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Der Dieb



Sie warf mit dem Fuß die Tür zu, machte im Vorraum Licht, drehte den Schlüssel einmal im Schloss herum. Die Schuhe flogen in eine Ecke, sie entledigte sich ihres Trenchcoats, ihrer Handtasche. Jetzt noch ein heisses Bad, und dann ab ins Bett. Auf dem Weg ins Badezimmer zog sie sich den Pulli über den Kopf, warf ihn in den Wäschekorb, ließ Badewasser einlaufen. Während sie sich ihren Rock aufknöpfte drückte sie die Abfragetaste des Anrufbeantworters, ging in Unterwäsche zum Kühlschrank. Eine fröhliche Frauenstimme: "Halli, hallo - hier ist Tina. Willst du morgen mit mir und Iris zu Mittag essen? Wir rechnen fest mit dir." Aus dem Kühlschrank grinsten ihr ein paar austreibende Kartoffeln entgegen und ein schimmeliges Etwas von einem Aufstrich. "Ach, übrigens, wenn's morgen wieder so schlechtes Wetter hat, können wir uns anschließend DEN WEISSEN HAI, Teil 3, anschauen; hab' ich jetzt auf Video. Ciao!" Wenn das Innenleben eines Kühlschranks auf das Innenleben des Besitzers schließen ließ, dann Mahlzeit. Sie nahm eine Flasche Mineralwasser heraus, goss sich ein Glas voll, trank es aus. Eine Männerstimme, die wohl sexy klingen sollte. "Hallo Baby,.... (seufzen, heftiges Atmen)... " Ihre Rückenmuskeln spannten sich, sie kniff die Augen zusammen. "...bist schon daheim? (lustvolles Stöhnen, das in schepperndes Lachen überging)" Sie lächelte leicht, machte die Kühlschranktür zu, durchquerte den Vorraum. "Kannst nicht noch einmal vorbeikommen... ? Es ist immer so geil mit dir (Stöhnen ging über in ein Keuchen)" Sie drehte das Wasser ab, kam wieder in den Vorraum. "...und jetzt steht er mir wieder... (Keuchen)" Sie nahm einen plötzlichen Luftzug wahr und ein schwaches Geräusch aus dem Wohnzimmer. Durch die halboffene Tür, aus der Dunkelheit, schritt würdevoll eine getigerte Katze mit hochgestelltem Schweif, umschmeichelte ihre Beine. Sie bückte sich, streichelte sie kurz, murmelte: "Hallo Jackie...", schnappte sich einen der herumliegenden Stöckelschuhe; vorsichtig näherte sie sich der Wohnzimmertür, tastete um die Ecke, drückte den Lichtschalter. Die Terrassentür stand offen, der Vorhang bauschte sich im Wind. Eilig verschloss sie die Tür, sie war sich sicher, dass sie am Nachmittag abgesperrt hatte. Flüchtig sah sie sich im Raum um, drehte das Licht aus, starrte in den dunklen Garten. Der Lichtschein einer Straßenlaterne drang vor bis zur Terrasse; sie sah nur ihr eigenes Spiegelbild in der Glastür. Sie ging zurück in den Vorraum, warf den Schuh zu den andern, holte sich im Bad den Morgenmantel, zog ihn fröstelnd über ihrer Brust zusammen. Sie dachte nach; ignorierte die miauende Katze, die wieder um ihre Beine strich, holte sich aus der Küche ein Messer und eine Taschenlampe, öffnete die Haustür. Im Schein der Lampe bemerkte sie einige Kratzer am Schloss, versperrte erneut die Tür, drehte den Schlüssel zweimal herum. Mit dem Messer in der Hand stieg sie in den oberen Stock hinauf, konnte an den Balkontüren nichts Auffälliges entdecken. Wieder unten im Vorraum versperrte sie sicherheitshalber die Kellertür. Das Miauen fing von Neuem an und sie öffnete eine Dose Katzenfutter, breitete ihre Arme auf der Tischplatte aus, bettete gähnend ihren Kopf darauf, sah der Katze beim Fressen zu: "Wie findest du das alles, Jackie - soll ich jetzt die Bullen anrufen? Oder einfach ins Bett gehen?" Mitten in ihre Überlegungen hinein schrillte das Telefon. "Ja?..." Es waren nicht die Bullen. "Na, Süße? Polizei verständigt - wie es sich für ein wackeres Mädchen gehört?" Eine fremde Männerstimme, sinnlich. Sie war mit einem Schlag hellwach. "...ich hab' dich vorhin eine Weile beobachtet... wie du da gestanden bist..." Sie hielt die Luft an, sagte nichts. "...in deiner sexy Unterwäsche; ich weiß, das ist unanständig, aber (er senkte die Stimme etwas) ...ich hab' sogar deine Nippel sehen können..." Sie spürte ein Prickeln, vom Nacken abwärts, erregend, das vordrang bis an ihre geheimsten Stellen. "...kannst froh sein, dass ich kein Vergewaltiger bin... (sanft) sondern nur ein kleiner Dieb; ... vor lauter Starren hättest du mich ja fast erwischt (verhaltenes Lachen) ...mit dem Stöckelschuh..." Seine Stimme drang in sie ein wie warme Flüssigkeit, füllte sie ganz aus, machte sie willenlos. "...kann mir vorstellen, dass sich deine Haut genauso anfühlt wie deine Wäsche... (heiser) ich war nämlich auch in deinem Schlafzimmer..." Etwas Unerklärliches ging mit ihr vor, und sie wollte es nicht aufhalten. "...habe deine seidigen Höschen betastet, alle, hörst du? ...jedes einzelne... hat sich irrsinnig gut angefühlt..." Hitze überschwemmte ihren Körper, wie eine Welle schwappte sie über ihr zusammen, ließ sie schneller atmen. "(flüsternd) ...macht dich das an, hm?...sag's mir..." Sie holte tief Luft, fragte, beinahe keuchend: "Was willst du..." Sein Atem klang schwer. "Ich will mehr von dir sehen, für's Erste; ...weisst du was? (drängend) du solltest die Bullen NICHT kommen lassen; ...du solltest zur Terrassentür gehen und mir mehr von dir zeigen... jetzt gleich (hastig) ich bin ganz in deiner Nähe..." Klick. Sie blieb eine Weile so stehen, starrte den Telefonhörer an; vorsichtig legte sie ihn auf die Gabel, ging ins dunkle Wohnzimmer, streifte langsam den Morgenmantel und das Hemdchen ab; dann zog sie ihr Höschen aus, stellte sich an die Glastür und, nackt wie sie war, horchte sie in den nächtlichen Garten hinaus.

copyright Chrstine Jurasek