Als
ich gegen Abend zurueckkehrte - die Sonne wuerde bald untergehen - war
ich endlich so weit, das Paeckchen oeffnen zu wollen. Aber nicht hier.
Ich besorgte mir im kleinen Supermarkt neben dem Bellevue Zigaretten, ein Baguette, etwas frischen Kaese und Rotwein (Chateauneuf du Pape natuerlich, was sonst) und machte mich per Auto auf den Weg. Ich wollte zu unserer Bucht, etwas ausserhalb der Stadt. Vor einer kleinen Schule parkte ich den Golf - nach etwa fuenf Minuten Fahrt - auf dem Parkplatz, schaute vorsichtig umher, ob mich jemand beobachtete und lief schnell zu einem schmalen Torbogen, von dem aus eine steile, viele Stufen zaehlende und grob in den Felsen gehauene Treppe hinunterfuehrte. Meistens waren wir nachts heimlich hierher geschlichen, denn die Bucht befand sich in Privatbesitz. Wir hatten allerdings immer Glueck, wurden nie behelligt - vielleicht befanden sich die Eigentuemer auf Reisen - und waren so auch immer unter uns. Ein winziger Strand mit bunten Kieseln reichte bis zum Wasser, das nach wenigen Schritten schon metertief in einen Abgrund fiel. Links wurde die Bucht durch steile Klippen vor neugierigen Blicken abgeschirmt, auf der rechten Seite lag ein sanft ansteigender wild bewachsener Huegel im Meer. An seinem Ende stieg ein faszinierend anzusehender Fels empor, auf dessen kuppelfoermiger Hoehe ein kleinerer Felsbrocken in den Himmel ragte. Er aehnelte einem Wolfskopf, der mit nach hinten angelegten Ohren und geoeffnetem Maul den Mond anheulte. Ein Blick auf das angrenzende luxurioese Anwesen liess mich befriedigt feststellen, dass es sich so verlassen wie eh und je zeigte - ich ahnte nicht, dass dort jemand aus dem Halbdunkel seines Zimmers mein Kommen interessiert registriert hatte. Der maechtige tote Baumstamm lag noch immer am Strand. Ich liess mich auf ihm nieder, verzehrte mein mitgebrachtes Abendbrot und beobachtete den roten Sonnenball, der sich anschickte, auch den Rest des Himmels blutrot zu faerben, bevor er am Horizont in das Meer eintauchen und sich dem verfuehrerischen Werben der Nacht ergeben wuerde. Das Paeckchen lag zu meinen Fuessen, ein wenig wollte ich noch warten, erst zu Ende essen... Beinahe vier Jahre lang waren wir ein Paar gewesen und ich hatte oft Schluss gemacht. Ich liebte ihn, oh ja, das schon, aber er war so schwierig und manchmal ertrug ich es einfach nicht mehr, wie er mich behandelte. Ich brauchte so sehr Zaertlichkeit, seine Zaertlichkeit und Liebe, seine Liebe, leider, denn er war nicht gewillt, mir diese zu geben. Vor allem nicht in der Oeffentlichkeit. Fremden gegenueber war er ganz anders, freundlicher, achtungsvoller, lockerer. Weil Fremde nichts von ihm verlangten? Wahrscheinlich verhielt er sich noch nicht einmal absichtlich so, er war einfach nicht der haendchenhaltende-Kuesschen-hier-Kuesschen-da-Typ, aber ich mochte es nicht einsehen, ich verlangte, dass er es wenigstens versuchte. Oft diskutierten wir darueber und er liess mich auch nie gehen, wenn ich die Beziehung beenden wollte. In diesen Momenten bekam ich es dann, mein ersehntes Zeichen der Liebe und fuer eine Weile machte es mich auch ausreichend gluecklich. Doch das Gefuehl hielt nie lange an. Dass ich ihn mit diesem immer wiederkehrenden Stress langsam zermuerbte, ahnte ich wohl manchmal, doch eine Art innerer Teufel liess mich nicht damit aufhoeren. Als ich dann zum letzten Mal einen Schlussstrich zog - Gott, wie haette ich wissen koennen, dass es auf grausame Weise wirklich das letzte Mal sein wuerde? - war ich eiskalt, denn diesmal wollte ich mich nicht umstimmen lassen, zumindest nicht sofort. Er musste doch endlich einsehen, dass er ohne mich nicht leben konnte und das Noetige dazu tun, mich nicht zu verlieren! Ich legte einen bravouroesen, wahrhaft oscar-verdaechtigen Abgang hin. Waere ich je in eine Schauspielschule gegangen - nach dieser Szene waeren alle Mitschueler vor Ehrfurcht erblasst und mein Lehrmeister haette mir eine fabelhafte Karriere vorausgesagt... ...nach drei Tagen fehlte er mir schon und seine Fehler sah ich gar nicht mehr so eng. Eine Woche verging und mir wurde klar - ich konnte mit seinen negativen Eigenschaften leben, aber nicht ohne ihn. Mein dummer Stolz schliesslich war schuld daran, dass ich ihm noch ein Wochenende Zeit gab, sich zuerst zu melden. Laenger wollte ich nicht warten, blieb er dann noch stur, lag es an mir, reumuetig zu ihm zurueckzukehren. Dazu jedoch sollte es nicht mehr kommen - genau dieses Wochenende ueberlebte er nicht. Zusammenzuckend kehrte ich aus meinen Gedanken zurueck, taeuschte ich mich oder hatte die Sonne gerade mit einem zischenden "zu spaet" die Meeresoberflaeche erreicht, um nun in ihrer dunkelroten Pracht am Horizont zu versinken...? Sofort wurde es kuehler, froestelnd ging ich zum Wasser und wusch mir die Haende, dann setzte ich mich zurueck auf den Baumstamm und nahm das Paeckchen auf meine Knie. |