages statt. Wir gehen übrigens für den Großteil der Menschen von einer Zeit zwischen vier und sechs Uhr nachmittags aus. In allen Zeitzonen und überall auf der Erde. Wir müssen also bestimmen welches Paket zuerst und wohin geliefert wird, und welches zuletzt. Dieser Zeitplan muß auf die Zehntelsekunde genau stimmen, sonst addieren sich die Verspätungen schließlich auf ein paar Stunden am Ende, alles schon passiert. So um den achtzehnten, neunzehnten Dezember herum wird es dann überall hektisch. Stornierungen, Änderungen, Lieferengpässe, Falschlieferungen, das ganze Drum und Dran, welches Sie auch kennen, nur in konzentrierter Form. Unser Zeitplan ändert sich mittlerweile fast alle zwei Minuten, und wird immer dichter. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken, wer kann, legt sich mal zwei Stunden aufs Ohr, aber ansonsten ist man rund um die Uhr im Einsatz. Im Allgemeinen stellen wir spätestens jetzt fest, das wir zuwenig Zusteller haben, und beginnen nach anderen Lösungen zu suchen. Erstaunlicherweise fallen uns auch jedes Jahr wieder welche ein. 

Am dreiundzwanzigsten steht dann der Zeitplan fest, mit ganz geringen Reserven für unvorhergesehene Zwischenfälle. Und dann geht der Stress richtig los. Sind Sie Nichtraucher? Ihr Glück, ich rauche Heiligabend fast vier Schachteln. Wie wir bei der Zustellung verfahren? Nun, wir beginnen am Nachmittag des vierundzwanzigsten auf den Osterinseln, dort beginnt der Heiligabend zuerst. Dann arbeiten wir uns gegen die Drehrichtung der Erde über Nord- und Südamerika vor, weiter nach Europa und Asien, wobei uns der Atlantische Ozean immer eine kleine Atempause verschafft. Auf den wenigen Schiffen, die an diesem Tag dort fahren, haben wir nicht soviel zu tun. 
Verstehen Sie, wir arbeiten durch alle Zeitzonen, bis wir wieder am Ausgangspunkt angekommen sind. Für uns ist, salopp gesagt, vierundzwanzig Stunden lang Bescherung. Glücklicherweise sind unsere Schlitten so schnell, das sie dieser riesigen Aufgabe gewachsen sind.
Ach ja, ehe ich es vergesse: stellen Sie bitte keine Fragen. Es ist jedem hier unbegreiflich, wie es eigentlich funktioniert. Manche sagen, das die Schlitten Lichtgeschwindigkeit erreichen, aber das ist Unsinn. Nehmen Sie es einfach hin, es ist einfacher so. Die Sache funktioniert, und wir können damit arbeiten. Magie, erinnern Sie sich?
Ihre Befürchtungen bezüglich Ihrer dreimonatigen Abwesenheit sind auch unbegründet. Niemand wird Sie daheim vermissen, Sie brauchen Ihrem jetzigen Arbeitgeber auch nicht zu kündigen, Sie sind –so unglaublich sich das anhört- gleichzeitig dort und hier. Ihre Tage von September bis Heiligabend haben also sozusagen achtundvierzig Stunden. Glauben Sie nicht? Probieren Sie es aus, es ist wirklich so. Hier vergeht die Zeit einfach anders.
Das bringt mich auch gleich zum vielleicht wichtigsten Punkt und häufigsten K.o.-Kriterium aller Bewerber hier: der Bezahlung. Sie erhalten kein Geld! Nein, nichts in dieser Richtung. Betrachten Sie es als Ehrenamt, Sie bekommen hier Kost und Logis frei, und alles, was Ihnen den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich macht, aber kein Geld. Dafür werden Ihnen drei Monate geschenkt, neunzig Tage. Das ist, so finde ich, eine wahrhaft fürstliche Entlohnung. Wer schenkt Ihnen sonst soviel Zeit? Sicher, sie haben viel zu tun in diesem Zeitraum, aber das ist es wert. 
Zum Schluß noch ein Wort in eigener Sache: ich habe auch Kinder, und wenn ich dann Heiligabend so gegen zwanzig Uhr wieder nach Hause komme, und meine Tochter mir entgegenläuft und mit leuchtenden Augen ruft:“ Papa! Schau mal, was der Weihnachtsmann mir gebracht hat!“, dann weiß ich, das sich die Arbeit wieder gelohnt hat. 
So, nun sind Sie im Großen und Ganzen informiert. Wollen Sie immer noch bei uns anfangen? Gut. Sehr gut, sogar. Wir können Sie wirklich brauchen. Dann unterschreiben Sie bitte hier........ und hier.