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Die Hütte im Wald



Der vom Sturm entwurzelte Baum lag quer über der Straße. Verena war schon eine ganze Weile mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, es hatte irgendwann angefangen zu regnen. Als der Sturm begann hatte sie es gerade noch in eine Dorfkneipe geschafft. Völlig durchnäßt und genervt hatte sie sich einen Kaffee bei der Bedienung bestellt, die Verena anguckte, als wollte sie sagen „Mach mir bloß nicht die Polster dreckig." 6,- DM für ein Kännchen Kaffee. Verenas Laune hatte diese Tatsache nicht gerade verbessert. Nun war sie auf der Straße in Richtung ihres Heimatdorfes unterwegs und wünschte sich nichts mehr, als eine heiße Dusche, eine warme Decke und ein gutes Buch. Als sie um die Kurve fuhr, sah sie den umgestürzten Baum... leider zu spät. Auch wenn sie sofort die Bremsen betätigte, auf der rutschigen Straße war keine Chance, dem Sturz zu entgehen. „Verdammter Mist", war das Letzte was ihr durch den Kopf ging, bevor sie in den Waldgraben fuhr. Als sie wieder erwachte, war es schon dunkel. Wie lange habe ich hier gelegen, dachte sie. Sie schaute an sich herunter, befühlte ihre Gliedmaßen und den Kopf. Gut, daß sie sich gerade auf Drängen ihrer Mutter einen Helm gekauft hatte. Anscheinend war nichts weiter verletzt. Die Schrammen, die der Sturz verursacht hatte, würden schnell wieder verheilen. Eigentlich ein Wunder, so wie das Fahrrad aussah. Na super, mit diesem Rad konnte sie jedenfalls nicht weiterfahren. Und noch mindestens 5 km bis nach Sternhausen. Sie rappelte sich hoch und beschloß, die Abkürzung durch den Wald zu nehmen. Ein wenig unheimlich war es ja, bei Dunkelheit, aber sie konnte ja schließlich nicht dort liegen bleiben. Sie sammelte ihren Rucksack auf, nahm ihre Regenjacke heraus und zog sie sich an. In der Zwischenzeit war es ziemlich kühl geworden und es fing auch gerade wieder an, zu regnen. Nach einer ganzen Weile Fußmarsch durch den Wald, erblickte sie eine kleine Hütte. Der Schornstein rauchte und Verena beschloß, einfach mal zu klopfen. Vielleicht hatte der Förster ja ein Herz und ließ sie ein wenig aufwärmen. Sie pochte heftig gegen die Eingangstür. Als die Tür sich öffnete, wurden ihre Augen immer größer. Sie hatte einen älteren Herren erwartet, aber der Mann, der jetzt vor ihr stand, war alles andere als alt. So hatte sie sich die Holzfäller in Kanada ausgemalt, aber nicht die Förster in Deutschland. Groß, muskulös, ein jungenhaftes Lächeln und strahlend blaue Augen. In seinen kurzen Hosen und dem ärmellosen Shirt sah er aus, wie ein Mann aus dem Bilderbuch. Verena betrachtete ihn von oben bis unten. An seinem rechten Knie fiel ihr ein sternförmiges Muttermal auf. Wie ungewöhnlich, klar geformt, wie gemalt. Sie bemerkte erst, daß sie auf den Stern starrte, als der Mann sie ansprach. „Na junges Fräulein? Haben Sie sich mit einem Bären angelegt?", lächelte sie der Traummann an. Verena wurde rot. Ihr wurde gerade bewußt, daß sie aussehen mußte wie eine nasse Katze, die in einen Reißwolf geraten war. „Ähhh, ich ... nein. Ich bin mit dem Fahrrad gefallen und muß noch nach Sternhausen. Ich wollte nur....". Der Mann ließ sie nicht ausreden, sondern zog sie wortlos ins Haus. Sie setzte sich vor den Kamin. „Hier haben Sie etwas Trockenes zum Anziehen", sagte der Förster. Verena schaute etwas belustigt auf das Holzfällerhemd. Ob er wohl doch aus Kanada kam. Sie lächelte versonnen. „Danke. Wo kann ich mich umziehen?". Der Mann deutete mit dem Kopf auf eine Tür. Als sie in dem viel zu großen Hemd wieder herauskam, stand er in der Küche und es duftete schon verführerisch nach einer heißen Suppe. „Kommen Sie, ich hab Ihnen eine Tomatensuppe aufgemacht. Das wärmt durch." Nach dem Essen streckte Verena sich wohlig. Dieser Tag war doch noch gelungen. Ein romantisches Abendessen in einer verschwiegenen Hütte mit einem Traum von einem Mann. Sie mußte lachen. Der Mann, Michael Schneider hieß er, hatte sie mittlerweile erfahren, schaute sie an. Sie wußte nicht, daß sie in dem Hemd einfach entzückend wirkte. „Wollen Sie wirklich noch nach Sternhausen", fragte Michael. Verena dachte nicht lange nach. War das nicht das, was sie sich immer erträumt hatte. Eine romantische Nacht mit solch einem Mann. Aber war das wirklich richtig? Was wußte sie denn von ihm. Nichts. Nur, war nicht das genau das Abenteuer? Sie berührte ihn leicht am Arm. Ihr Blick forderte ihn auf. Michael fuhr ihr durch die Haare, lächelte sie geheimnisvoll an und zog sie vom Stuhl. Als sie voreinander standen war es um beide geschehen.... Sie wußten, daß diese Nacht unvergeßlich werden würde. Am nächsten Morgen schlich sich Verena aus dem Haus. Sie kam sich gemein vor, Michael einfach so zu verlassen, wußte aber gleichzeitig, daß es besser so war. Sie hätte nie in einem Wald leben können, auch nicht mit diesem Mann. Es würde für immer eine schöne Erinnerung bleiben. Zu Hause angekommen fiel sie müde und zufrieden ins Bett. Mit ihrer Mutter konnte sie sich auseinandersetzen, wenn sie wieder aufwachen würde. Sie blinzelte in das Mondlicht. Irgendwas stimmte nicht. Wieso war es in ihrem Bett so feucht? Erschrocken fuhr sie hoch, um gleich darauf mit einem Stöhnen zurückzusinken. Sie schaute sich um und bemerkte, daß sie keinesfalls in ihrem warmen, molligen Bett lag, sondern in einem Waldgraben. Sie fror und alles tat ihr weh. Sie mußte bewußtlos gewesen sein. Aber der Mann... hatte sie das alles nur geträumt? Sie fing an zu weinen, war es nun wegen der Schmerzen oder wegen der Tatsache, daß alles nur ein schöner Traum gewesen war. Auf einmal wurde es hell. Sie sah in die Scheinwerfer eines Autos. „Mein Gott, Verena was ist denn passiert", hörte sie die schrille Stimme ihrer Mutter. Sie fiel ihrer Mutter in die Arme. „Mama, ich bin gefallen." „Ich suche Dich schon seit Stunden, glaub mir ich bin schon mehrmals hier vorbeigefahren. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben." Verena war froh, daß ihre Mutter sie doch noch gefunden hatte und humpelte zum Wagen. Sie hatte das Gefühl, daß kein Knochen mehr heil war. Ach was, dachte sie, in ein paar Monaten ist alles vergessen. Nur schade, daß die romantische Nacht nur ein Traum war, auch wenn sie das Gefühl hatte, sie würde den Duft des Mannes noch an sich haben. Ein paar Tage später ging es ihr schon besser. Nur der Traum ließ sie immer noch nicht los. Sie brauchte Gewißheit. Sie schwang sich auf das Fahrrad, das ihr ihre Mutter wieder hatte richten lassen und fuhr in Richtung des Waldes. Als sie die Hütte sah, machte ihr Herz einen Luftsprung. Die Hütte gab es also. Dann mußte es doch auch Michael geben. Sie nahm all ihren Mut zusammen und klopfte an. Die Tür öffnete sich und sie blickte in die Augen einer älteren Frau. Vielleicht war es ja Michaels Mutter? „Guten Tag," stotterte Verena. „Ist, ähm.. ist Herr Schneider da?" Die alte Frau blickte Verena verständnislos an. Sie startete noch einen Versuch. „Ein junger Mann, etwa 30 Jahre mit einem sternförmigen Muttermal am Knie." Es KONNTE doch kein Traum gewesen sein, diese wundervolle Erfahrung, die sie gemacht hatte. Die weißhaarige Frau schüttelte traurig den Kopf. „Mädchen, es tut mir leid, kanntest du meinen Sohn?" Verena nickte. Es GAB ihn also doch. Frau Schneider legte ihren Arm um Verena und bat sie herein. Alles war unverändert. Einzig der Geruch des Rasierwassers fehlte. Bei einer Tasse Tee erzählte die alte Frau von ihrem Sohn. Nach einer langen Unterhaltung schloß sie mit den Worten „...und dann passierte das Unglück. Michael fuhr mit dem Motorrad durch den Wald und als er um die Kurve an der dicken Eiche bog, bemerkte er leider zu spät, daß ein vom Sturm entwurzelter Baum quer über der Straße lag. Das war gestern vor genau 10 Jahren...". Die Augen der Frau füllten sich mit Tränen. Verena war wie versteinert. Gestern vor 10 Jahren? Hatte sie eine Vision gehabt? War sie nicht selbst in dieser Kurve gefallen... Sie beeilte sich, aus der Hütte fortzukommen, bevor die alte Frau sie fragen konnte, woher sie eigentlich Michael kannte. Mit wirren Gedanken fuhr Verena nach Hause. Alles war so echt gewesen. Die Berührungen des Mannes, die zärtliche Vereinigung, das Kuscheln vor dem alten Kamin. Sie war sich sicher, daß es nicht einfach nur ein Traum gewesen sein konnte. Und plötzlich sah sie ihn auf einer Lichtung stehen und sie anlächeln. Da wußte sie, daß irgend etwas Wundervolles geschehen würde. Neun Monate später gebar sie das Kind mit dem sternförmigen Mal am rechten Knie - und gab ihm den Namen Michael.

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