Am
fruehen Morgen landeten wir in Marseille - in erleichterter Eile verliess
ich das Flugzeug. das es sich jedoch nicht verkneifen konnte, mir zum Abschied
ein letztes warnendes erinnerndes „zu spaet!“ nachzufluestern.
Ich holte meinen Koffer ab und liess mir die Schluessel zu dem durch meinen Vater bereits reservierten Leihwagen geben, der vor dem Flughafengebaeude auf mich wartete und mir fuer drei bis sechs Wochen gehoeren sollte - je nachdem, wie lange mir danach zumute war, mich zu erholen. Der Schluessel in meiner Hand versprach mir ein VW-Modell, beim Anblick des gelben Golfs jedoch stockte mir der Atem - auf haargenau sein Auto war ich nicht vorbereitet. Ich schalt mich einen Riesennarren - schliesslich prangten an diesem Golf unuebersehbar die franzoesischen Nummernschilder. Ausserdem hatte die vordere Stossstange an der linken Seite eindeutig keine leichte Delle und die Radioantenne war eine richtige Radioantenne, wie sie sein sollte - und keineswegs eine aus einem verbogenen Kleiderbuegel selbst zusammengebastelte. Trotzdem zitterte mir die Hand, als ich den Kofferraum aufschloss und mein Blick glitt zwanghaft hinunter zum Nummernschild, so als erwartete ich dort, eine Handbreit links daneben, einen leicht vergilbten Aufkleber zu sehen: Achtung Ufo - Fahrer gruesst alle Erdlinge - heimlich hatte ich ihn einmal aufgeklebt und obwohl Rob Aufkleber hasste, hatte er diesen doch nie entfernt... Natuerlich war er nicht da, also holte ich tief Luft, verstaute den Koffer und stieg ein. Das braune Paeckchen, bis dahin nicht aus meiner Hand gegeben, legte ich behutsam auf den Beifahrersitz. Geschaeftiges Treiben ueberflutete Marseilles Strassen bereits, noch lag leichter fruehmorgendlicher Dunst ueber der Hafenstadt, der strahlend blaue Himmel jedoch versprach einen weiteren vorsommerlich heissen Maitag. In oestlicher Richtung lenkte ich den Wagen hinaus aus der Stadt und folgte den Schildern zur Kuestenstrasse D 559. In vierzig Kilometern Entfernung lag der malerische Badeort La Ciotat - dorthin wollte ich. In den vergangenen zwei Jahren hatten wir jeden Herbst unseren Urlaub hier verbracht, allerdings waren wir immer mit dem Auto gefahren, ueber Strassbourg in Richtung Lyon herunterkommend. Wir naeherten uns auf der Autoroute du Soleil - die Sonnenstrasse - der Kueste und genossen auf dieser Fahrt die Schoenheiten der Provence. Gelegentliche Abstecher brachten uns auch die Camargue naeher - mit ihren beruehmten freilaufenden schwarzen Stieren, weissen Pferden und rosafarbenen Flamingos. Ich lachte laut auf in Erinnerung an den denkwuerdigen Nachmittag, als wir auf einem Gestuet anhielten, um uns die Pferde anzusehen. In der Annahme, ich haette den Autoschluessel bei mir, verschloss Robert sorgfaeltig alle Tueren - doch ich hatte ebenso sorgfaeltig den Schluessel innen auf das Armaturenbrett gelegt... Es war unser erster Urlaubstag, weit und breit keine Ortschaft in Sicht, das Gestuet menschenleer, kein Ersatzschluessel in unserem Gepaeck - und Rob war stocksauer. Fuer mich war die Situation schrecklich komisch, ich haette mich wegwerfen moegen vor Lachen - sein Sinn fuer Humor ging ihm hier jedoch voellig ab, das Wort Feinfuehligkeit war schon immer ein Fremdwort fuer ihn gewesen, so schimpfte er mich und meine Dummheit in Grund und Boden. Nur fuenfzehn Minuten benoetigte ich, dann hatte ich - ohne mir meines offensichtlichen Talentes fuer Autodiebstaehle vorher je bewusst gewesen zu sein - mit einem Stueck Draht durch die leicht zugaengige Gummidichtung des rechten Seitenfensters den Tuerknopf innen hochgezogen und konnte die Tuer oeffnen - doch die Harmonie zwischen uns war zerstoert und liess sich in den kommenden Tagen nur duerftig kitten. Warum nur begriff er nie, dass verletzende Worte sich mit der Zeit wie Stachel in Herzen bohren, wenn sie nicht wenigstens - so lange man nicht in der Lage ist, sich fuer sie zu entschuldigen - durch liebevolle Zuwendung zurueckgenommen werden? |