A Lovestory

Denk darüber nach hatte er gebeten (vorgeschrieben?), Pause, die Augenbrauen hochgezogen, was sie nicht leiden konnte, weil es nicht bewirkte, was er damit wollte, einfach nur dumm aussah, und ich liebe dich. Letzteres ignorierte sie sofort, im Film hätte sie gesagt ich weiß oder ich dich auch, aber dies war kein Film, eher erinnerte es sie an die süße Vanillecreme, von der sie so oft gegessen hatte, bis sie die Süße nicht mehr empfand, obwohl sie sie hin und wieder noch kaufte, voller Erinnerung, Hoffnung – keine Chance. Vorschriften aber ignorierte sie nie, sie widerten sie an, also hatte sie freundlich erwidert da gibt’s nichts darüber nachzudenken, habe ich schon längst, brauche ich nicht mehr, alles zu Ende gedacht – gelogen, natürlich war sie nicht freundlich gewesen, giftig im Ton, wie immer, widerliche Vorschriften.

Und jetzt? Den dritten Tag war sie auf der Insel, zuhause öffneten vor Aufregung zappelige Kinderhände das erste Fenster im Adventskalender, Eisregen in Frankfurt hatte der deutsche Sender heute morgen angesagt und ihr rannen salzige Schweißtropfen aus der kleinen Falte über dem Bauchnabel. Die Blätter der Agave vor der weißgekachelten Veranda zitterten in leichtem Wind, davon bewegt glitzerten die zarten Spinnweben in der Sonne. Die heiße Sonne, die ihr wohl das Hirn briet, die Masse darin stocken ließ wie Eierspeise, schön langsam, bloß nicht rühren, denn hier saß sie im Schweiße ihres Bauchnabels und dachte darüber nach.

Zum Teufel, warum eigentlich? Zweiunddreißig wurde sie, erst, in zwei Monaten, sie hatte das verdammte Recht, sich zu befreien und auf etwas Besseres zu warten, nein falsch, zu hoffen, auch falsch, es zu finden, zu treffen, es war da draußen, irgendwo, oder gleich um die Ecke, vielleicht. Ohne rachitisch eingesunkenen Brustkorb, weil die Großmutter, die den Nachzügler aufziehen musste, viel Arbeit, wenig Geld, noch zwei weitere Enkelkinder, keine Zeit, ihn falsch ernährt hatte. Fluortabletten gibt es heutzutage vom Kinderarzt, kostenlos, auch für Großmütter, die Enkel füttern müssen. Sieht nicht schön aus, so ein Brustkorb, wenn er nackt sich zeigt, unbehaart, weiße Haut, die nie auf eine Insel fliegt, sich zu bräunen.

Ich bin müde, weißt du… – seit wann sprechen Hibiscusblüten, rötlichsanft, mit gelbgepuderter Zunge, widerwillig hörte sie zu, dreieinhalb Jahre sind eine lange Zeit, was ist das mit uns, das kann doch nicht gar nichts sein…
Typische Zweierbeziehung antwortete die Agave und die Spinnweben säuselten wo der eine liebt und der andere eben nicht. Ganz einfach. Ja, ganz einfach und wusste, dass sie nicht gesäuselt hatte, gar nichts hatte sie, gleichgültig und kalt. Und genervt. Wenn er den Mund aufmachte, war sie genervt. Sie wollte freundlich sein, er verdiente, dass sie freundlich war, aber wenn sie anhob zu sprechen, freundlich, kam gleichgültig oder kalt oder giftig oder genervt. Weil sie ihn nicht liebte.

Darum hatte sie ihn erlöst. Besser für ihn, besser für sie. Jetzt konnte sie etwas Besseres suchen. Finden. Treffen. Nicht zu vergessen. Und er konnte das auch. Sie verbot dem im Schatten der Agave kümmerlich gewachsenen Kaktus auszusprechen, was er dachte. Sie war eben, wie sie war, niemand war gezwungen, mit ihr zu verkehren.

So weitermachen kann ich jedenfalls nicht, mir fehlt etwas zum Leben…, Scheiß Hibiscus, das mit dem Glücklichwerden wollte sie nicht hören, habe ja gesagt, du betrügst dich selbst, nichts ist in Ordnung mit uns.
Das weiß ich jetzt auch… Die Augen klar und grün. Die Augen des anderen, den sie geliebt hatte, waren braun. Kastanienbraun, sagt man wohl, oder doch mehr schwarzbraun, wie die Haselnuss, keine Ahnung, jedenfalls nussig und jedenfalls Liebe. Kribbeln im Bauch, in Augen versinken, Beglücktsein ob seiner Hartnäckigkeit nach jedem Schlussmachen, wiederfinden, wiedertrennen, nicht voneinander los können, erste Tränen beim ersten Fremdgehen, später öfter Tränen, versoffene Nächte, Kummernächte, wieder zusammen, und dann der Urlaub in Marokko, dir haben sie wohl ins Gehirn geschissen schreit er sie an, als sie den Supermarkt nicht findet, schlechter Orientierungssinn, hat sie schon immer, danach das Wochenende in Hamburg, er vögelt die Andere nebenan, sie kapiert es erst zuhause, Trennung, wieder zusammen, dann haut er ab nach Berlin, sie braucht zwei Monate, um nicht mehr stumm in der Kneipe zu stehen und zu hoffen, dass sie keiner anspricht, denn da ist sie nur, weil sie noch Mut hat, aber sonst hat sie nichts mehr, findet sich erst langsam.

Er kommt auf Besuch und ein letztes Mal in ihr Bett und dann verliebt sie sich in die Rachitisbrust. Nur, weil erst mal alles anders ist. Und gut tut. Er hält ihre Hand im Cafe, er legt den Arm um sie beim Spaziergang, er nimmt sie ernst und mit auf Konzerte, er redet mit ihr, er bringt sie durch. Aber das Kribbeln im Bauch, das fehlt. Und das Nichtvoneinanderloskönnen. Der Schmerz? Die Tränen?

Abrupt stand sie auf, trat an die Hecke, legte der Hibiscusblüte die Finger um den Hals, drückte ihr den Atem ab, riss, zerquetschte in der Faust, warf weg. So, jetzt bist du still.

Husten im Haus. Auf Zehenspitzen hinein, Hand vorsichtig auf die Klinke, Schlafzimmertür auf, hineinblinzeln, bis die Augen sich vom hellen Sonnenlicht an das Mittagsschlafdämmern gewöhnt haben. Kuscheltuch im kleinen speckigen Arm, das Gesicht halb darin verborgen, im anderen den Teddybären fest an sich gedrückt, schlief da mit rund geöffnetem Mündchen ihr Kind, sein Sohn, mit Augen wie sein Vater, so alt wie seines Vaters Liebe zu ihr plus neun Monate, in denen er sie noch nicht geliebt hatte, in denen er noch nicht wusste, was er wollte vom Leben, nur eines nicht, ein Kind.

Leise zog sie die Tür wieder ins Schloss. Als sie hinaustrat auf die Veranda, zeigte sich der Himmel in düsterer Stimmung. Die Sonne hatte sich mit grauen Wolken bedeckt, holte ihre letzten Strahlen ein, die Spinnweben in der Agave waren verschwunden, mit einem Anflug schlechten Gewissens suchten ihre Augen die zerquetschte Hibiscusblüte, natürlich war sie nicht da, schwer fielen ihr die wenigen Schritte zum Lehnstuhl, sie klammerte sich an den Stock, war erleichtert, als sie saß, lehnte die Gehhilfe am Tischrand, dass sie ja nicht fiele, hob den wollenen Schal vom Stuhlrücken, zog ihn mit müden Fingern um ihre schmalen Schultern zurecht, dass er wärme und fröstelte doch.Hatte sie wirklich gerade in das Schlafzimmer gesehen, sie wusste es nicht, warum auch, sie allein schlief dort, Jahr um Jahr war sie hier, wenn der Winter Einzug hielt daheim, ein ums andere Jahr blieb sie auch über Weihnachten, wenn der Sohn beim Vater war, zum Weihnachtsfest jedes zweites Jahr, gerecht verteilt zwischen der Mutter und der Vaterfamilie mit Frau und zwei Söhnen. Sie hatte sie nie gesehen, die Mutter der Halbbrüder ihres Sohnes, es war auch nicht wichtig, sie zu sehen, wichtig war die Erkenntnis des Vorbei, zu spät, etwas Besseres, ein Herz, hatte den Vater gefunden auf der Flucht vor ihr, hatte ihn festgehalten, weil es erkannte, wer ihm da über den Weg gelaufen war, mit beiden Händen festgehalten. Und er hatte aufgehört zu fliehen.

Inzwischen war sie alt, der Sohn lebte mit eigener Frau und eigenen Kindern weit weg von ihr und der Vaterfamilie, ihr fiel gar nicht mehr ein, wo das war, oft sah sie ihn erst am dritten oder fünften Weihnachten, aber sie reiste immer noch jedes zweite Jahr bis Ende Dezember auf ihre Insel in ihrem Haus mit der Agave und den sprechenden Hibiscusblüten. Sie unterhielt sich gern mit ihnen, die neue Generation hatte ihr den zerquetschten Urgroßvater verziehen, sie weinten mit ihr, wenn sie weinte, weil sie damals entschieden hatte, wie sie entschieden hatte, zu suchen das Bessere, das sie nicht fand, weil sie es schon hatte, vielleicht sogar wusste, nicht wahrhaben wollte. Der kümmerliche Kaktus, der ihr damals, als sie ihm das Wort verbot, sagen wollte, dass es sehr leicht war, etwas Besserem als ihr zu begegnen, etwas, das dem Mann, der sie liebte so wie sie war, nicht mehr weh tun würde, er war nicht mehr, verfault, ausgegraben, im Müll verschimmelt. Sie hätte ihn sagen lassen sollen, was er sagen wollte, sie weinte wieder, der Wind schloss ihre faltigmüden Augen über den Tränen, die aufweichten, herausschwemmten, was sie verborgen hatte in den alten verhärmten Ritzen ihrer Seele.

Als die ersten Tropfen auf ihre nackten Beine fielen, schrak sie auf, meine Güte, voll eingenickt, regnet ja, puh, ist das kühl geworden, schnell ins Haus, Uhr mitnehmen, Handtuch von der Leine, Rest kann nass werden, nein, die Zigaretten noch. Drinnen etwas überziehen, einen Kaffee aufsetzen, wieder an der Verandatür stehen, in den Regen schauen.Der Traum, sie holte tief Luft, scheußlicher Traum, schloss die Augen – war das Glück, dieses Gefühl? B-Negativ kam ihr in den Sinn. B-Negativ war die fröhliche Begrüßung des Arztes gewesen, am nächsten Tag, statt Guten Morgen. Er hatte ihren Sohn auf die Welt geholt, nach sechs Stunden Alptraum kam er herein, zog ihr das Kind zwischen den Beinen heraus, nahm ihr allen Schmerz, legte ihr alle Freude in die Arme und als sie ihn an die Spritze erinnerte, die das Kind vor ihrem Affenblut schützen sollte, fragte er nach dem Vater und seiner Blutgruppe. Da musste sie es wieder sagen, gestand mit Trotz in der Stimme, Schutz vor dem Blick, wie er ihr so oft begegnet war, wenn sie es sagte, doch er lachte nur, das kommt schon mal vor, und am nächsten Tag sagte er fröhlich „B-Negativ“ statt Guten Morgen, „eindeutig B-Negativ hat er, der Kleine, und bei Ihrer Blutgruppe erfordert das einen B-Plus-Vater, eindeutig!“

Das Schicksal ersparte ihr zwei eindeutige B-Plus-Väter, ersparte ihr langjähriges Warten auf langwierige Bluttests und ließ sie erfahren, dass sie die erste in Frage kommende Nacht mit A und die Nacht zehn Tage später mit B-Plus verbracht hatte. A wie „Ade große Liebe“ und B-Plus wie „Brust plus Rachitis“. Während der Vater lernte, sein Kind zu lieben, das er nie gewollt hatte, und die Mutter dazu, übte sie sich darin, mit ihrem Schicksal zu hadern, weil es nicht A wie „Ach so große Liebe“ ihrem Kinde zum Vater beschert hatte.

Schon tröpfelte es nur noch spärlich, vereinzelt riss die Wolkendecke auf, blauer Himmel lugte hindurch, sie trat an die Hecke, hockte sich, nahm die Hibiscusblüte auf, strich zart über die zerfledderten Blätter, als wären es die Flügel eines vom Regen überraschten Schmetterlings, entfaltete sie vorsichtig, glättete sie sanft, trug das arme Ding in die Küche, murmelte besänftigend auf es ein und bettete es in ein Glas mit Wasser.

Dankbar lächelte sie der Blüte zu, dankbar für den Traum, im Traum liegt Wahrheit, heißt es oft, und als der Kleine nach ihr rief, lief sie freudig zum Schlafzimmer, „hallo Schätzchen“ würde sie sagen, „ausgeschlafen?, anziehen muss ich dich, schnell, wir wollen den Papa anrufen, der Papa kommt her“, des Vaters Augen, klar, grün, in dem kleinen Gesicht, groß würden sie schauen, mein Papa? die Frage, froh.

Sie drückte die Klinke, schob die Tür auf, sah das Zimmer, das Doppelbett – leer -, stand, erstarrt, begriff nicht, blickte auf ihre Hand, die die Klinke noch hielt, sah die Hand, die fleckigfaltige, begriff, hielt sich, klammerte sich fest, bevor das Entsetzen ihr die Beine wie Strohhalme knicken würde, ein Wimmern entrang sich ihrer Kehle, in ihrem Kopf ein Blitzen, sie wankte, knickte…

„Was ist denn?“, Arme umschließen, von hinten, „mein Liebling“, kaum ist sie fähig, sich zu wenden, er birgt ihren Kopf an seiner Brust, „hast du es wieder vergessen, mein armes altes Mädchen, schau, ich bin da, meine Kleider liegen dort auf dem Stuhl, wir sind auf unserer Insel, wie jedes Jahr, bald ist Weihnachten, Mark wird kommen, wie immer, und Anna und das Baby, sie wohnen nicht weit weg, du hast mich damals angerufen und ich bin gekommen“, er streichelt ihr weißes Haar, „hast wieder deine Tabletten nicht genommen, mein Mädchen, nicht wahr, erinnerst dich jetzt wieder?“, und sie nickt kaum merklich an seiner Brust, mag ihr Gesicht nicht lösen aus der warmen, behütenden Kuhle, Rachitis hat er mal gehabt, deswegen ist sie da und sie kuschelt sich hinein und weint nicht mehr.

© Susann Ulshöfer

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