Eine andere Weihnachtsgeschichte, Märchen?, Traum?, Wirklichkeit?
Daniel M. H. Merle am 06.12.97 

(Mittelteil "Zauberwald" von Birgit Essbauer)


Es war einmal zu der Zeit, als alles in diesem Land grau und dunkel war und niemand sich ein Lachen leistete. Wieder einmal brach der Winter plötzlich ein und alle Bewohner dieses Landes zogen sich in ihre fensterlosen Hütten zurück.

Ein alter Mann in einem kleinen Dorf hatte schon sehr viele trostlose Winter dieser Art erlebt. Für ihn ist es schon fast zur Gewohnheit geworden, daß niemand sich mehr freuen, lachen aber auch nicht mehr weinen konnte. Es war ganz einfach eine Zeit in der keiner seine Gefühle mehr zeigen konnte. Und trotzdem hatte der alte Mann plötzlich einen Gedanken in seinem Kopf, den er auch nicht mehr losbekam. Anfänglich wußte er nichts damit anzufangen, aber dann klärte sich sein Gesicht auf. Seine harten und tiefen Furchen wurden weicher, und es schien fast so als ob durch das durchströmende Blut seine Backen ausgefüllt würden. Der Gedanke wurde zu einer wagen Erinnerung, die in ihm hochkam. Durch seine jetzt glitzernden Augen schien es fast so, als ob diese durch sie hinaus wollte. Und wie aus heiterem Himmel lächelte er auf einmal. Es wurde ihm tatsächlich bewußt, da war auch mal ein anderes Leben in dem sehr viel Licht und Freude war. Da fiel es ihm wieder ein, die Geschichte mit der man die Dunkelheit und trostlose Welt besiegen kann:

    Es war einmal ein Zauberwald, in dem lebten viele Tiere und Fabelwesen. Leider hatten sich über die Jahrhunderte hinweg so viele Streitigkeiten und Fehden zwischen den einzelnen Arten und Rassen entwickelt, daß die Harmonie und die Ruhe des Waldes empfindlich gestört war. Es gab keine Feste mehr und wenn man sich begegnete, so wurde kein Gruß und kein freundliches Wort gewechselt, sondern jeder zog nur schnell den Kopf etwas tiefer zwischen die Schultern, blickte eisern zu Boden und hastete am anderen vorbei.

    Es war an einem verschneiten Winterabend im Dezember, einen Tag vor dem heiligen Abend, als auf einer stillen Lichtung mitten im Waldesinneren plötzlich viele kleine Sternchen zu tanzen begannen und einen Fleck beleuchteten, wo sich die tiefweiße Schneedecke in einer kleinen Wölbung erhoben hatte. In regelmäßigen Abständen rieselten immer wieder kleine Schneekugeln von der Spitze des winzigen Hügels herab und man konnte erkennen, daß im Innern eine Bewegung entstanden war. Das Licht lockte die Bewohner des Waldes an und langsam bildete sich ein immer größerer Kreis, der das Geschehen gespannt verfolgte. Keiner konnte sich erklären, wo dieser Hügel plötzlich herkam und was sich darunter verbergen würde.

    Der Tag verging und die Nacht brach herein. Es war sehr still, da keiner mit dem anderen sprechen wollte, aber inzwischen hatten sich beinah alle Bewohner des Zauberwaldes an diesem geheimnisvollen Ort zusammengefunden und harrten der Dinge, die das Hügelchen preisgeben würde. Die freien Plätze im Kreis wurden immer weniger und der Kontakt der Beobachtenden immer enger und so geschah es, daß plötzlich auch ein bißchen zur Seite gerückt wurde, wenn sich ein neuer Zuschauer einfand. Inzwischen war das Hügelchen größer und spitzer geworden und oben lugte etwas hervor, daß man jedoch noch nicht erkennen konnte. Der Tag verging und der Abend brach an - es war der heilige Abend.

    Alle Bewohner des Zauberwaldes hatten sich inzwischen auf der Lichtung eingefunden und saßen bzw. standen in stiller Eintracht um das schneebedeckte, leuchtende Hügelchen. Die Luft war kristallklar und die Sterne leuchteten hell am Firmament.

    Die kleinen Sternchen tanzten immer noch über dem Hügelchen auf und ab und plötzlich erfüllte heller Harfenklang die kleine Lichtung. Das Licht der Sternchen breitete sich über alle Tiere und Fabelwesen aus und ließ deren Augen leuchten, während sich aus dem Hügelchen ein kleines Weihnachtsbäumchen erhob, seine glockengeschmückten Zweige schüttelte und mit seinen brennenden Kerzen die kleine Lichtung erwärmte. In diesem Augenblick erfüllte ein freudiges Raunen die Luft und die Bewohner des Waldes sahen sich in die durch Freude erhellten Augen, umarmten sich und fingen an zum Harfenklang miteinander zu tanzen. Immer mehr Paare fanden sich, der Troll tanzte mit dem Eichhörnchen, die Hasendame mit dem Schneewolf, der Eisbär mit der Wetterhexe, zwanzig Zwerge machten Handstand und über all wurde die Freude weiter getragen. Es wurde gelacht und gesungen, die Lichtung erstrahlte im schönsten Licht und das kleine Weihnachtsbäumchen schüttelte im Takt seine Glöckchen. Plötzlich war nur noch Freude auf der Lichtung, alle lachten sich an und nahmen sich bei der Hand oder Pfote. Jeder teilte mit dem anderen sein Glück.

    Von diesem Weihnachtsabend an gab es im Zauberwald keinen Streit und keine Fehde mehr, jeder begrüßte den anderen freundlich und herzlich, wenn er ihm begegnete und wenn jemand Hilfe brauchte, so ging er einfach auf die Lichtung, wo das Bäumchen dann für ihn die Glöckchen schüttelte, um Hilfe herbeizurufen.

Der alte Mann stand auf, ging zur Tür, zögerte, dann aber stieß er seine Pforte auf. Was er dann sah trieb ihm tatsächlich die letzten noch verbliebenen dunklen Kräfte aus seinem Körper. Er konnte und wollte seine Tränen nicht mehr zurück halten. Es waren keine Tränen der Trauer, sondern was er draußen vor seiner Tür sah, trieb ihm Tränen des Glücks ein. Auf den Straßen wurde getanzt und gesungen. Es schien als ob von überall her eine Herrschaft von Engeln mit Ihren Harfen das Dorf mit himmlischen Melodien überflutete, Kinder rannen und sprangen so als ob sie jahrhundertelang sich nicht mehr bewegt hatten (dies war auch der Fall) und mitten auf dem alten Dorfplatz erschien ein so wunderbares Licht, daß selbst der alte Mann es schaffte seine durch die jahrelange Ruhe eingeschlafenen Knochen, zum Takt der Musik zu bewegen.

Nach Wochen und Monaten der absoluten Freude, hatte jeder Dorfbewohner die Zeit vor dem "großen Licht" bereits fast vergessen. Es stellte sich schließlich heraus, daß an dem Tage als die Dunkelheit aus den Herzen der Bewohner vertrieben wurde, jeder seine eigene Geschichte erfahren hatte. Durch Erzählungen wurde die Geschichte von dem "großen Licht" im ganzen Land verbreitet. Von da an, herrschte Freude und Glückseligkeit bis über alle Grenzen hinweg. Und gestorben ist das Licht nicht. Es lebt weiter.