02.12.99
007
Bond konnte die Sicherheitsvorkehrungen, die das Landhaus umgaben, förmlich riechen. Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, fuhr er an dem Gittertor des Grundstückes vorbei. Nur aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu bewegen, nahm er mindestens zwei Wachen wahr. In Anbetracht der Tatsache dass es bereits dunkel war und die Wachen dunkle Kleidung trugen eine Kunst.

Zu dunkel - schwarze Flecken vor dem weiss-schwarzen Hintergrund der schneebedeckten Bäume. 

Bond fuhr noch einen Kilometer weiter und lenkte seinen Aston-Martin in einen Feldweg. Als er den Motor abstellte und die Türe öffnete, verschlug ihm die Eiseskälte beinahe den Atem. Mit schnellen, geübten Handgriffen legte er seine Ausrüstung an, warf sich einen gefleckten Tarnumhang über, griff nach einer Teleskopstange und setzte sich dann mit schnellen, gleichmässigen Schritten in Richtung des Landhauses in Bewegung.

Nach einigen hundert Metern hielt er inne, um die Umgebung durch sein Infrarotsichtgerät zu beobachten. In einer Nacht wie dieser war Infrarot wesentlich nützlicher als der Restlichtverstärker, der sonst zu Bonds Standardausrüstung gehörte. Bond registrierte vier kleinere Wärmequellen in Sichtweite - wahrscheinlich Kameras oder Bewegungsmelder.

Mit einem Ruck zog er die Kapuze seines Jumpers über den Kopf und zog einen Reissverschluss zu, so dass nur die Augen frei blieben. Dann lief er in den gleichen, gleichmässigen Schritten wie zuvor weiter, unter den Kameras vorbei in der Hoffnung, dass sein Isolationsanzug so gut war wie es ihm von Q versprochen worden war.

Kein Alarm. Kein Licht. Es wäre auch eine Schande gewesen, wenn man ihn noch vor den Grundstücksmauern entdeckt hätte.

Dann, wie aus dem Nichts, tauchte eine alte, drei Meter hohe Steinmauer vor ihm auf. Bond blieb etwa einen Meter vor dem Hindernis stehen. An ein Berühren, gar an ein Überklettern der Mauer war nicht zu denken - hier befanden sich mehr Sensoren als gut war. Das Warnsignal der Bewegungsmelder durfte die Wachmänner bereits aufmerksam gemacht haben - die Tatsache, dass allerdings die Infrarotmelder passiv blieben, sollte sie bereits wieder ruhig gestellt haben.

Dennoch - Bond musste sich beeilen bevor einer der Wachen nicht doch auf die Idee kam, dem stillen Alarm nachzugehen. Bond zog die Teleskopstange aus, schätzte noch einmal Entfernung und Höhe der Mauer ab und.... sprang so elegant wie es ihm die schwere Ausrüstung erlaubte über das Hindernis hinweg.

Bevor die Stange auf der Aussenseite des Grundstückes wieder auf den Boden aufgeprallt war, befand sich Bond wieder im Laufschritt auf das Haus zu.

Wie er aus den Berichten wusste, befanden sich zwischen Mauer und Haus keine Detektoren - normalerweise sorgten ein Rudel Terrier dafür, dass es zuviel Bewegung auf Gelände gab.

Allerdings nicht heute. Denn heute war es zu kalt um die edlen Tiere laufen zu lassen. 

Bond benötigte nur zwei Minuten um die Entfernung zur Nordseite des Gesindegebäudes hinter sich zu bringen. Wie üblich war das Haupthaus bis unter die Dachlatte gespickt mit Sensoren, Detektoren, Antennen und Scheinwerfern während die Nebengebäude sträflich vernachlässigt worden waren. Es geht eben nichts über eine standesgemässe Erziehung des Adels die einem als erstes beibringt, das Personal zu übersehen, dachte sich Bond. Das Fenster zu knacken dauerte zehn Sekunden, den einfachen Alarm dahinter auszuschalten gerade mal zwanzig Sekunden. Der Raum erwies sich, wie in den Plänen angegeben, als Gesindeküche. Dahinter der Flur - verlassen.

Bond ging noch einmal zurück in die Küche, warf den Tarnumhang ab und verbarg ihn unter einer Spüle. Dann trat er wieder auf den Flur hinaus, ging gleichmässigen, langsamen Schrittes die Treppe in den Keller hinunter. Dort benötigte er eine volle Minute, um die Sensoren auszutricksen, die den unterirdischen Gang zum Haupthaus überwachten.

Der Gang war zweiundvierzigkommasieben Meter lang. Nach 37 Metern schlug der Melder in Bonds Armbanduhr bis zum Anschlag aus - Bewegungsmelder. 

Nun verfiel Bond in eine Art Zeitlupengang - eine Fortbewegungsart die ein hohes Maß an Körperbeherrschung und Kondition verlangte. Zentimeter um Zentimeter schob sich Bond durch den Gang, bis der Zeiger der Uhr unter die kritische Schwelle sank. Dann ging er in normalem Tempo weiter.

Nun schlich Bond lautlos einen schmucklosen Gang entlang. Langsam setzte er einen Fuss vor den anderen, Boden und Wände stets auf Fallen oder Sensoren untersuchend. Eine der Bodenplatten war im Vergleich zum Rest des Belages kaum abgenutzt, schien wie neu... Druckschalter. Bond übersprang die Platte und geriet kurz ins Straucheln, als er unter einer Lichtschranke hindurch tauchen musste. Er mied die Haupttreppe und schlich weiter bis zur Südwestecke des Gebäudes. Von dort aus kletterte er über die Feuerleiter auf das Dach des Gebäudes - wobei ihm das schwere Gepäck beinahe zum Verhängnis wurde, als er sich kurz im Fanggitter, das um die Leiter herum angebracht war um einen Sturz abzuschwächen, verfing. Schliesslich war es geschafft - Bond betrat das flache Dach.

Nun zog er den Isolationsanzug aus. Darunter kam sein "Abendanzug" zum Vorschein. Wenn jetzt eine der Wachen auf den Gedanken kommen würde, zum Dach hinauf zu schauen, wäre er in etwa so unauffällig wie Q in einem Ballkleid. Der einzige Weg, schnell und überraschend in das grosse Wohnzimmer im ersten Stock zu kommen, lag nun vor ihm. Mit schnellen, oft geübten Handgriffen baute Bond in dem schwachen Licht, dass von der Terasse zu ihm hinaufdrang, ein Metallgestell zusammen, das er auf den breiten Hauptkamin des Herrenhauses aufsetzte. Dann schwang er sich auf den Sims hinauf, hakte ein dünnes Carbonseil in seinen breiten Gürtel ein. Ein letztes Mal überprüfte er den Sitz seiner Ausrüstung, dann schwang er sich in die Schwärze des Kamins. 

Die Spule hatte Bond auf minimale Verzögerung gestellt, so dass er mit hoher Geschwindigkeit das Mauerwerk vor seinen Augen vorbeiziehen sah. Die heraufwallende Hitze und der Rauch liessen keinen Zweifel daran, dass die Bewohner des Hauses ein Feuer im Kamin entzündet hatten, um es gemütlicher zu haben. Da Bond nicht die Absicht hatte, als gegrillte Beilage zum Diner zu enden, wollte er knapp hinter dem Feuer landen, um sich dann aus dem Kamin zu rollen und so die Anwesenden zu überraschen.

Bond hatte im Geheimdienst Ihrer Majestät genügend Erfahrung gesammelt um zu wissen dass es immer einen Faktor gibt, den man ausser acht lässt. Meistens weil diese Faktoren einfach keine Auswirkungen auf das Resultat der Mission hatten. Oft genug, weil die Faktoren einfach nicht vorhersehbar waren. Dann hiess es zu improvisieren.

Der übersehene Faktor bestand in diesem Fall aus einem Ziegelstein im Kaminsims. Der Stein war, wie auch der Rest des Hauses, alt und brüchig. Die plötzliche Belastung durch das Metallgestell sowie die Vibrationen des abrollenden Seiles sorgten dafür, dass der Stein sich löste und in den Kamin stürzte. Gefolgt von dem Gestell - mitsamt dem Seil, welches Bond eigentlich sichern sollte. 

Fluchend stürzte Bond die letzten drei Meter ungebremst direkt in das Feuer. Der Überraschungseffekt war bereits zum Teufel, als zu allem Unglück auch noch der Ziegel Bond direkt auf den Schädel fiel. Polternd stürzte er nach vorne und landete, jegliche Eleganz vermissen lassend, auf einem Bärenfell vor dem Kamin. Stöhnend stützte sich Bond vom Boden ab und betrachtete die fassungslosen Gesichter der Anwesenden. Dann klopfte er lächelnd den Russ von seinem roten Mantel und seiner ebenso roten Hose und griff nach dem schweren Rucksack, bevor dieser im Kamin Feuer fangen konnte.

"Bond!" rief Q ungläubig. "Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?"

"Oh James!" Miss Moneypenny beugte sich mit besorgtem Gesichtsausdruck zu dem Agenten im Weihnachtsmannkostüm herunter. "Ist Ihnen denn auch nichts passiert?"

Bond stöhnte.... und wieder schwor er sich, dass nächstes Jahr M die Rolle des Weihnachtsmannes übernehmen sollte.