19.11.99
Ein besonderes Weihnachtsfest
Der junge Mann in der S-Bahn war vermutlich niemandem aufgefallen. Wie auch, schließlich drängten sich Tausende in der S-Bahn! Die meisten hatten wohl für den heutigen Abend die letzten Geschenke, die letzten Zutaten für das Weihnachtsfestessen besorgt oder einfach ihre letzten Besuche abgestattet.
Der junge Mann dachte an seine Freundin. Nervös spielte er mit der Schatulle in seiner Manteltasche. Es sollte ein besonderes Weihnachtsfest werden. Sowohl für ihn, als auch für seine Freundin.
Er dachte an seine Eltern, die ihm gerade bei ihrer Feier mehrmals versichert hatten, wie sehr sie sich auf ihr Enkelkind freuten, das in einem guten Monat auf die Welt kommen würde.
Er und Caroline wohnten nun schon seit über einem Jahr zusammen. Was sollte ihn daran hindern, ihr diese Frage zu stellen?
Wieder streifte sein Blick die Uhr an seinem Handgelenk. Schon viertel nach sieben! Konnte diese Bahn denn nicht schneller fahren? Er musste in einer viertel Stunde daheim sein! 
Natürlich wusste er, dass er jeden Moment an seiner Haltestelle anhalten und von dort aus nur noch wenige Meter zu ihrer gemeinsamen Wohnung gehen musste, aber dir Ungeduld trieb ihn dazu, schon wieder auf die Uhr zu schauen.
Er sah nach den Rosen auf seinem Schoss. Es waren genau 12 rote. Sie sollten die 12 Jahre symbolisieren, die sie sich nun schon kannten. Damals auf der Schulparty hatten sie sich zum ersten Mal gesehen. Damals dachte noch keiner von beiden daran, dass sie einmal ein Paar werden würden! Sie verstanden sich auf Anhieb gut und verbrachten einen lustigen Abend miteinander. Er wurde in ihre Clique aufgenommen und es waren zwei lustige Jahre. Erst dann hatte er auf einmal begonnen, sie mit anderen Augen zu sehen. Ihre wunderschönen Haare, ihre Figur, ihr graziöser Gang. All das war nun auf einmal viel wichtiger als vorher. Er musste Tag und Nacht an sie denken. Jedesmal, wenn er sie sah, verspürte er ein seltsames Kribbeln in der Magen Gegend. Dann endlich hatte er sich getraut, ihr seine Liebe zu gestehen. Und sie hatte zu ihm gesagt: „Ich liebe dich schon seit wir uns das erste Mal begegnet sind!“ 
Er hätte heulen können vor Glück! Statt dessen hatte er sie in die Arme genommen und sie geküßt!
Er schwelgte in diesen wunderschönen Erinnerung, bis er schließlich bei seiner Haltestelle angelangt war. Er tastete nach der Schatulle. Ja, sie war noch da.
Er nahm die Rosen und verließ die S-Bahn. So schnell er konnte lief er nach Hause. Völlig außer Atem kam er schließlich dort an. Er kramte den Türschlüssel aus der Tiefe seiner Tasche und öffnete die Tür. Es war stockdunkel in der Wohnung, was ungewöhnlich war, denn Caroline hasste das Dunkel!
Plötzlich hörte er aus dem Wohnzimmer einen Laut. Er ging hin.
„Miau?“ kam es ihm fragend entgegen.
Er knipste verwundert das Licht an und sah auf dem Sofa zwei grüne Augen, die ihm entgegen blitzten. Sie gehörten einer Katze. Einer pechschwarzen Katze, die dort lag und sich räkelte und streckte.
„Na du?“ er ging zu der Katze und hielt ihr die Hand hin, damit sie ihn beschnüffeln konnte. Sie tat es ausgiebig. Als sie damit fertig war befand sie wohl, dass er ihr angenehm war, denn sie reckte den Schwanz in die Höhe, sprang vom Sofa hinunter, strich ihm um die Beine und schnurrte, so laut sie nur konnte.
Er nahm sie auf den Arm und streichelte sie. Er fragte sich nicht, woher sie kam, er war viel zu sehr mit der Frage beschäftigt, wo Caroline war!
Vielleicht sollte ich mal nebenan fragen, beschloss er. Er setzte die schwarze Schönheit wieder auf das Sofa und ging.
Seine Nachbarin war eine Frau mittleren Alters. Sie war sehr nett und so hatten er und Caroline sich sofort mit ihr angefreundet und waren inzwischen beim „Du“ angelangt. Sie half ihnen, wenn sie durch die Unerfahrenheit ihrer jungen Jahre etwas verbockt hatten, stand sie stets mit Rat und Tat zur Seite. Gelegentlich kam sie auch einfach nur vorbei um von ihrem Leid zu klagen. Ihre Mutter wohnte bei ihr und sie war eine alte Frau mit Dickschädel, so dass man mit ihr nichts zu lachen hatte.
Auch dieses Mal erhoffte er sich von ihr einen Anhaltspunkt. Vielleicht hatte Caroline ihr gesagt, wo sie hinging?
Er klingelte, aber niemand öffnete. Er klingelte ein zweites Mal und da hörte er schlürfende Schritte auf dem Fußboden. Die alte Frau Meier öffnete.
„Was ist los? Können Sie mich nicht mal an Weihnachten  Ruhe lassen? Wer sind Sie überhaupt?“ keifte sie gleich los.
„Ich bin Frank Höfner, von neben an. Verzeihen Sie die Störung, aber ist Ihre Tochter zu Hause?“ er versuchte so ruhig und höflich zu wirken, wie es ging, aber es gelang ihm nicht ganz, den Ton der Besorgnis zu verstecken.
„Ach, der sind Sie! Dann war das also Ihre Freundin!“ murmelte sie.
„Was ist mit Caroline?“ fragte er.
„Caroline! Heißt sie so?“ fragte die alte Dame zurück.
„Ja, aber nun sagen Sie doch endlich,  was mit ihr geschehen ist!“ drängte er die Frau.
„Nicht so stürmisch junger Mann! Ich war ja gerade dabei Ihnen zu erklären, was passiert ist!“ keifte sie.
„Es ist etwas passiert? Was?“ er wurde immer ungeduldiger und besorgter.
„Passiert? Ist eigentlich nicht viel! Sie stand plötzlich bei uns an der Tür und hat mit meiner Tochter geredet, sie hat dann nur noch gerufen ‚Mutter, wir fahren ins Krankenhaus‘ und dann waren sie weg!“ erzählte sie.
„Ins Krankenhaus? Ich muss sofort los! Dankeschön! Und entschuldigen sie bitte die Störung!“ er drehte sich um und rannte die Treppe hinunter in die Tiefgarage. Er musste das Auto nehmen, so war er schneller als mit den öffentlichen
Verkehrsmitteln!
Er fuhr wie der Teufel und kam wenig später im Krankenhaus an. Sofort lief er zur Schwester, die hinter der Theke saß und gelangweilt an ihrem Computer herum tippte.
„Entschuldigung, wurde hier eine Caroline Knör eingeliefert?“ fragte er, mühsam beruhigt.
„Wann in etwa?“ kam die kurz angebundene mürrische Gegenfrage.
„Vor zwei Stunden?“ vermutete er und hoffte, die richtige Zeit erwischt zu haben.
„Ja, ist auf Station Nummer 5a. Treppe hoch, dritter Stock links.“ Damit verschwand sie wieder in ihrem Computerspiel.
„Vielen Dank!“ er raste die Treppe nach oben und stand schließlich vor einer Glastür, die über und über mit bunten Bildern beklebt war. Er wunderte sich gerade darüber, warum die Schwester ihn auf die Kinderstation geschickt hatte, als sein Blick auf ein Schild über der Tür fiel.
„Geburtsstation“ Stand da.
Aber was soll das? Es ist doch erst in einem Monat soweit! Dachte er, trat aber dennoch durch die Tür und suchte das Schwesternzimmer.
„Entschuldigung!“ er klopfte an der offenen Tür.
„Ja?“ Eine junge Schwester kam um die Ecke auf ihn zu.
„Ich suche meine Freundin. Sie soll vor ein paar Stunden hier her gekommen sein.“ sagte er.
„Wie ist der Name?“ fragte die Schwester.
„Wie?“ fragte er völlig verwirrt.
„Na ja, sie müssen mir schon sagen, wie die frisch gewordene Mutter heißt, sonst kann ich sie nicht in das richtige Zimmer bringen!“ Sie lächelte amüsiert.
„Ach so, ja, Entschuldigung.“ stammelte er „Sie heißt Caroline Knör!“
Sie wandte sich zum Tisch um und blätterte in ihren Akten.
„Ja, sie ist tatsächlich hier. Sie liegt auf Zimmer 18!“ sagte sie, als sie fertig war.
„Wie geht es ihr denn?“ fragte er besorgt, während die Schwester ihn den Gang hinunter führte.
„Keine Sorge, es geht ihr ausgezeichnet! Sie hat vor knapp einer Stunde entbunden!“ beruhigte sie ihn.
„Hier sind wir! Aber klopfen Sie bitte zuerst! Es liegt noch eine weitere Patientin in dem Zimmer!“ damit drehte sie sich um und ging wieder zum Schwesternzimmer zurück.
Er klopfte gehorsam an der Tür und wartete, bis ein zaghaftes „Herein!“ ertönte.
Er öffnete mit erwartungsvoll klopfendem Herzen die Tür. Carolin lag in dem Bett am Fenster. Sie wirkte etwas blass und erschöpft, aber glücklich. Als sie ihn sah, leuchteten ihre Augen auf.
„Frank!“ Erleichterung schwang in ihrer Stimme mit.
„Caroline, ich... Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte! Ich...“ er ging auf sie zu, kniete vor ihr auf den Boden und nahm ihre Hände.
„Ich bin fast zergangen vor Sorge um dich! Als du nicht zu Hause warst, habe ich gar nicht gewusst, wo du bist und...“
„Ist ja gut, mir geht’s prima, wie du siehst!“ beruhigte sie ihren völlig aufgelösten Freund.
„Gertrud hat mich doch her gebracht und auf mich aufgepasst!“ sagte sie und deutete auf die Frau, die neben ihrem Bett auf einem Stuhl sass. 
„Gertrud, ich danke dir!“ sagte Frank, stand auf und umarmte sie.
„Ist schon gut, ihr zwei! Ich geh jetzt und lasse euch allein! Soll ich der Schwester sagen, dass sie euer Kind noch einmal her holen soll?“ fragte sie.
„Ja, das wäre nett!“ antwortete Caroline und Gertrud verschwand.
„Caroline ich...“
„Frank, hast du Phyllis gesehen? Wie ging es ihr?“ fragte Caroline.
„Phyllis? Du meinst die Katze? Ich glaube, es geht ihr gut!“ antwortete Frank.
„Ich wollte sie dir zu Weihnachten schenken, weil du dir doch schon immer eine Katze gewünscht hast!“ sagte sie.
„Aber... da fällt mir ein, ich habe ja auch noch ein Geschenk für dich!“ rief er aus.
Er kniete wieder neben Caroline nieder und nahm ihre Hände in die seinen. Er schaute ihr tief in die Augen und sagte dann:
„Caroline, ich wollte, dass es wunderschön wird für dich, aber jetzt muss ich dich ohne Rosen in der Hand und hier bitten...“ er stockte, holte die Schatulle aus der Manteltasche, nahm den Ring daraus und fuhr fort:
„Caroline, wir kennen uns jetzt schon lange, haben ein gemeinsames Kind, wohnen gemeinsam, da fehlt nur noch eines:
Willst du mich heiraten?“ fragte er und hielt ihr den Ring hin.
Sie hatte Tränen in den Augen.
„Frank, ich... natürlich will ich! Ich habe mich schon so sehr nach diesem Augenblick gesehnt! Du glaubst nicht, wie sehr ich dich liebe!“ 
Während sie sich küssten, steckte er ihr den Ring an den Finger.
Da kam die Schwester mit einem kleinen Bündel auf dem Arm in das Zimmer.
„Störe ich?“ fragte sie.
„Wie, nein, natürlich nicht!“ Caroline löste sich von Frank und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Haben sie Cornelia dabei?“ fragte sie dann.
„Natürlich! Wollen Sie sie haben, oder soll ich sie dem Vater geben?“ fragte die Schwester.
„Dem Vater! Ich habe sie bereits gesehen!“ entschied Caroline.
„Sie? Ich habe eine Tochter?“ fragte er, während die Schwester ihm das Bündel auf den Arm legte.
„JA und du musst schön ihr Köpfchen halten!“ ermahnte ihn seine Verlobte. Er nickte.
„Cornelia!“ flüsterte er überglücklich und sah in das verschlafene Gesicht seiner Tochter.