Es geschah in einer deutschen
Kleinstadt, daß der zwölfjährige Guido seiner Mutter zurief:
"Ich geh' mal kurz einkaufen", die Haustür öffnete und hinaustrat
in eine fremde, geheimnisvolle Welt. Auf den ersten Metern mußte
er regelrecht kämpfen, um sich einen Weg durch das dichte Buschwerk
zu bahnen. Dann erreichte er etwas, das ein Trampelpfad oder auch ein Wildwechsel
sein mochte, und machte sich auf den Weg zum Schreibwarengeschäft.
Farngewächse und Kräuter mit sammetartigen Blättern säumten den Pfad. Dahinter schossen gewaltige Tropenbäume, an deren Stämmen Moose und seltsam anmutende Orchideen wuchsen, beinahe senkrecht gen Himmel. Die drückend schwüle Luft war erfüllt von den Stimmen unzähliger Kreaturen. Keine Brise regte sich, die hätte Erfrischung bringen oder den allgegenwärtigen Modergeruch vertreiben können. Guido bewegte sich durch ein einziges Konglomerat aus Leben und Tod. Selbst in der fauligsten Pfütze wimmelte es noch vor Insektenlarven, und wo immer ein Sonnenstrahl den verrottenden Waldboden traf, reckten sich die Keime neuen Grüns nach oben. Pilzgeflechte überzogen Tier- und Pflanzenleichen, um ihnen Lebenskraft auszusaugen. Schon nach wenigen Metern war Guidos T-Shirt schweißdurchtränkt und klebte ihm auf der Haut. Kurz bevor er die Fußgängerzone erreichte, beobachtete er, wie eine Anakonda blitzschnell aus einem Tümpel schnellte, ein großes Zigeunerhuhn packte und zu sich ins Wasser zerrte. Der Entsetzensschrei des überraschten Vogels hallte Guido noch in den Ohren, als sich die Oberfläche des Teiches längst wieder geglättet hatte. Allmählich veränderte sich die Szenerie. Die Baumgrenze wich zu beiden Seiten des Pfades zurück und machte Platz für eine weite sonnenüberflutete Lichtung. Hier hatte man in lockerer Ordnung eine Reihe von Hütten errichtet. Sie bestanden größtenteils aus Flechtwerk und waren mit Palmwedeln gedeckt. Das Haupthaus in der Mitte des Platzes ruhte auf hohen Pfählen. Zahlreiche Indios bevölkerten das Dorf, gingen rege ihren Geschäften nach oder standen in kleinen Gruppen beieinander. Guido hielt zielstrebig auf eine kleine Behausung zu, die am linken Rande des Krals gelegen war, und trat ein. Er sah sich kurz um, kaufte einen linierten Schreibblock und begab sich dann wieder auf den Heimweg. Dabei schlug er einen großen Bogen um einen gewissen Teich, auf dessen Oberfläche nun braune und weiße Federn trieben. Es geschah in einer deutschen Kleinstadt, daß der zwölfjährige Guido seiner Mutter zurief: "Ich bin wieder da", in sein Zimmer ging und mit einem Seufzen fortfuhr, seine Hausaufgaben zu machen: "Der Regenwald der immerfeuchten Tropen..." |