Der Schäferhund kam
fröhlich auf mich zugehüpft. Nein, stellte ich mit einem zweiten halben
Blick darauf fest- ein Schäferhund war das nicht. Aber zumindest so
etwas ähnliches, eine gelungene Mischung aus ‘was-weiß-ich’. Der Hund
stutzte einen kurzen Moment und setzte mit einem ‘jifff’ zum Endspurt
an. Ich registrierte, daß er ganz allein unterwegs war. Kein Herrchen
oder Frauchen war irgendwo zu sichten. Und nun wurde auch mein bis eben
hochinteressiert an einem Grashalm rumschnüffelnder Labrador ‘Teddy’
aufmerksam. Ich mag es nicht und Teddy ist absolut dagegen, wenn fremde Hunde auf mich zustürmen. Meistens mag er fremde Hunde sowieso nicht. Am allerwenigsten mag Teddy sie, wenn er selber angeleint ist. So wie jetzt. Außerdem fühlte er sich mit Sicherheit bei seiner intensiven Arbeit gestört, denn vermutlich hatte er sich vorgenommen, auch einen zweiten Grashalm in aller Ruhe hoch und runter und wieder zurück zu erschnuppern- und so ließ er ärgerlich einen warnenden Brummton aus seiner Kehle grollen. Inzwischen war der ‘was-weiß-ich’ schon fast bei uns und ich beeilte mich, Teddy von der Leine zu lassen. Wenn die beiden gleich zu einem Knäuel werden sollten, dann wenigstens ohne sich in der Leine zu verheddern. ‘Quiiif’ jabbte der Hund freudig, als er mich endlich erreichte, er bremste ab und schmiegte sich gegen meine Beine. Sein Kopf schoß hoch und zwei überaus glücklich strahlende braue Augen funkelten mich an. Dann drehte er sich zu Teddy, der zugegebenermaßen ein bißchen ratlos rumstand und sich eher nicht bewegte. Die beiden schwarzen Nasen stibbsten sich an, die Schnauzen kuschelten aneinander und Teddys Schwanz, der ganz zaghaft zu zucken begonnen hatte, wedelte nun voller Schwung und überglücklich genau wie der des anderen Hundes hin und her. Nun stand ich mehr als ratlos da. Der Hund ist eine Hündin- stellte ich fest. Mehr fiel mir dazu im Moment nicht ein. Überaus zufrieden marschierten die beiden Tiere los. Schulter an Schulter, na ja, fast- und Teddys Hinterteil wackelte vor Stolz hin und her. Er hatte eine Freundin gefunden. Aber mußte er denn nun mit dem Hintern wackeln? Schließlich ist er! ein Rüde. Mir blieb kaum eine andere Möglichkeit, als hinterher zu gehen, bis wir zu Hause waren. Artig setzte Teddy sich vor die Haustür. Er weiß, daß es dauern kann, bis ich den Haustürschlüssel in einer der Hosen- oder Jackentaschen gefunden habe. Artig setzte sich die Hündin daneben. ‘Na gut’ beschloß ich, ‘einen Moment kann sie ja mit reinkommen.’ Ich mußte sowieso erst einmal überlegen, was ich nun machen soll. Die Hündin drückte sich jetzt eng an mich, stand mir auf den Füßen rum und bei jedem Schritt, den ich tat, vermutete ich, gleich über sie zu stolpern. Ich stolperte nicht, aber ich denke, das war reiner Zufall. Ich ließ mir Zeit mit dem Überlegen. Es war angenehm mit den beiden Hunden und ich hatte nicht unbedingt vor, diese Situation schneller als nötig zu beenden. Vielleicht hat sie ein Zuhause gesucht? Es schien ja zumindest so, als wäre sie sehr gerne mitgekommen. Teddy hatte sich inzwischen auf seiner Schlafdecke zu einer absolut kleinen Kugel gerollt, was bei seiner Größe eine unglaubliche Leistung war. Seine Hinterpfoten hingen fast an den Ohren und waren mit den Vorderpfoten verwickelt, damit das alles nicht auseineinander rutschte und so hatte er Platz für die Hündin geschaffen, die sich mit einem wohligen ‘Plumps’ daneben fallen ließ. ‘Irgend jemand wird die Hündin vermissen und sucht vielleicht schon verzweifelt nach ihr!’ meldete sich mein Gewissen. Ich sollte besser schnell in dem kleinen Anhänger nachsehen. In diesen Anhängertäschchen, die am Halsband hängen, steht ja normalerweise die Telefonnummer oder Anschrift des Hundebesitzers. Schläfrig öffnete die Hündin ihre Augen einen winzigen Spalt, um festzustellen, was ich da an ihrem Hals tat. Ich drehte ein wenig am Halsband und öffnete das Täschchen. Ein paar kleine Münzen und ein zusammengefalteter Zettel rutschten heraus. Das war für die Hündin scheinbar nicht mehr gemütlich genug, nun war sie hellwach. Sie reckte ihre Pfoten, stand auf, streckte den Rest von sich runter und wieder hoch und spazierte einmal um mich herum. Dann sah sie erwartungsvoll zu mir hoch. Ich strich den Zettel glatt. ‘Hmmhmm’ kicherte ich, was die Hündin völlig mißverstand und als Anlaß nahm, ihren Nase in meine Hand zu schieben. „Das soll wohl ein Scherz sein!“ Ich mußte wirklich lachen. „Wer hat dir denn eine Einkaufsquittung über eine Bonbontüte da reingepackt? ...Lutscht du etwa Bonbons?“ Ich lachte immer noch. Die Hündin grummelte etwas vor sich hin, was sich wie „jaha“ anhörte und ich konnte im Moment nicht mehr mit dem Lachen aufhören. Teddy hatte sich entwirrt, hochgerappelt und zu uns gesellt. Neugierig saßen nun beide Hunde einträchtig vor mir und ihre Schwänze klopften in der Erwartung eines neuen Spiels. „Irgendwas müssen wir nun machen!“ stellte ich fest. Das verstanden die beiden total falsch und sprangen erregt auf und hin und her. Bei zwei Hunden ist das Hin- und Herspringen in einer Wohnung natürlich äußerst riskant, ein klitzekleines bißchen für die Hunde und sehr für die Einrichtung- so rief ich: „Sitz, Teddy! Sitz....? Wie heißt du denn eigentlich?“ ‘Bell bell bell...!’ freute sich die Hündin und zappelte rum. „Muß ich jetzt etwa die Polizei anrufen und dich als Fundsache melden?“ dachte ich laut und mußte, warum auch immer, schon wieder kichern. Ich drehte den Zettel um und kontrollierte noch mal das Täschchen. „Nee, da steht nirgends deine Anschrift. Wo magst du wohl herkommen...?“„Grunestraße 19 B.“ „Grunestrasse? Das ist aber ganz schön weit von........!“ Entsetzt sah ich die Hündin an und stöhnte auf- war ich gerade verrückt geworden? Habe ich eben die Hündin sprechen gehört? Und ihr auch noch geantwortet...? Ich machte meine Augen ganz schnell zu und ganz schnell wieder auf. Mein Herz klopfte heftig und ich schätze mal, daß meine Augen kugelrund auf das Tier starrten. Dann atmete ich probehalber tief durch. ‘Es hört mich ja keiner. Niemand merkt, was ich jetzt tue...’, sprach ich mir selbst Mut zu und fragte laut: „Wieso kannst du denn reden?“ „Wieso soll ich nicht reden können? Ich bin doch kein Baby mehr...?!?“ Damit hatte sie unbedingt Recht. Sie war kein Baby. Sie war ein kleines Mädchen. Vor mir stand nun wirklich ein kleines Mädchen!! Ein Mädchen mit einem braunen Röckchen und einer leuchtend gelben Bluse und einem wippenden Pferdeschwanz. Ich wischte mir über die Augen, kniff mich (das soll man machen- davon hatte ich schon oft gehört) und versuchte rauszufinden, was da geschah. Ich habe keine Ahnung, wie es abläuft, wenn man verrückt wird. Merkt man das überhaupt? „Ich habe aber wirklich nur ein einziges Bonbon gelutscht“, holte mich ihr zartes Stimmchen in die Realität zurück und ihre kleine Hand schob sich in meine. „Im Kinderheim dürfen wir das nicht- bitte...“, ihre Augen flehten mich an- „...verrate mich nicht!“ Ich weiß auch nicht wieso, aber im Moment kam es mir merkwürdiger vor, mit dem Mädchen zu sprechen als mit einer Hündin. Teddy ließ sich genüßlich von ihr an seinen Ohren kraulen und fand wohl alles perfekt. „Wie heißt du denn?“ flüsterte ich fast. Scheinbar war dies jetzt die wichtigste Frage. „Isabelle... Das spricht man Isabell’ aus! Aber alle rufen mich nur ‘Bell’. Und wenn ich es mir ganz ganz stark wünsche, geschieht es manchmal auch. Dann kann ich bellen!“ Dagegen konnte ich nichts sagen. Das mußte ich einfach so hinnehmen. „Isabelle“, begann ich vorsichtig. „Sicherlich wirst du schon im Kinderheim vermißt! Ich kann dich doch nicht hier behalten... und niemand würde mir glauben, daß du als eine Hündin zu mir gekommen bist!“ Ich schluckte und überlegte, wie ich nun weiter vorgehen sollte. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf: ich könnte sie besuchen- sie könnte mich besuchen... Isabelle und auch Teddy wären darüber bestimmt restlos glücklich und ich- wenn ich so in mich reinhorchte- eigentlich auch. Mir fiel aber so schnell nichts wirklich Vernünftiges ein. „Du mußt zurück..., ich muß dich zurück bringen!“ „Ja.“ Teddy schob eines von seinen Schlappohren hoch und sah mich ärgerlich an, als hätte er meine Worte verstanden. Aber das nützte gar nichts. Ich verfrachtete sowohl ihn als auch das kleine Mädchen in mein Auto und fuhr zur Grunestraße. Isabelle hockte sich dort auf den Bürgersteig und umklammerte den Hund und knetete ihre kleinen Fingerchen in sein Fell, sprang dann auf und umarmte mich und wir waren alle ein bißchen traurig und gleichzeitig war ich irgendwie froh, daß dieses Abenteuer nun zu Ende war. Trotz alledem schlief ich nachts ausgezeichnet und wurde erst am Morgen von einem ‘bell bell bell’ geweckt. Zuerst fuhren Teddys Ohren und dann der ganze Hund freudig hoch und er rannte überglücklich zur Haustür, von wo wir immer noch ‘bell bell’ hörten..... Davon wachte ich nun
wirklich auf. Es war Teddy, der rumkläffte, allerdings nicht vor Freude,
sondern weil der Zeitungsjunge am Briefkasten geklappert hatte.
Vollkommen erleichtert seufzte ich auf- ich hatte nur geträumt und ich
war immer noch vollkommen normal. Ich war überaus froh, mindestens genau
so wie Teddy es eben noch in meinem Traum war- und nun konnte ich
zweifellos feststellen, daß ich tatsächlich aufgewacht war. Wahres
Wachsein fühlt sich doch ganz anders an und ich wollte schnell die Reste
des Traumes vertreiben. ‘Frische Luft wird mir bestimmt dabei helfen’,
hoffte ich, verzichtete sogar auf das Frühstück und stapfte eilig,
gefolgt von Teddy, los. ©
JulYana
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