Ich glaube es gibt keinen
Erwachsenen, der schon einmal eine Fee oder eine Elfe gesehen hat.
Aber wenn Kinder ganz fest
daran glauben, dann kann es geschehen, dass sie plötzlich in der Nacht
in das Land der Zwerge und Gnome entführt werden.
So ist es dem kleinen Felix
geschehen.
Ich wollte ja eigentlich noch gar nicht ins Bett, aber
Papa war heute abend unerbittlich.
"Du warst heute nicht sehr
brav. Mutti musste ganz alleine den Rasen mähen, und deine Hausaufgaben
hast du auch nicht ordentlich gemacht."
Wie sollte ich Papa erklären,
das ich heute wirklich keine Zeit hatte, weil es doch beim Bauern Hanesch
kleine Katzen gab. Sicher plagte mich das schlechte Gewissen, aber ich
hatte beim Spielen total die Zeit vergessen.
Nun lag ich in meinem Bett
und starrte an die Zimmerdecke. Mein Teddy hatte schon längst die
Knopfaugen geschlossen, aber ich wurde einfach nicht müde.
Mit den Gedanken war ich bei
der Deutscharbeit, die morgen geschrieben werden sollte. Ich hatte mich
nicht gut vorbereitet, und mehr als eine vier würde es bestimmt nicht
werden. Vielleicht ließ mich Moritz ja abschreiben, wenn ich ihm
meine Steinschleuder schenkte, dachte ich und machte die Nachttischlampe
aus.
Plötzlich hörte
ich etwas rascheln. Das Geräusch kam vom Fenster, das wegen der warmen
Nachtluft geöffnet war. Die Vorhänge bewegten sich leise im Wind.
"Psst, Felix..."
Ich saß kerzengerade
im Bett. Was war das?
"Wer ist da?"
Ich zog meine Bettdecke bis
an das Kinn. Mein Herz schlug mit der alten Turmuhr im Takt.
Dong, dong, dong...
"Psst Felix, darf ich zu dir
kommen?"
Ich öffnete den Mund
um etwas zu sagen, aber es gelang mir nicht. Stumm vor Schreck starrte
ich zum Fenster. Auf der Fensterbank saß ein kleiner Wicht und baumelte
mit den Füßen. Nur undeutlich konnte ich ihn in der Dunkelheit
erkennen.
"Wer bist du?"
Ich kauerte immer noch in
der Ecke meines Bettes und versuchte die zitternden Beine mit der Hand
fest zu halten.
"Ich bin dein Traumzwerg,
und wie der Name schon sagt, für deine Träume verantwortlich."
Ich sah angstrengt zum Fenster.
Der Kleine trug eine rote Zipfelmütze und hatte einen weißen
Bart.
Er hat große Ähnlichkeit
mit Mamas Gartenzwerg, dachte ich und musste lachen.
"Ich habe mir Zwerge nicht
so klein vorgestellt."
"Ich nehme dich jetzt mit
in mein Land," sagte der Kleine und hüpfte auf die Bettdecke.
"Nein, das geht nicht. Ich
darf nicht einfach weggehen. Was sollen meine Eltern denken, wenn ich morgen
früh nicht in meinem Bett liege?"
"Aber dann bist du doch längst
wieder zurück. Ich verspreche dir, deine Eltern werden dich nicht
vermissen."
Er streckte seine Hände
aus und blickte mich freundlich an.
"Komm, wir müssen uns
beeilen. Wir haben einen weiten Weg."
Ich schlug die Decke zurück
und schlüpfte in meine Hausschuhe. Dann nahm ich meinen Teddy ganz
fest in die Arme und ging an der Hand des Zwerges leise durch die Haustür
in den Garten.
"Gleich hinter dem Fliederbusch
steht mein Luftschiff."
Ich traute meinen Augen nicht.
Ich sah einen großen blauen Ballon, an dem unten ein Korb hing.
Der Ballon wiegte sich sanft
im Abendwind.
Der Teddy klammerte sich fest
an mich und sah mich mit ängstlichen Augen an.
"Komm steig ein, wir fliegen
sofort los."
Mit einem Satz war der Zwerg
in den Korb gesprungen, und half mir beim Einsteigen.
"Ich möchte aber wissen,
wohin wir fliegen."
"Lass dich überraschen.
Wir starten jetzt."
Er pfiff laut auf zwei Fingern
und ganz plötzlich blies ein frischer Wind durch den Garten. Der Ballon
hob kräftig schaukelnd vom Boden ab. Teddy verdrehte ängstlich
seine Augen, und ich klammerte mich am Rand des Korbes fest.
"Wenn wir oben sind wird es
nicht mehr so stark schaukeln."
Der Zwerg hatte Recht. Der
Ballon zog bald ruhig seine Bahn. Gerade flog er haarscharf am Kirchturm
vorbei. Die Tauben flatterten erschreckt hoch. Aufgeregt versuchten sie
das Gleichgewicht zu halten.
"Unverschämt, Frechheit!"
Schimpfend flogen sie zu ihrem
Schlafplatz zurück. Der Traumzwerg winkte ihnen fröhlich zu und
steuerte den Ballon aus der Stadt hinaus.
Wir flogen nun über
Wiesen und Felder auf den Wald zu.
"Wir müssen höher
steigen, sonst beschädigen die Zweige der Bäume unseren Ballon."
Der Kleine pfiff wieder schrill
auf seinen Fingern und augenblicklich frischte der Wind auf.
Eine kräftige Boe ließ
das Luftschiff steil in die Höhe steigen. Ich sah nach unten.
Immer noch stieg der Ballon.
Den Wald hatten wir inzwischen hinter uns gelassen und ein kleiner Ort
wurde sichtbar. Die Häuser und die Autos waren so klein wie aus einer
Spielzeugwelt. Hier und da erhellte eine Straßenlaterne die Dunkelheit.
Ich kuschelte mich eng an meinen Teddy, mir war kalt.
Die Luft hier oben war kühl
und der Wind blies immer noch kräftig. Der Ballon flog zügig
voran.
"Sagst du mir nun wohin wir
fliegen?"
Der Zwerg machte sich an den
Seilen zu schaffen, die den Ballon mit dem Korb verbanden.
"Du wirst schon sehen..."
Mit kritischem Blick überprüfte
er die Verbindung der Knoten und war zufrieden.
"Achtung, wir steigen jetzt
noch höher. Hab keine Angst, ich habe alles unter Kontrolle!"
Ich sah ängstlich nach
oben in den nachtschwarzen, sternenklaren Himmel. Der Mond stand als große
runde Scheibe über uns. Er war so nah, dass man ihn hätte greifen
können. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. Ich
hatte richtig gesehen, der Mond lächelte mich an. Mit großen
gütigen Augen blickte er auf uns hinunter und verzog seinen
Mund zu einem breiten Grinsen.
"Hast du gesehen, Teddy? Ich
habe gar nicht gewusst, dass der Mond ein Gesicht hat."
"Natürlich hat der Mond
ein Gesicht, du hast ja schließlich auch eines."
Der Zwerg winkte dem Mond
freundschaftlich zu während der ihm mit einem Auge zuzwinkerte.
"Wir könnten eigentlich
einen kleinen Abstecher ins Sternenland machen. Ich habe meinen Freund
schon so lange nicht mehr gesehen."
Gesagt, getan. Er zog kräftig
an den Seilen und der blaue Ballon stieg noch höher.
"Sieh nur, die ersten Sternchen
sind schon da."
Und tatsächlich! Viele
kleine leuchtende Sternchen tanzten um den Ballon herum. Ich staunte, alle
hatten Gesichter und schwatzten fröhlich drauflos. Einige, ganz mutige
setzten sich oben auf den Ballon und flogen so ohne Anstrengung mit uns
durch die Nacht.
Inzwischen waren wir dem Mond
immer näher gekommen. Es war so kalt geworden, dass sich kleine spitze
Eiszapfen am Ballon gebildet hatten. Ich fror in meinem dünnen Schlafanzug
erbärmlich.
Plötzlich öffnete
sich direkt vor uns ein großes silbernes Tor. Ein breiter Weg wurde
sichtbar. Links und rechts tanzten die Sternchen und kicherten albern,
als sie uns sahen. Am Ende des Weges saß der Mond auf einem mächtigen
silbrig glänzenden Thron. Ich musste meine Augen schließen,
so hell war es um uns herum.
"So seid doch still, ihr albernen
Gänse!"
Mit dröhnender Stimme
rief der Mond die kichernden Sternchen zur Ordnung. Einen Augenblick war
es mucksmäuschenstill, aber dann musste eines von den ganz kleinen
Sternchen niesen und sofort fingen alle wieder an zu lachen.
"Ach, es ist schon eine Plage
mit euch..."
Der Mond winkte uns zu sich
heran und sah mich neugierig an.
"Ja, grüß dich
Traumzwerg, wen hast du mir denn mitgebracht? Ein Menschenkindlein?"
Der Zwerg hüpfte zuerst
aus dem Korb und half dann Teddy und mir beim Aussteigen.
"Grüß Gott, alter
Freund Mond. Ich bin mit Felix auf der Durchreise. Wie geht's denn so?
Ist im Sternenland alles im Ordnung?"
"Ach, gar nichts ist in Ordnung.
In der letzten Nacht wurden schon wieder sechs von den Sternchen entführt.
Ich bin sicher, es war die Nebelhexe, aber was soll ich tun? Ich bin einfach
zu alt, um es mit der Hexe aufzunehmen. Insgesamt habe ich schon fast zwanzig
Sternchen verloren, wenn das so weitergeht... Oh je!"
Der Mond machte ein betrübtes
Gesicht und eine dicke Träne lief aus seinem rechten Auge und platschte
auf den Boden. Ein Sternchen sprang erschrocken zur Seite.
"Ja, aber da muss man doch
etwas tun."
Der Zwerg sah ratlos aus.
"Wo wohnt denn die Nebelhexe?"
Ich ging auf den Mond zu,
der noch immer traurig in die Runde blickte.
"Gar nicht so weit von hier.
Siehst du dort die dicke Nebelwand? Dahinter steht ihr Schloss, das von
den Nebelhunden bewacht wird. Bisher hat es noch niemand geschafft, in
ihr Schloss vorzudringen."
Die kleinen Sternchen hatten
inzwischen mit ihrem albernen Gekicher aufgehört und hörten uns
aufmerksam zu.
"Ich werde zu ihr gehen und
mit ihr reden. Sie wird schon vernünftig sein und die Sternchen wieder
freilassen."
Entschlossen setzte ich Teddy
auf eine weiche Wolke und wollte wieder in den Korb klettern.
"Ach, wenn das so einfach
wäre. Sie wird dir gar nicht zuhören und gleich die Hunde auf
dich hetzen."
Aber ich war fest entschlossen,
die Sternchen zu befreien. Ich löste das Seil, und der Zwerg sprang
noch im letzten Augenblick zu mir in den Korb.
"Viel Glück!"
Der Mond winkte uns zu, und
die Sternchen begleiteten uns noch ein Stück auf unserem Weg zur Nebelhexe.
Es dauerte nicht lange, und
der Ballon bewegte sich zügig vorwärts in Richtung der undurchdringlichen
Nebelwand.
"Hast du dir das auch gut
überlegt?"
Fragend schaute der Zwerg
mich an.
"Noch können wir umkehren."
"Wir werden auf keinen Fall
umkehren! Wir werden die Sternchen befreien, du wirst sehen."
Entschlossen pfiff ich auf
den Fingern, wie ich es bei dem Zwerg gesehen hatte, und im gleichen
Augenblick blies uns der Wind schneller und schneller vorwärts. Wir
waren nur noch wenige Meter von der dichten Nebelwand entfernt, als wir
das wütende Gebell einiger Hunde hörten.
"Das sind die Nebelhunde!"
Der Zwerg hüpfte aufgeregt
im Korb hin und her. In der Zwischenzeit hatten wir unsere Fahrt verlangsamt
und die ersten Nebelschwaden bewegten sich auf uns zu.
Ich kramte in meiner Hosentasche
und holte einen zerdrückten Schokoriegel hervor.
"Alle Hunde mögen Schokolade,
Maxi, der kleine Hund unseres Nachbarn ist ganz verrückt danach. Das
war die Lösung..."
Ich hielt den Schokoriegel
in der einen Hand während ich mich mit der anderen Hand krampfhaft
festhielt, weil der Ballon jetzt heftig zu schaukeln begann. Der Nebel
war so dicht, dass man nichts erkennen konnte. Ich tastete nach meinem
Begleiter.
"Zwerg, wo bist du? Ich kann
nichts mehr sehen. Ist es noch weit?"
"Woher soll ich das wissen,"
Kam es ärgerlich aus einer Ecke des Korbes, "Glaubst du ich kenne
mich hier aus? Schließlich war es deine Idee."
"Ich habe ja auch nur gefragt.
Das Hundegebell kommt näher, ich denke, wir haben es gleich geschafft."
Tatsächlich, plötzlich
riss die Nebelwand auf und vor uns lag ein Schloss mit vielen hohen Türmen
aus schwarzem Schiefer. Alle Fenster hatten schwarze Scheiben, und ein
breiter tiefer Graben sorgte dafür, dass sich niemand dem Schloss
nähern konnte. Vor der mächtigen Eingangspforte lagen vier schwarze
Hunde und leckten sich ihre Pfoten.
"Da kommen wir nie hinein,
unmöglich!"
"Wir können es doch erst
einmal versuchen. Aufgeben können wir immer noch."
Während der Fahrt hatte
ich mir überlegt wie wir vorgehen könnten. Zuerst war es wichtig
die Hunde abzulenken, damit wir in das Schloss hinein kamen. Dabei würde
mir hoffentlich mein Schokoriegel helfen, den ich immer noch krampfhaft
in der Hand hielt. Der Ballon näherte sich langsam den schwarzen Türmen,
die sich trotzig in den Himmel reckten. Der Zwerg steuerte unser Luftschiff
vorsichtig durch die Türme hindurch zur Vorderseite des Schlosses.
Jetzt befanden wir uns genau über der Eingangspforte.
"Wir müssen weiter nach
unten, wir sind noch viel zu hoch."
Ich beobachtete die Hunde,
die uns noch nicht bemerkt hatten. Lautlos schwebte der Ballon einige Meter
in die Tiefe.
"Hatschi..."
Der Zwerg rieb sich die kleine
Nase und sah mich schuldbewusst an. Dann begann ein wildes Gebell. Die
schwarzen Hunde waren auf uns aufmerksam geworden und sprangen laut bellend
hoch in die Luft. Jetzt mussten wir handeln.
"Noch ein wenig tiefer, sonst
kann ich nicht zielen."
Ich beugte mich weit über
den Rand des Korbes hinaus und wartete auf den günstigsten Augenblick.
Der Zwerg steuerte den Ballon
ein wenig von der Eingangspforte weg. Die Hunde folgten uns wütend.
Als sich alle vier Hunde weit
genug von der Pforte entfernt hatten, ließ ich den Schokoriegel fallen.
Sofort stürzten sie sich
auf den Leckerbissen. Nach einem wilden Kampf hatte schließlich einer
von ihnen den Riegel im Maul und versuchte zu entkommen um seine Beute
in Sicherheit zu bringen. Die anderen drei rannten wie der Blitz hinter
ihm her. So eine Köstlichkeit wollten sie sich nicht entgehen lassen.
Auf uns achtete keiner von ihnen mehr. Schnell parkten wir den Ballon vor
der Eingangstür und huschten durch den schmalen Spalt der schweren
Holztür ins Innere des Schlosses. Drinnen war es dämmrig und
sehr kühl. Überall hingen Nebelschwaden an den Wänden. Ich
sah mich nach allen Seiten um. Wir standen in einem großen
fensterlosen Raum. An jeder Wand befand sich eine Tür, die mit einem
schweren Eisenriegel verschlossen war. Ich ging auf die nächste Tür
zu und versuchte den Riegel beiseite zu schieben. Knirschend bewegte sich
das verrostete Eisenteil zur Seite.
"Nicht so laut, es muss ja
nicht jeder hören, dass wir hier sind."
Der Zwerg war ängstlich
an der Eingangstür stehen geblieben. Ich hatte den schweren Riegel
inzwischen vollständig aus seiner Halterung geschoben, und knarrend
öffnete sich die Tür einen Spalt.
Vorsichtig drückte ich
die Tür weiter auf und blickte in den Raum hinein. Auch hier gab es
kein Licht. Aber ein Fenster sorgte für etwas Helligkeit. In der Mitte
des Raumes stand ein riesiger Tisch, der für eine Mahlzeit gedeckt
war. Ich zählte fünf Teller und Gläser. Sonst konnte ich
nichts erkennen, da der graue Nebel alles verdeckte. Es war totenstill
um uns herum. Der Zwerg klammerte sich an mein Hosenbein und sagte:
"Lass uns gehen, du siehst
es ist niemand hier"
"Du Angsthase, ich gehe nicht
eher, bis ich die Sternchen gefunden habe."
Entschlossen wollte ich gerade
zur nächsten Tür gehen, da spürte ich einen kalten Luftzug
an meinen Beinen. Ich hielt den Atem an, und wollte nicht glauben, was
ich sah. Die Tür wurde, wie von Geisterhand geöffnet und eine
durchsichtige Gestalt schwebte in den Raum.
"Ein Gespenst..." Flüsterte
der Zwerg.
Die Gestalt trug einen langen
grauen Umhang und war in wallende Nebelschwaden gehüllt. Langsam bewegte
sie sich auf uns zu. Je näher sie mir kam, um so kälter wurde
es im Raum.
"Hallo..."
Ich hob zur Begrüßung
meine Hand und lächelte freundlich. Ich wollte den Geist auf keinen
Fall verärgern.
"Wir möchten gerne zur
Nebelhexe, kannst du uns sagen wo sie ist?"
"So, zur Nebelhexe möchtet
ihr, und darum brecht ihr so einfach in das Schloss ein?"
"Wir haben keine Klingel gefunden."
So schlecht habe ich schon
lange nicht mehr gelogen, dachte ich. Die Gestalt schwebte zum Tisch
und sagte:
"Dann muss ich ja noch zwei
Gedecke auflegen."
"Ach eigentlich haben wir
keinen Hunger, und wir müssen jetzt auch wieder nach Hause. Wir wollten
nur mal eben Guten Tag sagen."
Der Zwerg versuchte verzweifelt
mich an der Hose zurück zur Tür zu zerren.
"Nein, nein, ihr seid meine
Gäste, und müsst mit mir speisen."
"Ach, dann bist du die Nebelhexe?"
"Nein, meine Mutter ist die
Nebelhexe. Wenn sie euren Ballon vor der Tür sieht, wird sie sich
freuen. Wir bekommen selten Besuch. Hi hi."
"Wir müssen wirklich
nach Hause..."
Die Nebelhexenfamilie wurde
mir doch langsam zu unheimlich.
"Nach Hause, wollt ihr? Nein,
ihr bleibt hier im Schloss. Ich habe mir schon immer zwei Spielkameraden
gewünscht."
Verzweifelt versuchte ich
die schwere Tür zu öffnen, aber es gelang mir nicht. Wir waren
in diesem Raum gefangen.
"Setzt euch, ich möchte
jetzt essen," sagte die kleine Hexe und zog an einem Glockenstrang.
Der Klang der Glocke dröhnte
durch das ganze Schloss. Augenblicklich öffnete sich die Tür
und ein Diener kam mit einem riesigen Tablett ins Zimmer. Er stellte dampfende
Schüsseln und große Platten mit Fleisch und Obst auf den Tisch.
Gerade überlegte ich, für wen die übrigen Teller und Gläser
bestimmt waren, da öffnete sich die Tür abermals und es schwebten
noch drei kleine Nebelhexen ins Zimmer. Wie von Geisterhand standen plötzlich
noch zwei Gedecke auf dem Tisch und ohne dass wir auch nur einen Schritt
gemacht hätten, saßen wir auf unseren Stühlen. Der Diener,
der übrigens nicht durchsichtig war, schnippte mit dem Finger und
schon waren unsere Teller mit Obst und anderen leckeren Dingen gefüllt.
"Du, der kann zaubern..."
Der Zwerg blickte erstaunt
erst auf seinen Teller dann auf den Diener. Die vier kleinen Nebelhexen
machten sich schmatzend über die leckere Mahlzeit her. Unsicher nahm
ich einen Apfel und betrachtete ihn von allen Seiten. Mein Magen fühlte
sich zwar an wie ein großes leeres Loch, aber was würde passieren,
wenn ich diesen Apfel esse. Vielleicht war es ein verzauberter Apfel? Ich
beobachtete den Zwerg, der gerade in eine Banane biss. Genüsslich
stopfte er einen Bissen nach dem anderen in sich hinein. Alles sah ganz
normal aus, er bekam keine lange Nase und seine Ohren blieben auch so,
wie sie waren. Schließlich war mein Hunger größer als
meine Vorsicht. Herzhaft biss ich in den roten Apfel. Hmm, er war süß
und saftig.
Plötzlich fingen
die Hunde wieder an zu bellen und eine schrille Stimme füllte den
Raum.
"Verdammt, wollt ihr wohl
ruhig sein. Wenn jetzt nicht augenblicklich Ruhe ist, mache ich Hackfleisch
aus euch."
"Das ist unsere Mutter!"
Die kleinen Hexen sahen erschrocken
zur Tür.
"Sie hat schlechte Laune."
Die Tür flog krachend
auf, und eine große, graue, durchsichtige Gestalt schwebte in den
Raum. Die Hexe war ganz von Nebelwolken eingehüllt. Man konnte ihr
Gesicht kaum erkennen.
"Was ist das für ein
lächerliches Gefährt vor der Tür? Wer hat es gewagt hierher
zu kommen?"
In diesem Augenblick hatte
sie uns entdeckt und kam drohend auf uns zu.
"Was seid ihr für komische
Figuren? Was wollt ihr hier?"
"Wir wollten dich besuchen..."
Der Zwerg rutschte auf seinem
Stuhl hin und her und wäre fast unter den Tisch gefallen.
"Nein, das stimmt nicht, wir
wollen die Sternchen zurück! Darum sind wir hier."
Mutig war ich aufgestanden
und blickte der Nebelhexe in das nebelverhangene Gesicht.
"Was wollt ihr? Ihr wollt
die Sternchen zurück? Das ich nicht lache, Ha ha ha."
Sie wollte sich wohl ausschütten
vor Lachen. Ja, sie lachte bis die Schlossmauern zitterten. Erst als die
Teller und Gläser vom Tisch rutschten, hörte sie auf.
"Die Sternchen bekommt ihr
nie zurück. Die gehören mir! Habt ihr das verstanden?"
Die Hexe setzte sich auf einen
Stuhl und begann schmatzend den Gemüsebrei aus der Schüssel zu
essen. Gierig stopfte sie sich Löffel für Löffel von dem
dampfenden Essen in den Mund.
Die kleinen Hexchen saßen
eingeschüchtert auf ihren Plätzen und sahen ihrer Mutter ängstlich
beim Essen zu.
"Ach bitte, Frau Hexe, der
Mond ist so traurig. Er braucht die Sternchen dringend, sonst ist im Sternenland
bald alles dunkel. Das können sie doch nicht wollen, oder?"
"Was interessiert mich der
Mond, ich brauche die Sternchen genau so dringend. Und jetzt geht mir aus
dem Weg, ich mache nun meinen Mittagsschlaf."
Polternd stand sie vom Tisch
auf, und hob drohend den Finger.
"Wenn ich wieder komme, seid
ihr verschwunden, verstanden?"
Krachend fiel hinter ihr die
Tür ins Schloss.
"Oh je, ihr solltet wirklich
besser gehen, Mutter kann sehr böse werden, wenn man nicht tut, was
sie will."
Die kleinen Hexen machten
betrübte Gesichter und huschten unruhig im Raum hin und her.
Ich sah mich nach dem Zwerg
um. Nein, so schnell wollte ich nicht aufgeben. Was sollte ich dem Mond
sagen, wenn wir mit leeren Händen kamen.
"Zwerg, wo bist du?"
Hinter einer dicken Nebelwolke
bewegte sich etwas. Verstört kam mein Traumzwerg zum Vorschein.
"Na, du bist mir aber ein
Angsthase. Wir lassen uns doch nicht einschüchtern. Ich bleibe dabei,
ohne Sternchen gehe ich hier nicht wieder weg."
"Wir können euch sagen,
wo ihr die Sternchen findet."
Die kleinen Hexen schwebten
zu uns hinüber und flüsterten so leise, dass wir es kaum verstehen
konnten:
"Mutter hat sie in ihr Schlafzimmer
gesperrt, damit es dort nicht so dunkel ist."
Das hatte mir gerade noch
gefehlt. Die alte Nebelhexe hatte sich doch gerade zum Schlafen hingelegt.
Was nun? Ratlos setzte ich
mich auf einen Stuhl und dachte angestrengt nach.
"Wir müssen es versuchen.
Wir werden leise ins Schlafzimmer schleichen und die Sternchen befreien."
"Nein, das ist viel zu gefährlich.
Mutter reißt euch in tausend Stücke, wenn sie euch erwischt."
Die kleinen Hexchen schüttelten
sich bei der Vorstellung.
Der Zwerg sprang mit einem
Satz wieder hinter die Nebelwolke. Ich werde die Aktion alleine durchziehen
müssen, dachte ich. Der Zwerg war für so ein Abenteuer wohl nicht
zu gebrauchen.
"Wir müssen die Hexe
aus ihrem Schlafzimmer locken, ja so funktioniert es."
"Wie willst du denn das machen?"
Die Stimme kam aus der Nebelwolke.
"Das lass nur meine Sorge
sein."
Ich schob den Stuhl ans Fenster
und blickte hinaus. Die vier schwarzen Hunde lagen vor dem Eingangstor
und schliefen. Ich musste dafür sorgen, dass sie bellten, dann würde
die Hexe vielleicht nach dem Rechten sehen wollen und wir konnte unbemerkt
ins Schlafzimmer gehen. Ich weihte die kleinen Hexchen und meinen Traumzwerg
in den Plan ein.
"Wie willst du die Hunde wecken,
das Fenster ist viel zu hoch, sie würden uns nicht hören."
Der Zwerg sah mich fragend
an und auch die kleinen Hexchen waren ratlos.
Ich sah mich suchend im Zimmer
um. Richtig, das war die Lösung! Schnell holte ich die Schüssel
mit den Kirschen vom Tisch und stellte mich wieder auf den Stuhl ans Fenster.
Ich nahm eine Kirsche, hielt sie aus dem Fenster und ließ sie dann
nach unten fallen. Sie fiel einem Hund genau auf den Kopf.
Er fuhr hoch und sah sich
nach dem Störenfried um. Als er niemanden entdecken konnte, legte
er sich schließlich wieder schlafen. Ich wartete einen Augenblick
und warf dann die zweite Kirsche nach unten. Diesmal wurde ein anderer
Hund am Kopf getroffen. Auch der stand auf und drehte mürrisch seinen
Kopf in alle Richtungen. Gerade als auch er es sich wieder gemütlich
machen wollte, warf ich noch eine Kirsche. Der Hund jaulte auf und fing
an zu bellen. Wütend warf er seinen Kopf hin und her. Ich warf noch
eine Kirsche und plötzlich sprangen alle Hunde auf und bellten laut.
Sie rannten vor dem großen Tor hin und her und sprangen an den Mauern
hoch. Es war ein ohrenbetäubender Lärm.
"Himmeldonnerwetter, was ist
da los? Verdammt, ich werfe euch in die Drachengrube, wenn ihr nicht augenblicklich
still seid!"
Die zornige Stimme der Nebelhexe
ließ die Schlossmauern beben.
"Oh, Mutter ist aufgewacht.
Kommt wir verstecken uns."
Der Zwerg und die kleinen
Hexchen waren in sekundenschnelle in dichtem Nebel eingehüllt.
Mir war auch etwas unbehaglich
zumute, aber ich musste schließlich dafür sorgen, dass die Hunde
sich nicht beruhigten. Ich warf eine Kirsche nach der anderen in die Tiefe,
während die Hunde zornig bellten.
Plötzlich flog krachend
die Tür auf und die Nebelhexe stand im Zimmer.
"Wer wagt es meine Ruhe zu
stören?"
Schnaubend vor Wut stand sie
vor mir.
"Die Hunde... Ich weiß
nicht was los ist, sie wollen einfach nicht still sein."
Ich verbarg die Schüssel
mit den Kirschen hinter meinem Rücken und sah die Hexe ratlos an.
"Das werden wir sehen, ich
reiß ihnen die Köpfe ab, wenn sie nicht ruhig sind."
Mit einem eisigen Windzug
rauschte sie aus dem Raum, während ihre Stimme durch das ganze Schloss
hallte. Schnell stieg ich wieder auf den Stuhl und sah aus dem Fenster.
Ich musste mich vergewissern, dass sie auch wirklich zur Eingangspforte
ging. Minuten später wurde unten das große Tor aufgerissen und
die Hexe pfiff die Hunde zu sich heran.
"Los schnell, die Hexe ist
bei den Hunden. Wo finden wir die Sternchen?"
Die kleinen Hexchen befreiten
sich vom Nebel und huschten zur Tür hinaus. Ich nahm den Zwerg an
die Hand und wir rannten so schnell wir konnten, hinter ihnen her. Am Ende
eines dunklen Ganges stand eine Tür offen. Die Hexchen huschten ins
Zimmer und führten uns zu einem Gitterkäfig, der mit einem schwarzen
Tuch zugehängt war. Sie zerrten das Tuch von dem Käfig und ein
goldiger Lichtschein erhellte den Raum. Traurig und vor Angst zitternd
saßen ungefähr dreißig Sternchen dicht in eine Ecke gedrängt,
in ihrem Gefängnis und blickten uns erstaunt an.
"Ihr müsst keine Angst
haben, wir sind hier um euch zu befreien."
Ich rüttelte an den Gitterstäben,
aber die Tür ließ sich nicht öffnen.
"Wisst ihr wo der Schlüssel
ist?"
Ich sah mich im Zimmer um.
Die Nebelhexchen sahen mich ratlos an und halfen bei der Suche.
"Wir müssen uns beeilen,
es wird nicht mehr lange dauern und Mutter ist wieder da."
Hektisch suchten wir jeden
Winkel des Raumes ab. Wir sahen in den Schränken nach und zogen jede
Schublade auf. Wir suchten unter dem Teppich und sahen in jeder Blumenvase
nach. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich ging zum Bett der Nebelhexe
und wühlte die schwarzen Kissen durcheinander.
Als ich das Kopfkissen ausschüttelte
fiel ein Gegenstand heraus. Ich bückte mich; es war der Schlüssel!
"Ich habe den Schlüssel
gefunden."
Eilig steckten wir ihn in
das Schloss, und siehe da, die Tür öffnete sich. Die Sternchen
drängten sich durch die schmale Türöffnung und taumelten
im Zimmer herum. Sie hatten so lange in dem engen Käfig gesessen,
dass ihnen das Fliegen sehr schwer fiel. Eilig machten wir uns auf den
Rückweg. Wir liefen wieder den dunklen Gang entlang, durchquerten
den Raum, in dem immer noch die benutzten Teller auf dem Tisch standen
, dann endlich standen wir wieder in der großen Eingangshalle. Gerade
als wir die schwere Tür öffnen wollten, hörten wir die dröhnende
Stimme der alten Nebelhexe.
"Verkaufen werde ich euch,
jawohl verkaufen. Ihr seid keine Wachhunde, nein Ungeheuer seid ihr."
Wir konnte gerade noch hinter
die Tür flüchten, als diese auch schon polternd von draußen
aufgestoßen wurde. Die kleinen Hexchen hatten es nicht mehr geschafft
in das Versteck zu gelangen und flogen nun ängstlich von einer Ecke
zur anderen.
"Was macht ihr denn hier?
Ich habe euch doch verboten in die Nähe der Tür zu fliegen. Gehorcht
mir hier eigentlich keiner mehr?"
Während die Nebelhexe
mit ihren Kindern schimpfte, dass sich die Balken bogen, schlüpften
wir so schnell wir konnten durch den Türspalt nach draußen in
die Freiheit. Von den Hunden war weit und breit nichts zu sehen.
Ich hätte ja gerne gewusst, was die alte Hexe mit ihnen angestellt
hatte, aber für solche Überlegungen blieb jetzt keine Zeit.
So schnell wir konnten kletterten
wir in den Korb. Während der Zwerg die Leine, die den Ballon festhielt
löste, verteilten sich die Sternchen oben auf dem Ballon. Ich pfiff
auf meinen Fingern, und unser Freund der Wind trug uns schnell in luftige
Höhe. Wir umkreisten noch einmal das Schloss und ich dachte an die
kleinen Hexchen. Gerne hätte ich mich noch für ihre Hilfe bedankt.
Still standen wir in unserem
Korb und dachten daran, in welch großer Gefahr wir uns befunden hatten.
Erst als wir die dichte Nebelwand
hinter uns hatten, verschwanden auch unsere dunklen Gedanken.
"Ich bin gespannt, was der
Mond sagt, wenn wir ihm die Sternchen zurück bringen."
Der Zwerg sah zu dem Ballon
hoch, und rief:
"Seid ihr noch alle da?"
"Ja, ja;"
Die Sternchen kicherten und
strahlten um die Wette. Ich gähnte und kauerte mich auf den Boden
des Korbes. Jetzt könnte ich eine Mütze voll Schlaf gebrauchen,
dachte ich. Die Aufregung hatte mich richtig müde gemacht. Außerdem
hatte ich Sehnsucht nach meinem Teddy.
Das laute Schwatzen der Sternchen
holte mich aus meinen Träumen.
"Sieh nur Felix, wir werden
abgeholt."
Hunderte von Sternchen kamen
auf uns zu geflogen. Sie lachten und strahlten, so dass der Nachthimmel
von ihrem Schein hell erleuchtet war. Der Zwerg winkte mit beiden Armen
und war außer sich vor Freude. Es dauerte nicht lange, und wir flogen
wieder durch das große silberne Tor.
Der Mond sah uns erwartungsvoll
entgegen. Zu seinen Füßen saß auf einer kleinen Wolke:
mein Teddy. Als der Mond die vielen kleinen Sternchen auf dem Ballon sah,
verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen.
"Hallo Zwerg, hallo Felix.
Ihr habt es tatsächlich geschafft. Meine kleinen Sternchen sind wieder
da.
Ich weiß gar nicht,
wie ich euch danken soll."
Gerührt füllten
sich seine Augen mit Tränen. Die Sternchen hatten den Ballon längst
verlassen und flogen lachend um den Mond herum. Ich nahm meinen Teddy auf
den Arm und drückte ihn an mich, dann erzählte ich die ganze
Geschichte. Die Sternchen waren ganz still und lauschten was der Zwerg
und ich zu berichten hatten.
"Felix, wir müssen weiter.
Unsere Reise ist noch nicht zu Ende."
Der Zwerg drängte zum
Aufbruch. Ich wäre gern noch im Sternenland geblieben, aber mein Traumzwerg
gab keine Ruhe.
"Du willst doch morgen früh
wieder zu Hause sein."
Wir kletterten wieder in den
Korb. Ich setzte meinen Teddy in eine Ecke und half dem Zwerg die Leinen
zu lösen. Wir verabschiedeten uns mit dem Versprechen bald wieder
zu kommen. Der Mond winkte uns noch lange nach, während die Sternchen
uns noch ein Stück auf unserem Weg begleiteten.
Erst als wir an der dunklen
Nebelwolke vorbei flogen und die schwarzen Türme des Nebelschlosses
in der Ferne sichtbar wurden, kehrten sie um.
"Wohin fliegen wir jetzt?"
"Da wir schon mal auf dem
Weg sind, würde ich gerne der Frau Sonne Guten Tag sagen."
"Ist es denn noch weit, ich
bin hundemüde."
Ich gähnte herzhaft und
beobachtete einige Vögel, die sich immer mehr der grauen Nebelwand
näherten. Als die Nebelschwaden schon ihre Flügel berührten,
drehten sie sich um und flogen davon.
"Der Mond und Frau Sonne sind
Nachbarn, wir sind gleich da."
Der Himmel hatte seine nachtschwarze
Farbe verloren und vereinzelt blinkten goldene Pünktchen durch die
Wolken.
"Siehst du, die Sonne schickt
uns schon ihre ersten Strahlen."
Es wurde wärmer, und
die Eiszapfen an unserem Ballon waren längst geschmolzen. Wir
waren plötzlich nicht mehr die Einzigen, die am Horizont entlang schwebten.
Ein großer Schwarm zwitschernder Vögel kam uns entgegen.
"Wir sind auf dem Weg in den
sonnigen Süden, kommt ihr mit?"
"Grüßt mir das
Meer, wir können leider nicht mitkommen."
Der Zwerg hob winkend die
Arme und versuchte den schaukelnden Ballon wieder unter Kontrolle zu bringen.
"Wir müssen höher
steigen, wenn wir noch mehr Vögeln begegnen, könnte das gefährlich
für uns werden."
Er lockerte die Leine und
ließ den Ballon steigen. Die Luft wurde immer wärmer.
"Puhh, ist mir heiß..."
"Ja, wir sind der Sonne schon
sehr nahe. Aber wir müssen noch höher."
Wieder ließ er den Ballon
einige Meter nach oben steigen. Es wurde immer wärmer. Ich konnte
es kaum noch aushalten und zog meine Schlafanzugjacke aus. Ich wollte in
den Himmel schauen, aber das Sonnenlicht blendete meine Augen so sehr,
dass ich nichts sehen konnte. Plötzlich gab es einen Ruck und wir
sackten ein Stück nach unten.
"Der Ballon verliert Luft!"
Erschrocken starrte ich nach
oben. Schlaff hing unser schöner, blauer Ballon in den Seilen.
Immer schneller sausten wir
nach unten, der Erde entgegen. Der Zwerg riss und zerrte an den Seilen,
aber nichts konnte den Ballon aufhalten. Ich griff nach meinem Teddy und
drückte ihn an mich.
"Lieber Gott, mach dass uns
nichts passiert."
Ich faltete meine Hände
und betete, während der Traumzwerg wie verrückt auf den Fingern
pfiff.
Aber der Wind konnte uns auch
nicht helfen, er blies uns nur noch schneller in die Tiefe. Ich dachte
an meine Eltern. Was würden sie sagen, wenn ich morgen früh nicht
in meinem Bett liege. Sie würden sich große Sorgen machen und
mich bestimmt suchen. Nein, das durfte nicht sein. Ich wollte wieder nach
Hause, mir würde schon etwas einfallen. Ich musste irgendwie
aus dem Korb springen, bevor er auf den Boden aufschlug. Vorsichtig sah
ich über den Rand nach unten. Wir flogen gerade über einen Wald,
das konnte ich erkennen. Zwischen den Bäumen standen kleine Häuser,
aus deren Schornsteinen Rauch empor stieg. Es würde nicht mehr lange
dauern und wir hatten die Spitzen der Bäume erreicht.
"Wir können nur noch
hoffen, das unser Ballon an den Zweigen der Bäume hängen bleibt."
Der Zwerg stand neben mir
am Rand des Korbes und sah voller Sorge in die Tiefe. Wir rasten in Windeseile
auf die Baumwipfel zu. Schon hatten wir die ersten Zweige erreicht.
Es machte: ritsch ratsch,
und unser Ballon war in tausend Stücke zerrissen. Dann gab es abermals
einen Ruck und wir hingen mit dem Seil an einem dicken Ast fest. Der Korb
schaukelte gemächlich vor sich hin. Wir verhielten uns ganz ruhig.
Noch wussten wir nicht, ob das Seil uns halten würde. Ganz behutsam
tastete ich mich zum Rand und schielte nach unten. Wir waren noch etwa
drei Meter vom Erdboden entfernt, viel zu hoch um einfach zu springen.
Ich sah mir den Baum genauer an.
Ich war schon oft auf Bäume
geklettert und natürlich auch wieder runter. Das könnten wir
schaffen.
"Ich werde jetzt nach unten
klettern. Den Teddy nehme ich mit. Dann kommst du nach, ja?"
Der Zwerg sah mich unsicher
an.
" Jetzt mach nicht so ein
Gesicht, du Angsthase. Oder willst du etwa hier oben bleiben?"
Das wollte der Zwerg noch
viel weniger, aber er bestand darauf als erster hinaus zu klettern.
Ich hob ihn über den
Rand des Korbes und setzte ihn auf einen kräftigen Zweig. Ganz langsam
begann er den Abstieg. Ängstlich blickte er immer wieder in die Tiefe
und seufzte laut. Als er endlich die Hälfte seines Weges zurückgelegt
hatte, kletterte auch ich mit dem Teddy auf dem Arm in die Tiefe.
Schließlich standen
wir auf dem weichen Waldboden und sahen traurig zu unserem total zerfetzten
Ballon hinauf. Wie sollten wir wieder nach Hause kommen? Und vor allen
Dingen, wo waren wir eigentlich gelandet? Ich sah mich um. Wo ich hinschaute,
nur Bäume. Ich nahm den Zwerg an die Hand und wir gingen einige Schritte
tiefer in den Wald hinein. Ein Wald musste auch irgendwann einmal zu Ende
sein, und dort war vielleicht eine Straße oder Häuser, deren
Bewohner ein Telefon besaßen. Ich hatte mir zwar noch nicht überlegt,
wen ich denn eigentlich anrufen sollte, denn ich konnte doch nicht mitten
in der Nacht meine Eltern anrufen und sie bitten, mich abzuholen.
Meine Mutter würde sich
fürchterlich aufregen, und zwei Wochen Hausarrest war das mindeste,
was für mich dabei herauskommen würde. Während ich noch
überlegte, gingen der Zwerg und ich immer tiefer in den Wald hinein.
Plötzlich tat sich vor uns eine Lichtung auf. Ich riss meine Augen
auf und staunte Bauklötze.
"Sieh dir das an..."
Mitten auf einer Wiese, die
über und über mit bunten Blumen bewachsen war, standen kleine
Häuschen mit niedlichen Fensterchen und mit weißen Gartenzäunen
umgeben. Aber diese Häuser waren nicht etwa aus Holz oder aus Steinen
gebaut, sondern es waren Pilzhäuser. Aus schneeweißen Pilzen
war ein Haus entstanden. Auf ihren roten Dächern qualmten die kleinen
Schornsteine und vor den Fenstern hingen himmelblaue Vorhänge. Die
Türen, die in das Innere des Pilzes führten, waren nur angelehnt
und man hörte laute, fröhliche Musik. Staunend standen wir am
Rande dieses kleinen Dorfes, als mir auf einmal jemand auf die Schulter
tippte.
"Bist du auch eingeladen?"
Ich fuhr herum und vor mir
stand ein kleines niedliches Mädchen in einem weißen Kleid.
Sie trug einen Kranz von Blüten im Haar und drehte sich zur
Musik. Während sie mich an die Hand nahm, fragte sie:
"Wer bist du?"
Sie drehte sich immer schneller,
bis sie ganz außer Atem war. Erst dann ließ sie mich los und
setzte sich zu meinem Zwerg ins Gras.
"Ich heiße Minosa und
bin eine Elfe. Und wie heißt ihr?"
"Min...was, und was ist eine
Elfe?"
"Du bist unhöflich, du
hast dich nicht vorgestellt. Aber ich wiederhole es gerne noch einmal.
Ich heiße Minosa und bin eine Elfe. Verstanden?"
Ich stellte mich vor ihr hin,
nahm meinen Teddy in den Arm und sagte:
"Ich heiße Felix, und
bin ein Junge. Und das ist Teddy, und das ist der Zwerg, klar? Sagst du
mir jetzt, was eine Elfe ist?"
"Ohh, eine Elfe ist ein Blumenkind.
Noch nie davon gehört? Aus welchem Land kommst du?"
"Ich komme aus dem Menschenland,
da gibt es keine Blumenkinder."
Nur weil ich nicht wusste,
was eine Elfe ist, bin ich noch lange nicht dumm, dachte ich und sagte
laut:
"Wir waren auf der Durchreise,
und mussten hier notlanden."
Die Elfe tanzte um einen Baumstumpf
herum und sang leise eine Melodie.
"Dann könnt ihr doch
sicher ein wenig bleiben, wir feiern gerade ein Fest und ich lade euch
hiermit ein."
"Gibt es auch etwas zu essen?"
Der Zwerg strich sich über
den Bauch und hob schnuppernd sein Näschen.
"Klar gibt es auch etwas zu
essen, aber erst tanzen wir."
Die Elfe Minosa wiegte sich
zur Musik und forderte den Zwerg auf, es auch zu tun. Schüchtern begann
der Zwerg einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er schaukelte dabei
so sehr hin und her, dass Minosa einen Lachkrampf bekam. Sofort brach er
die Tanzerei ab und versteckte sich hinter einer Baumwurzel.
"So lauf doch nicht gleich
weg, ich entschuldige mich auch bei dir, versprochen."
Die Elfe hüpfte leichtfüßig
hinter ihm her und zog ihn aus seinem Versteck.
"Vielleicht können wir
erst etwas essen, ich habe auch einen Bärenhunger."
Die Elfe sah mich entsetzt
an.
"Ein Bär, wo ist der
Bär? Ich muss sofort meine Freunde warnen."
Aufgeregt wollte sie davon
schweben. Ich hielt sie im letzten Augenblick zurück.
"Nein, hier ist kein Bär.
Wirklich nicht. Ich habe gemeint: ich habe Hunger wie ein Bär, verstehst
du?"
Sie sah mich skeptisch an.
Dann lächelte sie.
"Ohh, jetzt habe ich verstanden.
Der Bär ist unser größter Feind, und darum spricht hier
niemand über ihn. Am besten, du benutzt das Wort gar nicht."
Inzwischen hatten wir uns
langsam einem Pilzhaus genähert. Die Musik wurde lauter und aus dem
geöffneten Fenster drang fröhlicher Gesang nach draußen.
Minosa schob uns durch die Eingangstür in den festlich erhellten Raum.
An einem runden Tisch saßen viele kleine Elfen und Wichtelmännchen
und sangen lustige Lieder. Sie tranken aus Blütenkelchen und aßen
köstlich rote Beeren und Trauben.
"Was wird denn gefeiert?"
Wir setzten uns auf zwei freie
Stühle und Minosa goss eine perlende Flüssigkeit in eine blaue
Blüte.
"Der alte Troll feiert heute
seinen zweihundertsten Geburtstag. Er ist unser Oberhaupt uns sehr weise."
"Wo ist denn der Troll? Ich
sehe hier niemanden, der so alt sein könnte."
Die kleine Elfer lachte.
"Ich führe dich später
zu ihm, nun lass es dir erst einmal schmecken."
Sie reichte mir die Schale
mit den gezuckerten Erdbeeren und ich griff tüchtig zu. Es schmeckte
köstlich. Immer wieder wurden unsere Blütenkelche mit dem süßen
perlenden Saft gefüllt. Ich beobachtete erstaunt meinen Traumzwerg.
Ausgelassen sang er jede Melodie mit und bewegte sich im Takt dazu. Jede
Scheu war von ihm abgefallen, seine Augen glänzten und sein Gesicht
hatte eine rosige Farbe angenommen. Ich zupfte ihn verstohlen am Ärmel.
"Hallo Zwerg, du solltest
nicht so viel trinken. Du hast ja schon einen Rausch."
Der Zwerg sah mich lachend
an und trank seinen Blütenkelch in einem Zug leer. Das kann nicht
gutgehen, dachte ich. Ich musste unbedingt eingreifen.
"Wir gehen jetzt zum alten
Troll, komm, Zwerg."
Ich zerrte ihn vom Stuhl und
zog ihn hinter mir her nach draußen. Die frische Luft wird ihm gut
tun.
Minosa hatte uns beobachtet
und war uns gefolgt.
"Ja, man darf den Nektar nicht
so hastig trinken, dann bekommt man einen Rausch."
Sie lachte und führte
uns tiefer in den Wald hinein. Auf einer kleinen Lichtung machten wir Halt.
In den Bäumen hingen bunte Lichterketten und festlich geschmückte
Tische standen im Gras. Einige Elfen hatten sich an den Händen gefasst
und tanzten um einen alten Baumstumpf herum. Als wir näher kamen,
konnte ich sehen, dass dieser Baumstumpf ein Gesicht hatte. Erschrocken
wich ich einige Schritte zurück, aber Minosa nahm mich an die Hand
.
"Du musst keine Angst haben,
das ist der Troll."
Sie hauchte dem Alten einen
Kuss auf die knochige Wange und stellte uns vor.
"Das sind Felix und sein Teddy,
sie sind auf ihrer Traumreise. Und das ist ihr Traumzwerg."
Unser Traumzwerg hatte sich
in das weiche Gras gesetzt und hielt seine Augen nur mit großer Mühe
offen. Ein schöner Traumzwerg, der meinen Traum verschläft, dachte
ich und näherte mich dem alten Troll. Er streckte mir seine Wurzelarme
entgegen und blickte mich freundlich an.
"Herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag."
Ich strich über seine
knorrigen Hände und wunderte mich, dass sie sich ganz warm anfühlten.
Er hielt meine Hand lange
fest, und seine gütigen Augen zwinkerten mir zu. Minosa hatte einen
Kranz aus Gänseblümchen geflochten und setzte ihn mir auf den
Kopf. Ich fühlte mich ein wenig unwohl, denn eigentlich tragen so
etwas wohl nur Mädchen. Aber hier dachte sich wohl niemand etwas dabei.
Ich sah mich nach dem Zwerg um. Er war doch tatsächlich eingeschlafen.
Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen lag er zusammen gerollt im
Gras. Ab und zu zuckten seine Augenlider, er hatte sicher einen schönen
Traum. Minosa reichte mir einen Blütenkelch mit dem süßen
Nektar und sagte:
"Ich wünschte, ihr könntet
hier bleiben. Du gefällst mir sehr gut, Felix."
Ich wurde rot bis hinter beide
Ohren und stotterte:
"Ddu gefällst mmir auch
ggut."
Du liebe Güte, jetzt
konnte ich nicht einmal einen einfachen Satz sagen, so verlegen hatte Minosa
mich gemacht. Ich sah zu ihr hinüber. Anmutig drehte sie sich zur
Musik und warf mir eine Blüte zu. Ihr goldenes Haar flatterte im Nachtwind
und ihre Augen glänzten im Mondlicht. Sie war wirklich wunderschön.
Wenn sie lachte, klangen tausend Glöckchen. Ich seufzte und setzte
mich zu meinem Traumzwerg ins Gras.
"Hast du dir eigentlich schon
überlegt, wie wir wieder nach Hause kommen? Schließlich ist
unser Luftschiff nicht mehr zu gebrauchen."
Ich war so in Gedanken versunken,
dass ich nicht bemerkt hatte, dass der Zwerg längst aufgewacht war.
"Können wir nicht noch
ein wenig bleiben?"
"Es wird nicht mehr lange
dauern, dann geht die Sonne auf. Du willst doch morgen früh wieder
zu Hause sein. Ich werde mir jetzt einmal den Ballon ansehen, vielleicht
kann man ihn ja reparieren."
"Warte, ich komme mit."
Ich nahm meinen Teddy auf
den Arm und folgte dem Zwerg zu unserem Landeplatz.
Der Ballon hing noch immer
traurig zwischen den Zweigen. Blaue Stoffreste flatterten im Wind.
Nachdenklich sah der Zwerg
mich an.
"Wir brauchen einen neuen
Ballon."
Ratlos starrten wir auf die
Überreste unseres Luftschiffes. Woher sollten wir einen neuen Ballon
bekommen? Plötzlich hatte ich eine Idee!
"Komm mit, ich glaube ich
weiß wer uns helfen kann."
Schnell liefen wir zum Festplatz
zurück. Suchend sah ich mich um.
"Minosa, wo bist du?"
Endlich hatte ich sie entdeckt.
Sie trug gerade eine große Schale Erdbeeren in das kleine Pilzhaus.
"Warte, ich helfe dir."
Ich nahm ihr die Schale ab
und stellte sie auf den Tisch. Dann erzählte ich ihr von meinem Plan.
Sie nickte mit dem Köpfchen
und hörte mir aufmerksam zu. Dann sprang sie auf und lief so schnell
sie konnte zum Troll. Der Zwerg sah mich neugierig an.
"Was habt ihr besprochen?
Was geschieht jetzt?"
"Warte nur ab, es wird alles
gut. Noch bevor die Sonne aufgeht können wir starten:"
Ich drückte dem Zwerg
meinen Teddy in die Hand und folgte Minosa. Inzwischen hatten sich alle
Elfen und Blumenkinder bei dem alten Troll versammelt. Sie saßen
im Gras und steckten flüsternd ihre Köpfe zusammen. Dann sprangen
sie plötzlich auf und stoben in alle Richtungen davon.
"Was nun? Felix nun sag mir
doch endlich, was geschieht jetzt?"
Der Zwerg war mir gefolgt
und hatte staunend die Elfen beobachtet. Er konnte sich nicht erklären,
was das alles bedeutete.
"Minosa und ihre Freundinnen
nähen uns einen neuen Ballon."
"Einen neuen Ballon? Das ist
aber gar nicht so einfach. Hoffentlich klappt es."
Der Zwerg rieb sich besorgt
das Näschen und reichte mir den Teddy.
"Komm Zwerg, ich hole dir
noch einige von den roten Beeren, die sind köstlich, sage ich dir."
Wir machten es uns im Gras
gemütlich und ließen uns die gezuckerten Beeren schmecken.
Ich weiß nicht wie lange
wir so gesessen hatten, die Musik war längst verstummt und die Zwerge
und Wichtel hatten sich schon in ihre Pilzhäuser zurück gezogen.
Beunruhigt sah ich zum Himmel hinauf. Es würde nicht mehr lange dauern
bis die Sonne aufgeht. Die ersten Strahlen versuchten schon die Dunkelheit
zu durchdringen. Noch war das Pilzdorf vom Nachthimmel zugedeckt, aber
bald würde die Sonne mit ihrer Kraft auch die letzten Schlafwölkchen
vertreiben.
"Hallo Felix, wir haben es
geschafft. Euer Ballon ist fertig."
Minosa und eine ganze Schar
Elfen und Blumenkinder brachten einen riesigen Ballon, der in allen Farben
erstrahlte. Er war aus vielen, vielen, bunten Blütenblättern
zusammen gesetzt und war wunderschön. Staunend standen wir vor dem
Wunderwerk.
"Es wird höchste Zeit,
wir müssen uns verabschieden."
Der Zwerg befestigte den Korb
an dem Seil und sprang als erster hinein. Minosa kam mit traurigem Gesicht
auf mich zu.
"Felix, werde ich dich wiedersehen?
Ich bin unendlich traurig."
Sie hatte Tränen in den
Augen und nahm meine Hand. Ich schloß meine Augen und gab ihr einen
Kuss auf die Wange.
"Wir werden uns bestimmt wiedersehen,
ich verspreche es."
Dann kletterte auch ich in
den Korb und nahm den Teddy in den Arm. Wir bedankten uns für die
Hilfe und die Gastfreundschaft. Der Zwerg löste das Seil und der Ballon
stieg langsam zum Himmel empor.
"Auf Wiedersehen, vielen Dank,
ich komme wieder."
Ich lehnte mich weit über
den Rand des Korbes. Minosa hatte den Arm um den alten Troll gelegt und
trocknete mit einem Blütenblatt ihre Tränen. Ich würde sie
nie vergessen. Der Zwerg pfiff ungeduldig auf den Fingern und augenblicklich
kam ein frischer Wind auf. Er trug unser Luftschiff schnell vorwärts,
bald hatten wir den Wald der Blumenkinder hinter uns gelassen. Die ersten
Sonnenstrahlen ließen die Blüten auf unserem Ballon aufblitzen.
Die Vögel wachten auf und begrüßten uns und den neuen Tag.
Ich sah nach unten. Wir überflogen gerade eine Stadt. Die Kirchturmuhr
schlug sechs mal.
Wir hatten noch eine Stunde
Zeit, dann würde meine Mutter in mein Zimmer kommen, um mich zu wecken.
Ich dachte an Minosa und sah sie vor mir, in ihrem weißen Kleid und
dem Blumenkränzchen im Haar. Mein Herz wurde schwer und ich drückte
Teddy ganz fest an mich.
"Felix, hilf mir mal..."
Der Zwerg lockerte das
Seil und der Ballon schwebte langsam zur Erde hinab.
"Sind wir etwa schon da?"
Ich half dem Zwerg das Seil
zu befestigen und sah erstaunt, dass wir schon unseren Startplatz hinter
dem Fliederbusch ansteuerten. Mit einem Ruck kam der Ballon zum Stehen.
Ich kletterte aus dem Korb und ließ den Teddy ins Gras fallen. Ich
nahm den Zwerg in die Arme und sagte:
"Kommst du wieder, wenn du
Zeit hast? Ich warte jede Nacht auf dich."
Der Zwerg lächelte und
versprach mich nicht zu vergessen. Dann drängte er zum Aufbruch.
"Ich habe noch einen weiten
Weg."
"Grüß den Mond,
die Sternchen und grüß Minosa von mir."
Ich winkte ihm noch einmal
zu, bevor ich durch den Garten zur Haustür ging. Leise schlich ich
in mein Zimmer und kroch in das warme Bett.
"Tschüss Zwerg..."
murmelte ich noch, dann war ich eingeschlafen.
"Guten Morgen Felix, hast du
gut geschlafen?"
Mama zog die Vorhänge
auf und öffnete das Fenster.
"Hmm, ich hatte einen wunderschönen
Traum."
Mama stand vor meinem Bett
und lächelte mich an.
"Deinen Traum erzählst
du uns später beim Frühstück. Aber erst sieh mal aus dem
Fenster, wir haben neue Nachbarn bekommen."
Ich kletterte aus dem Bett
und ging zum Fenster. Ich hörte eine Mädchenstimme, die mir bekannt
vorkam.
"Nein, Hektor, komm jetzt
nach Hause..."
Ein kleines Mädchen in
einem weißen Kleid und einem Blütenkranz im Haar zog einen großen
störrischen Hund hinter sich her. Sie hob den Kopf und lächelte
mir zu, dabei flatterten ihre Haare im Wind....
"Hallo, ich heiße Minosa,
und wer bist du?"
Ende
©
Helga
Licher
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