Bond konnte die Sicherheitsvorkehrungen,
die das Landhaus umgaben, förmlich riechen. Ohne die Geschwindigkeit
zu verringern, fuhr er an dem Gittertor des Grundstückes vorbei. Nur
aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu bewegen, nahm er mindestens zwei
Wachen wahr. In Anbetracht der Tatsache dass es bereits dunkel war und
die Wachen dunkle Kleidung trugen eine Kunst.
Zu dunkel - schwarze Flecken vor dem weiss-schwarzen
Hintergrund der schneebedeckten Bäume.
Bond fuhr noch einen Kilometer weiter und lenkte
seinen Aston-Martin in einen Feldweg. Als er den Motor abstellte und die
Türe öffnete, verschlug ihm die Eiseskälte beinahe den Atem.
Mit schnellen, geübten Handgriffen legte er seine Ausrüstung
an, warf sich einen gefleckten Tarnumhang über, griff nach einer Teleskopstange
und setzte sich dann mit schnellen, gleichmässigen Schritten in Richtung
des Landhauses in Bewegung.
Nach einigen hundert Metern hielt er inne, um
die Umgebung durch sein Infrarotsichtgerät zu beobachten. In einer
Nacht wie dieser war Infrarot wesentlich nützlicher als der Restlichtverstärker,
der sonst zu Bonds Standardausrüstung gehörte. Bond registrierte
vier kleinere Wärmequellen in Sichtweite - wahrscheinlich Kameras
oder Bewegungsmelder.
Mit einem Ruck zog er die Kapuze seines Jumpers
über den Kopf und zog einen Reissverschluss zu, so dass nur die Augen
frei blieben. Dann lief er in den gleichen, gleichmässigen Schritten
wie zuvor weiter, unter den Kameras vorbei in der Hoffnung, dass sein Isolationsanzug
so gut war wie es ihm von Q versprochen worden war.
Kein Alarm. Kein Licht. Es wäre auch eine
Schande gewesen, wenn man ihn noch vor den Grundstücksmauern entdeckt
hätte.
Dann, wie aus dem Nichts, tauchte eine alte, drei
Meter hohe Steinmauer vor ihm auf. Bond blieb etwa einen Meter vor dem
Hindernis stehen. An ein Berühren, gar an ein Überklettern der
Mauer war nicht zu denken - hier befanden sich mehr Sensoren als gut war.
Das Warnsignal der Bewegungsmelder durfte die Wachmänner bereits aufmerksam
gemacht haben - die Tatsache, dass allerdings die Infrarotmelder passiv
blieben, sollte sie bereits wieder ruhig gestellt haben.
Dennoch - Bond musste sich beeilen bevor einer
der Wachen nicht doch auf die Idee kam, dem stillen Alarm nachzugehen.
Bond zog die Teleskopstange aus, schätzte noch einmal Entfernung und
Höhe der Mauer ab und.... sprang so elegant wie es ihm die schwere
Ausrüstung erlaubte über das Hindernis hinweg.
Bevor die Stange auf der Aussenseite des Grundstückes
wieder auf den Boden aufgeprallt war, befand sich Bond wieder im Laufschritt
auf das Haus zu.
Wie er aus den Berichten wusste, befanden sich
zwischen Mauer und Haus keine Detektoren - normalerweise sorgten ein Rudel
Terrier dafür, dass es zuviel Bewegung auf Gelände gab.
Allerdings nicht heute. Denn heute war es zu kalt
um die edlen Tiere laufen zu lassen.
Bond benötigte nur zwei Minuten um die Entfernung
zur Nordseite des Gesindegebäudes hinter sich zu bringen. Wie üblich
war das Haupthaus bis unter die Dachlatte gespickt mit Sensoren, Detektoren,
Antennen und Scheinwerfern während die Nebengebäude sträflich
vernachlässigt worden waren. Es geht eben nichts über eine standesgemässe
Erziehung des Adels die einem als erstes beibringt, das Personal zu übersehen,
dachte sich Bond. Das Fenster zu knacken dauerte zehn Sekunden, den einfachen
Alarm dahinter auszuschalten gerade mal zwanzig Sekunden. Der Raum erwies
sich, wie in den Plänen angegeben, als Gesindeküche. Dahinter
der Flur - verlassen.
Bond ging noch einmal zurück in die Küche,
warf den Tarnumhang ab und verbarg ihn unter einer Spüle. Dann trat
er wieder auf den Flur hinaus, ging gleichmässigen, langsamen Schrittes
die Treppe in den Keller hinunter. Dort benötigte er eine volle Minute,
um die Sensoren auszutricksen, die den unterirdischen Gang zum Haupthaus
überwachten.
Der Gang war zweiundvierzigkommasieben Meter lang.
Nach 37 Metern schlug der Melder in Bonds Armbanduhr bis zum Anschlag aus
- Bewegungsmelder.
Nun verfiel Bond in eine Art Zeitlupengang - eine
Fortbewegungsart die ein hohes Maß an Körperbeherrschung und
Kondition verlangte. Zentimeter um Zentimeter schob sich Bond durch den
Gang, bis der Zeiger der Uhr unter die kritische Schwelle sank. Dann ging
er in normalem Tempo weiter.
Nun schlich Bond lautlos einen schmucklosen Gang
entlang. Langsam setzte er einen Fuss vor den anderen, Boden und Wände
stets auf Fallen oder Sensoren untersuchend. Eine der Bodenplatten war
im Vergleich zum Rest des Belages kaum abgenutzt, schien wie neu... Druckschalter.
Bond übersprang die Platte und geriet kurz ins Straucheln, als er
unter einer Lichtschranke hindurch tauchen musste. Er mied die Haupttreppe
und schlich weiter bis zur Südwestecke des Gebäudes. Von dort
aus kletterte er über die Feuerleiter auf das Dach des Gebäudes
- wobei ihm das schwere Gepäck beinahe zum Verhängnis wurde,
als er sich kurz im Fanggitter, das um die Leiter herum angebracht war
um einen Sturz abzuschwächen, verfing. Schliesslich war es geschafft
- Bond betrat das flache Dach.
Nun zog er den Isolationsanzug aus. Darunter kam
sein "Abendanzug" zum Vorschein. Wenn jetzt eine der Wachen auf den Gedanken
kommen würde, zum Dach hinauf zu schauen, wäre er in etwa so
unauffällig wie Q in einem Ballkleid. Der einzige Weg, schnell und
überraschend in das grosse Wohnzimmer im ersten Stock zu kommen, lag
nun vor ihm. Mit schnellen, oft geübten Handgriffen baute Bond in
dem schwachen Licht, dass von der Terasse zu ihm hinaufdrang, ein Metallgestell
zusammen, das er auf den breiten Hauptkamin des Herrenhauses aufsetzte.
Dann schwang er sich auf den Sims hinauf, hakte ein dünnes Carbonseil
in seinen breiten Gürtel ein. Ein letztes Mal überprüfte
er den Sitz seiner Ausrüstung, dann schwang er sich in die Schwärze
des Kamins.
Die Spule hatte Bond auf minimale Verzögerung
gestellt, so dass er mit hoher Geschwindigkeit das Mauerwerk vor seinen
Augen vorbeiziehen sah. Die heraufwallende Hitze und der Rauch liessen
keinen Zweifel daran, dass die Bewohner des Hauses ein Feuer im Kamin entzündet
hatten, um es gemütlicher zu haben. Da Bond nicht die Absicht hatte,
als gegrillte Beilage zum Diner zu enden, wollte er knapp hinter dem Feuer
landen, um sich dann aus dem Kamin zu rollen und so die Anwesenden zu überraschen.
Bond hatte im Geheimdienst Ihrer Majestät
genügend Erfahrung gesammelt um zu wissen dass es immer einen Faktor
gibt, den man ausser acht lässt. Meistens weil diese Faktoren einfach
keine Auswirkungen auf das Resultat der Mission hatten. Oft genug, weil
die Faktoren einfach nicht vorhersehbar waren. Dann hiess es zu improvisieren.
Der übersehene Faktor bestand in diesem Fall
aus einem Ziegelstein im Kaminsims. Der Stein war, wie auch der Rest des
Hauses, alt und brüchig. Die plötzliche Belastung durch das Metallgestell
sowie die Vibrationen des abrollenden Seiles sorgten dafür, dass der
Stein sich löste und in den Kamin stürzte. Gefolgt von dem Gestell
- mitsamt dem Seil, welches Bond eigentlich sichern sollte.
Fluchend stürzte Bond die letzten drei Meter
ungebremst direkt in das Feuer. Der Überraschungseffekt war bereits
zum Teufel, als zu allem Unglück auch noch der Ziegel Bond direkt
auf den Schädel fiel. Polternd stürzte er nach vorne und landete,
jegliche Eleganz vermissen lassend, auf einem Bärenfell vor dem Kamin.
Stöhnend stützte sich Bond vom Boden ab und betrachtete die fassungslosen
Gesichter der Anwesenden. Dann klopfte er lächelnd den Russ von seinem
roten Mantel und seiner ebenso roten Hose und griff nach dem schweren Rucksack,
bevor dieser im Kamin Feuer fangen konnte.
"Bond!" rief Q ungläubig. "Sind Sie denn
von allen guten Geistern verlassen?"
"Oh James!" Miss Moneypenny beugte sich mit besorgtem
Gesichtsausdruck zu dem Agenten im Weihnachtsmannkostüm herunter.
"Ist Ihnen denn auch nichts passiert?"
Bond stöhnte.... und wieder schwor er sich,
dass nächstes Jahr M die Rolle des Weihnachtsmannes übernehmen
sollte. |