Der junge Mann in der S-Bahn
war vermutlich niemandem aufgefallen. Wie auch, schließlich drängten
sich Tausende in der S-Bahn! Die meisten hatten wohl für den heutigen
Abend die letzten Geschenke, die letzten Zutaten für das Weihnachtsfestessen
besorgt oder einfach ihre letzten Besuche abgestattet.
Der junge Mann dachte an seine Freundin. Nervös
spielte er mit der Schatulle in seiner Manteltasche. Es sollte ein besonderes
Weihnachtsfest werden. Sowohl für ihn, als auch für seine Freundin.
Er dachte an seine Eltern, die ihm gerade bei
ihrer Feier mehrmals versichert hatten, wie sehr sie sich auf ihr Enkelkind
freuten, das in einem guten Monat auf die Welt kommen würde.
Er und Caroline wohnten nun schon seit über
einem Jahr zusammen. Was sollte ihn daran hindern, ihr diese Frage zu stellen?
Wieder streifte sein Blick die Uhr an seinem
Handgelenk. Schon viertel nach sieben! Konnte diese Bahn denn nicht schneller
fahren? Er musste in einer viertel Stunde daheim sein!
Natürlich wusste er, dass er jeden Moment
an seiner Haltestelle anhalten und von dort aus nur noch wenige Meter zu
ihrer gemeinsamen Wohnung gehen musste, aber dir Ungeduld trieb ihn dazu,
schon wieder auf die Uhr zu schauen.
Er sah nach den Rosen auf seinem Schoss. Es waren
genau 12 rote. Sie sollten die 12 Jahre symbolisieren, die sie sich nun
schon kannten. Damals auf der Schulparty hatten sie sich zum ersten Mal
gesehen. Damals dachte noch keiner von beiden daran, dass sie einmal ein
Paar werden würden! Sie verstanden sich auf Anhieb gut und verbrachten
einen lustigen Abend miteinander. Er wurde in ihre Clique aufgenommen und
es waren zwei lustige Jahre. Erst dann hatte er auf einmal begonnen, sie
mit anderen Augen zu sehen. Ihre wunderschönen Haare, ihre Figur,
ihr graziöser Gang. All das war nun auf einmal viel wichtiger als
vorher. Er musste Tag und Nacht an sie denken. Jedesmal, wenn er sie sah,
verspürte er ein seltsames Kribbeln in der Magen Gegend. Dann endlich
hatte er sich getraut, ihr seine Liebe zu gestehen. Und sie hatte zu ihm
gesagt: „Ich liebe dich schon seit wir uns das erste Mal begegnet sind!“
Er hätte heulen können vor Glück!
Statt dessen hatte er sie in die Arme genommen und sie geküßt!
Er schwelgte in diesen wunderschönen Erinnerung,
bis er schließlich bei seiner Haltestelle angelangt war. Er tastete
nach der Schatulle. Ja, sie war noch da.
Er nahm die Rosen und verließ die S-Bahn.
So schnell er konnte lief er nach Hause. Völlig außer Atem kam
er schließlich dort an. Er kramte den Türschlüssel aus
der Tiefe seiner Tasche und öffnete die Tür. Es war stockdunkel
in der Wohnung, was ungewöhnlich war, denn Caroline hasste das Dunkel!
Plötzlich hörte er aus dem Wohnzimmer
einen Laut. Er ging hin.
„Miau?“ kam es ihm fragend entgegen.
Er knipste verwundert das Licht an und sah auf
dem Sofa zwei grüne Augen, die ihm entgegen blitzten. Sie gehörten
einer Katze. Einer pechschwarzen Katze, die dort lag und sich räkelte
und streckte.
„Na du?“ er ging zu der Katze und hielt ihr die
Hand hin, damit sie ihn beschnüffeln konnte. Sie tat es ausgiebig.
Als sie damit fertig war befand sie wohl, dass er ihr angenehm war, denn
sie reckte den Schwanz in die Höhe, sprang vom Sofa hinunter, strich
ihm um die Beine und schnurrte, so laut sie nur konnte.
Er nahm sie auf den Arm und streichelte sie.
Er fragte sich nicht, woher sie kam, er war viel zu sehr mit der Frage
beschäftigt, wo Caroline war!
Vielleicht sollte ich mal nebenan fragen, beschloss
er. Er setzte die schwarze Schönheit wieder auf das Sofa und ging.
Seine Nachbarin war eine Frau mittleren Alters.
Sie war sehr nett und so hatten er und Caroline sich sofort mit ihr angefreundet
und waren inzwischen beim „Du“ angelangt. Sie half ihnen, wenn sie durch
die Unerfahrenheit ihrer jungen Jahre etwas verbockt hatten, stand sie
stets mit Rat und Tat zur Seite. Gelegentlich kam sie auch einfach nur
vorbei um von ihrem Leid zu klagen. Ihre Mutter wohnte bei ihr und sie
war eine alte Frau mit Dickschädel, so dass man mit ihr nichts zu
lachen hatte.
Auch dieses Mal erhoffte er sich von ihr einen
Anhaltspunkt. Vielleicht hatte Caroline ihr gesagt, wo sie hinging?
Er klingelte, aber niemand öffnete. Er klingelte
ein zweites Mal und da hörte er schlürfende Schritte auf dem
Fußboden. Die alte Frau Meier öffnete.
„Was ist los? Können Sie mich nicht mal
an Weihnachten Ruhe lassen? Wer sind Sie überhaupt?“ keifte
sie gleich los.
„Ich bin Frank Höfner, von neben an. Verzeihen
Sie die Störung, aber ist Ihre Tochter zu Hause?“ er versuchte so
ruhig und höflich zu wirken, wie es ging, aber es gelang ihm nicht
ganz, den Ton der Besorgnis zu verstecken.
„Ach, der sind Sie! Dann war das also Ihre Freundin!“
murmelte sie.
„Was ist mit Caroline?“ fragte er.
„Caroline! Heißt sie so?“ fragte die alte
Dame zurück.
„Ja, aber nun sagen Sie doch endlich, was
mit ihr geschehen ist!“ drängte er die Frau.
„Nicht so stürmisch junger Mann! Ich war
ja gerade dabei Ihnen zu erklären, was passiert ist!“ keifte sie.
„Es ist etwas passiert? Was?“ er wurde immer
ungeduldiger und besorgter.
„Passiert? Ist eigentlich nicht viel! Sie stand
plötzlich bei uns an der Tür und hat mit meiner Tochter geredet,
sie hat dann nur noch gerufen ‚Mutter, wir fahren ins Krankenhaus‘ und
dann waren sie weg!“ erzählte sie.
„Ins Krankenhaus? Ich muss sofort los! Dankeschön!
Und entschuldigen sie bitte die Störung!“ er drehte sich um und rannte
die Treppe hinunter in die Tiefgarage. Er musste das Auto nehmen, so war
er schneller als mit den öffentlichen
Verkehrsmitteln!
Er fuhr wie der Teufel und kam wenig später
im Krankenhaus an. Sofort lief er zur Schwester, die hinter der Theke saß
und gelangweilt an ihrem Computer herum tippte.
„Entschuldigung, wurde hier eine Caroline Knör
eingeliefert?“ fragte er, mühsam beruhigt.
„Wann in etwa?“ kam die kurz angebundene mürrische
Gegenfrage.
„Vor zwei Stunden?“ vermutete er und hoffte,
die richtige Zeit erwischt zu haben.
„Ja, ist auf Station Nummer 5a. Treppe hoch,
dritter Stock links.“ Damit verschwand sie wieder in ihrem Computerspiel.
„Vielen Dank!“ er raste die Treppe nach oben
und stand schließlich vor einer Glastür, die über und über
mit bunten Bildern beklebt war. Er wunderte sich gerade darüber, warum
die Schwester ihn auf die Kinderstation geschickt hatte, als sein Blick
auf ein Schild über der Tür fiel.
„Geburtsstation“ Stand da.
Aber was soll das? Es ist doch erst in einem
Monat soweit! Dachte er, trat aber dennoch durch die Tür und suchte
das Schwesternzimmer.
„Entschuldigung!“ er klopfte an der offenen Tür.
„Ja?“ Eine junge Schwester kam um die Ecke auf
ihn zu.
„Ich suche meine Freundin. Sie soll vor ein paar
Stunden hier her gekommen sein.“ sagte er.
„Wie ist der Name?“ fragte die Schwester.
„Wie?“ fragte er völlig verwirrt.
„Na ja, sie müssen mir schon sagen, wie
die frisch gewordene Mutter heißt, sonst kann ich sie nicht in das
richtige Zimmer bringen!“ Sie lächelte amüsiert.
„Ach so, ja, Entschuldigung.“ stammelte er „Sie
heißt Caroline Knör!“
Sie wandte sich zum Tisch um und blätterte
in ihren Akten.
„Ja, sie ist tatsächlich hier. Sie liegt
auf Zimmer 18!“ sagte sie, als sie fertig war.
„Wie geht es ihr denn?“ fragte er besorgt, während
die Schwester ihn den Gang hinunter führte.
„Keine Sorge, es geht ihr ausgezeichnet! Sie
hat vor knapp einer Stunde entbunden!“ beruhigte sie ihn.
„Hier sind wir! Aber klopfen Sie bitte zuerst!
Es liegt noch eine weitere Patientin in dem Zimmer!“ damit drehte sie sich
um und ging wieder zum Schwesternzimmer zurück.
Er klopfte gehorsam an der Tür und wartete,
bis ein zaghaftes „Herein!“ ertönte.
Er öffnete mit erwartungsvoll klopfendem
Herzen die Tür. Carolin lag in dem Bett am Fenster. Sie wirkte etwas
blass und erschöpft, aber glücklich. Als sie ihn sah, leuchteten
ihre Augen auf.
„Frank!“ Erleichterung schwang in ihrer Stimme
mit.
„Caroline, ich... Ich bin so schnell gekommen
wie ich konnte! Ich...“ er ging auf sie zu, kniete vor ihr auf den Boden
und nahm ihre Hände.
„Ich bin fast zergangen vor Sorge um dich! Als
du nicht zu Hause warst, habe ich gar nicht gewusst, wo du bist und...“
„Ist ja gut, mir geht’s prima, wie du siehst!“
beruhigte sie ihren völlig aufgelösten Freund.
„Gertrud hat mich doch her gebracht und auf mich
aufgepasst!“ sagte sie und deutete auf die Frau, die neben ihrem Bett auf
einem Stuhl sass.
„Gertrud, ich danke dir!“ sagte Frank, stand
auf und umarmte sie.
„Ist schon gut, ihr zwei! Ich geh jetzt und lasse
euch allein! Soll ich der Schwester sagen, dass sie euer Kind noch einmal
her holen soll?“ fragte sie.
„Ja, das wäre nett!“ antwortete Caroline
und Gertrud verschwand.
„Caroline ich...“
„Frank, hast du Phyllis gesehen? Wie ging es
ihr?“ fragte Caroline.
„Phyllis? Du meinst die Katze? Ich glaube, es
geht ihr gut!“ antwortete Frank.
„Ich wollte sie dir zu Weihnachten schenken,
weil du dir doch schon immer eine Katze gewünscht hast!“ sagte sie.
„Aber... da fällt mir ein, ich habe ja auch
noch ein Geschenk für dich!“ rief er aus.
Er kniete wieder neben Caroline nieder und nahm
ihre Hände in die seinen. Er schaute ihr tief in die Augen und sagte
dann:
„Caroline, ich wollte, dass es wunderschön
wird für dich, aber jetzt muss ich dich ohne Rosen in der Hand und
hier bitten...“ er stockte, holte die Schatulle aus der Manteltasche, nahm
den Ring daraus und fuhr fort:
„Caroline, wir kennen uns jetzt schon lange,
haben ein gemeinsames Kind, wohnen gemeinsam, da fehlt nur noch eines:
Willst du mich heiraten?“ fragte er und hielt
ihr den Ring hin.
Sie hatte Tränen in den Augen.
„Frank, ich... natürlich will ich! Ich habe
mich schon so sehr nach diesem Augenblick gesehnt! Du glaubst nicht, wie
sehr ich dich liebe!“
Während sie sich küssten, steckte er
ihr den Ring an den Finger.
Da kam die Schwester mit einem kleinen Bündel
auf dem Arm in das Zimmer.
„Störe ich?“ fragte sie.
„Wie, nein, natürlich nicht!“ Caroline löste
sich von Frank und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Haben sie Cornelia dabei?“ fragte sie dann.
„Natürlich! Wollen Sie sie haben, oder soll
ich sie dem Vater geben?“ fragte die Schwester.
„Dem Vater! Ich habe sie bereits gesehen!“ entschied
Caroline.
„Sie? Ich habe eine Tochter?“ fragte er, während
die Schwester ihm das Bündel auf den Arm legte.
„JA und du musst schön ihr Köpfchen
halten!“ ermahnte ihn seine Verlobte. Er nickte.
„Cornelia!“ flüsterte er überglücklich
und sah in das verschlafene Gesicht seiner Tochter. |