Es passiert selten, daß
wirklich atemberaubende Geschöpfe in mein Taxi steigen, aber es kommt
vor. Meistens steigen solche Engel nur hinten ein, weil sie es schon gewöhnt
sind, daß ihnen der Fahrer ständig auf die Beine schielt, wenn
sie es wagen sollten, sich vorne hin zu setzen. Auch verfügen sie
meist über ein unglaubliches Geschick, sich hinten so zu plazieren,
daß man so gut wie nichts mehr von ihnen im Rückspiegel sieht.
Das einzige, was sie einem ohne Einschränkung gönnen, ist der
Duft ihres aparten Parfüms. Aber es kommt ja wie erwähnt zum
Glück selten vor, daß sich solch waffenscheinpflichtige Erotik
im Taxi breitmacht.
An diesem Tag aber hatten es verschiedene Gestalten der griechischen Mythologie gleichzeitig auf mich abgesehen: Aphrodite, die plötzlich ohne Vorwarnung in mein Auto stieg - hinten natürlich - dann Amor, der mir einen wohlgezielten Pfeil direkt zwischen den kühlen Kopf und die Herzspitze trieb und schließlich Damokles, dessen Schwert unter der Decke klebte, sobald Aphrodite eingestiegen war. Wie sah sie eigentlich aus? Tja - es macht wohl wenig Sinn, wenn ich hier mit den üblichen Attributen des modernen Fleisch-Marketing um mich werfe: Langes Blondhaar, seidig schimmernd, lange, schanke Beine in hauchdünnen Nylons, eine Taille, die auf jahrelanges Körnerpicken schließen ließ etc.etc. Okay, sie war blond, tolle Figur undsoweiter, aber das war es nicht. Es waren ihre Augen. Es waren Augen von exotischer Provinienz: Eine onyxfarbene Hochglanzlinse in taubenblauer Edel-Iris auf einer Basis aus byzantinischem Perlmutt. Und die sahen mich durch den Rückspiegel an und sagten: Nimm mich, liebe mich, beschütze mich! Ihr Mund, der auch sehr hübsch war, sagte dagegen ziemlich tonlos: "Esperantostrasse 23 bitte." Dann schloß sie ihr langbewimpertes Augenpaar und lehnte ihr Luxusköpfchen an meinen Seitenholm. Ich würde diesen Holm aussägen und zu Hause in Kunstharz gießen! Wahrlich! Ich startete ganz sanft den Motor und fuhr sachte an. Ganz bedächtig lenkte ich das grobe Gefährt über die holprigen Wege Frankfurts. Nichts sollte ihren holden Schlummer stören. Sogar das Radio ließ ich aus, und dabei hatte man eine Sendung über Palestrina angekündigt. Den Main überquerte ich in seliger Umnachtung. Die Schweizer Straße fuhr ich auf pinkfarbenen Wattebäuschen entlang. Und als ich dann in die Mörfelder einbog, war mir als verfolgte mich ein Silberglanz in meiner Spur. Mein Engelchen hatte die ganze Fahrt über, ohne einmal aufzublicken oder eine Frage zu stellen oder sonst irgendein Lebenszeichen von sich zu geben, an meinem Holm gedöst. Und als ich am Bahndamm entlangfuhr und ein Zug mit martialischem Gekreisch an uns vorbeifuhr, schlief sie immer noch wie ein Kätzchen. Und selbst, als ich wie ein Idiot auf die Bremse latschte, weil eine Göre plötzlich wie ein Spuk über die Straße wetzte, blieb sie im Reich der Träume, obgleich ihr zartes Schläfenbein wie eine Holzramme gegen das Seitenfenster rummste. Das machte mir dann doch ein wenig Sorgen. Ich überlegte, was sie so sehr in Schlaf versetzt haben könnte. Vielleicht Jetlag? Oder eine Überdosis Valium? Langsam fand ich die Sache gespenstisch. Am Ende hatte sie sich gar einen Goldenen gesetzt, kurz bevor sie in mein Taxi... - nee, nee. So sah sie nun wirklich nicht aus. Das Haus Esperantostraße Nr. 23 war ein absolut unauffälliges Haus. Einfacher Ziegelbau, kleiner Vorgarten, zwei Stockwerke. Die Mülltonnen standen draußen. Ich wandte mich um und sah sie an. "Esperantostraße 23. Endstation. Das macht äh..." Ich linste zum Taxameter. Dort prangten keine Ziffern. Das Ding war aus. Ich hatte in meiner verliebten Verblendung vergessen, ihn einzuschalten. Ich seufzte. "Na egal. Wachen Sie auf Lady, Sie sind daheim." Mein Engel reagierte so lebhaft wie ein Bordstein. Sie hielt stur ihre Wange an meinen Holm geheftet und blies regelmäßig die zarten Nasenflügel auf. Ich räusperte mich. Laut. Ich hustete. Sehr laut. Dann drehte ich das Radio an. Erst ein leisese Gesäusel, dann immer heftiger. Schließlich donnerten Palestrinas Chöre durch das Wageninnere wie beim jüngsten Gericht. Mein holder Fahrgast schlief wie eine Leiche. Mir wurde himmelangst. Ich stieg aus, rannte um den Wagen herum und öffnete die Tür zum Fond. Ich ergriff behutsam Ihrem Unterarm und tastete nach dem Puls am Handgelenk. Er war da, ging sogar ziemlich schnell. "He! Lady! Aufwachen!" Es half alles nichts. Mylady schlief wie ein Stein. Ich rüttelte sie. Ich kniff sie in den rosigen Oberarm. Ich tatschte sie sogar am Schenkel. Spätestens jetzt hätte sie mir eine knallen müssen. Aber sie tats nicht. Sie rührte sich nicht. Da kam mir ein bösartiger und schmutziger Gedanke: Sie trug so ein luftiges, seidenes Hemdchen, unter dem sich deutlich ihre Brustwarzen abdrückten. Die Rundung ihres Busens lag verlockend vor mir. Ich sah mich um. Niemand zu sehen. "Hey Lady!" sagte ich nochmal laut. Meine Stimme klang rauh und mein Herz klopfte. Dann ging ich aufs Ganze. Ich griff nach dem Ausschnittsaum ihres Hemdes, lupfte ihn ein wenig und sah verstohlen hinein. Zwei allerliebste, wohlgeformte Edeltittchen. Wie aus einem Magazin. Whow! Bevor ich selbst überschnappte, ließ ich lieber den Saum zurückschnappen. Was jetzt? Ich konnte sie schlecht auf die Straße zerren und dort einfach ablegen. Also gut. Esperantostraße 23. Vielleicht war ja jemand da, der mir helfen konnte. An der Klingel standen zwei Namen. Berger und Hübner. Auf mein Klingeln tat sich nichts. Ich öffnete die Gartentür und ging durch den Vorgarten an die Haustür. Auch hier tat sich auf Klingeln und Klopfen und lautes Rufen überhaupt nichts. Das Haus war so leer, wie mein Kopf. Verdammt, wie sollte ich ihr nur helfen? Ich war schließlich kein Sani. Ein schmaler Gartenweg führte um das Haus herum. Als ich ihm folgte, stand ich irgendwann auf einer Veranda. Es gab einen weißen Plastiktisch und weiße Plastikstühle. Die Türen waren verschlossen und auf mein Klopfen rührte sich auch hier nichts. Na gut, dachte ich. Dann müssen wir eben größere Geschütze auffahren. Ich ging zurück zum Taxi, mit dem festen Vorsatz, jetzt per Funk einen Krankenwagen zu ordern. Als ich zu meinem Wagen zurückkam, stand die Tür zum Fond sperrangelweit offen. Von meinem Engel weit und breit keine Spur. Der Platz war verwaist und ein Hauch ihres Parfums hing noch in der Luft. Auf der Rückbank lag ein Zettel. Mit Kugelschreiber hastig hingekriztelt stand dort eine Botschaft für mich: "Entschuldige. Hatte keine Kohle mehr. Aber ich denke, durch dein unverschämtes Gegrabsche sind wir jetzt quitt!" |