Antjas Blick ruhte traurig
auf dem schon leicht zugefrorenen See.
Der erste Schnee des Winters fiel, passenderweise
am Morgen des Heiligenabends.
Doch Antja hatte dieses Jahr, wie jedes, nicht
viel für Weihnachten übrig, auch jetzt waren ihre Gedanken ganz
wo anders, als bei der Frage, ob sie dieses Jahr genug Plätzchen gebacken,
oder auch kein Geschenk für ein entferntes Familienmitglied vergessen
habe.
Sie dachte an Zeiten, in denen sie noch glücklich
war, glücklich an diesem See.
Ihr Vater hatte sie früher, vor scheinbar
so vielen Jahren, immer an Heiligabend hierher zum spazieren mitgenommen,
damit die Mutter zu Hause alles für das Fest am Abend hatte vorbereiten
können.
Doch dann war das Glück in einem Jahr einfach
ausgeblieben, die Eltern kurz vor Weihnachten verunfallt, als ein Reh vor
den Wagen lief.
In dem Jahr war für die junge Frau nicht
die Frage entscheidend gewesen, wie hoch der Weihnachtsbaum sein sollte,
und von welcher Tannenart, sondern es gab nur die Frage nach der Art und
Qualität der Särge.
Noch am Morgen des 24. Dezembers war die Beerdigung
ihrer Familie gewesen, hatten ihr die Leute nicht eine fröhliche Weihnacht
sondern viel Kraft für die Zukunft gewünscht.
In den zehn Jahren, die seit dem vergangen waren,
hatte Antja es nicht mehr geschafft, die Adventszeit feierlich anzusehen.
Für sie war es die Zeit, in der sie nachdachte, sie wieder Angst vor
Weihnachten bekam.
Ihre Bekannten ließen sie zu der Zeit links
liegen, hatten diese doch schon vor einigen Jahren eingesehen, dass Antja
keinen Sinn für Weihnachten mehr hatte, und dass man weder Zeit noch
Geld verschwenden musste für sie ein Geschenk zu finden, die sie eh
ungeöffnet wegwarf.
Antja erhob sich von der Parkbank, ermahnte sich,
nicht länger ihrem Weihnachtsfluch zu verfallen, schließlich
hatte sie sich vorgenommen, dass dieses Jahr alles anders werden würde.
Ja, sie wollte Weihnachten wieder feiern können.
Mit der Kraft die sie aus dieser Idee schöpfte
machte sie sich auf den Weg zu ihrer Wohnung, wo bereits der Karton mit
dem Plastikweihnachtsbaum im Flur stand.
Erst vor zwei Tagen war ihr die Idee gekommen,
es dieses Jahr einfach so zu machen, wie die anderen Leute auch, und es
war keine schöne echte Tanne mehr zu finden gewesen.
Nachdem Antja es geschafft hatte, aus der Gebrauchsanweisung
schlau zu werden, und das Bäumchen mit ein paar blauen und violetten
Kugeln geschmückt war, nahm sie sich ein paar Minuten Zeit, den Baum
anzusehen.
Nett war er ja, aber eine feierliche Stimmung
hatte sie alleine deswegen noch nicht.
"Na gut", dachte sie sich, "das war ja auch nicht
zu erwarten gewesen, also, auf zur nächsten Aufgabe". Damit betrat
sie ihre Küche, wo im Kühlschrank schon drei Packungen Fertigteig
standen.
Weihnachtsplätzchen backen, nichts konnte
einem mehr in weihnachtliche Stimmung bringen, hatte Antja irgendwo gelesen.
Als die Bleche mit den Keksen in Form von Tannen
und Sternen im Ofen waren, nahm sich Antja wieder ein paar Augenblicke
Zeit, in sich zu hören, und zu sehen, ob die Stimmung da war.
Nein, noch immer nichts.
Langsam kamen ihr Zweifel, ob es wirklich so eine
gute Idee war, wieder damit anfangen zu wollen, Weihnachten zu feiern.
Und sie hatte ja auch niemanden, der zum Essen kam, oder für den sie
Geschenke hätte besorgen können, oder der ihr Geschenke machen
würde. Und war dies nicht ein wichtiger Bestandteil von Weihnachten?
Konnte man ohne diesen Teil überhaupt Weihachten feiern?
Sollte sie noch, wie geplant einsam vor dem Baum
stehen, und Weihnachtslieder singen, oder zur Kirche gehen, wo sie eh seit
Jahren nie mehr war?
Seufzend zog sie die Kekse aus dem Ofen, und warf
sie in dem Mülleimer.
Nein, es hatte alles keinen Sinn gehabt, Weihnachten
war nicht ihr Fest.
Und wie jedes Jahr, während andere Familien
sich stritten, weil es die falschen Geschenke gab, lag Antja auch dieses
Jahr wieder in ihrem Bett, und verschlief Weihnachten und ihren Weihnachtsfluch. |